WirtschaftsWocheClub-Gespräch Geldanlage „Der Boom ging an vielen Aktien vorbei“

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„Rezessionen kann man nicht vorhersagen, selbst die besten Wissenschaftler wissen es nicht“

Schwenken jetzt Großanleger wieder um? Steigen sie aus Aktien aus und in Anleihen ein?
Boydak: Ich habe kaum deutsche Großanleger erlebt, die stärker in den Aktienmarkt eingestiegen sind. Das ist ja das Problem in Deutschland. Unsere Vermögen wachsen zu wenig. Wir sparen viel, machen aber zu wenig daraus, weil wir vieles in Barguthaben, Bausparverträgen oder Lebensversicherungen anlegen. Die Inflationserwartungen steigen und jeder kommt mit Inflation in Berührung, das Leben wird teurer und wenn man das Vermögen nicht in realen Sachwerten wie Aktien arbeiten lässt, hat man einen realen Kapitalverlust. Die Löhne steigen in vielen Bereichen nicht in dem Maße wie die Preise.

Herr Orthen, Sie sind 39, ihr Fonds, der Fondak aber hat fast das Rentenalter erreicht, er wurde in den 1950er Jahren gestartet. Wie halten sie ein so altes Depot in Schwung?
Orthen: Der Fondak war schon immer ein Spiegelbild der deutschen Wirtschaft und damit auch der Innovation unserer Wirtschaft. Anleger der ersten Stunde hätten heute jährlich im Schnitt 10,5 Prozent verdient. Das geht über einen so langen Zeitraum nur, wenn sich ein Produkt immer wieder den wirtschaftlichen Bedingungen anpasst. Ich habe bei Übernahme des Fondak-Managements einen stärkeren Fokus auf kleinere Werte aus dem MDAX und TecDax gelegt. Dies spiegelt sich in der neuen Zusammensetzung des Vergleichsmaßstabs aus 60 Prozent DAX, 30 Prozent MDAX und 10 Prozent TecDAX wider. Von den Umbrüchen in der Wirtschaft etwa durch Digitalisierung und in Bezug auf Mobilität sind mittelgroße und TecDax Unternehmen unmittelbar betroffen und treiben solche Umbrüche in vielen Fällen entscheidend voran.

Um davon zu profitieren, haben wir uns stärker in Richtung Tec-Dax-Aktien und kleinere und mittelgroße Unternehmen bewegt. Deren Anteil ist momentan auch höher, als in unserem Vergleichsindex.

Goran Vasiljevic (37) ist Sprecher der Geschäftsführung des Erkrather Vermögensverwalters Lingohr & Partner. Nach einem Studium der Finanzwissenschaft in den USA und Stationen in der US-Finanzwelt begann er 2011 bei Lingohr & Partner, 2017 wurde er als Chief Investment Officer verantwortlich für das Anlagevolumen von vier Milliarden Euro. Geboren wurde er in Ostfriesland. Quelle: Bert Bostelmann für WirtschaftsWoche

Hat sich die Umstellung für die Anleger ausgezahlt?
Orthen: Ich würde sagen, ja. Seit Beginn 2017 liegt der Fonds 22 Prozent im Plus und damit knapp fünf Prozentpunkte vor dem neuen Vergleichsindex und elf Prozent vor dem Dax, dem vorherigen Vergleichsmaßstab.

In den letzten Wochen gab es zahlreiche Investorenkonferenzen, auf denen Fondsmanager Unternehmenschefs treffen konnten. Welche Konjunkturerwartungen haben die Unternehmen?
Orthen: Von den Unternehmen hören wir, man sei in der zweiten Hälfte des Wirtschaftszyklus, das ist nach dem langjährigen Wirtschaftswachstum allen klar. Aber es gibt noch eine gute Unterstützung für die Unternehmensgewinne, getrieben unter anderem vom Export und den internationalen Konjunkturdaten. Außerdem haben wir etwa zwei Prozent Wachstum und die Arbeitslosigkeit ist auf einem Rekordtief. Das unterstützt in Deutschland auch den privaten Konsum. Die Unternehmensgewinne werden also auch 2019 noch steigen. Zudem erwarten wir weiter insgesamt steigende Dividenden.

Moderation: WirtschaftsWoche-Korrespondentin Heike Schwerdtfeger. Quelle: Bert Bostelmann für WirtschaftsWoche

Jetzt dominiert der Zollkonflikt zwischen den USA und China die Märkte, auch Schwellenländer gelten als Risiko. Braut sich da nicht eine große Gefahr zusammen?
Orthen: Es gibt viele Risiken, darüber können wir lange reden. Auch beim Brexit muss man noch abwarten, welche Folgen er langfristig haben wird. In einigen Schwellenländern wie etwa der Türkei sehen wir, dass die Währung abgewertet hat. Aber die Unternehmensgewinne sind auf breiter Basis positiv. Manche Unternehmen verlieren Marktanteile und liefern nicht, das sind dann häufig aber hausgemachte Probleme.

Vasiljevic: Wir haben weiterhin aus den Datenanalysen den Eindruck, dass die fundamentalen Unternehmenskennzahlen und Bewertungen sehr gut sind. Es gibt in jedem Land noch Unternehmen, die vom Markt vernachlässigt werden, weil die Herde der Anleger anderen Trends folgt und die Unterbewertung von Unternehmen nicht entdeckt. Es lohnt sich immer wieder da zu schauen, wo sich andere nicht hintrauen und wo Gefahren kurzfristig überschätzt werden.

Quelle: Bert Bostelmann für WirtschaftsWoche

Sie sind alle krisengestählt. Wie dramatisch würde ein Abschwung?
Boydak: Ein Abschwung kann dramatisch sein, weil viele Investoren prozyklisch angelegt haben. Wenn die Gelder rausfließen, die etwa in passiven Investments, also den ETF liegen, dann kann es in kürzester Zeit auch ein Minus von 20 Prozent geben. Ein Rückgang befeuert sich selbst. Auslöser könnten externen Events sein, wie eine dramatische Schuldenkrise, aber die konjunkturelle Lage und die Unternehmen bieten keinen Anlass für Crashfantasien.

Orthen: Wir haben seit neun Jahren einen positiven Aktienmarkt, deshalb ist es natürlich, dass die Stimmen lauter werden, die ein Ende heraufziehen sehen. So ein Bullenmarkt wird jedoch nicht einfach an Altersschwäche sterben, sondern erst wenn die Gewinnaussichten signifikant sinken. Das ist aber momentan nicht in Sicht.

Vasiljevic: Rezessionen kann man nicht vorhersagen, selbst die besten Wissenschaftler wissen es nicht. Von den letzten 150 Rezessionen wurden 148 im Vorjahr nicht prognostiziert.

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