Globaler Immobilienboom Käufer ringen weltweit um die letzten Häuser

In Großbritannien birgt vor allem die Landflucht ins Umland Konfliktpotenzial.

Billige Kredite und Torschlusspanik bei Käufern lassen die Immobilienpreise überall explodieren. Immer mehr Experten warnen vor einem Kollaps am Markt.

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Für Don Charleston ist die Zeit bereit für eine Veränderung. Seit vier Jahren arbeitet er bereits in Washington, DC, zunächst für einen Think Tank, heute als Berater. Die amerikanische Hauptstadt, das ist ihm mittlerweile klar, wird auf absehbare Zeit sein Lebensmittelpunkt bleiben. Also verkaufte Don schweren Herzens sein Einfamilienhaus in North Carolina. Und zwar mit ordentlichem Gewinn – Immobilienboom sei Dank.

Doch Charleston ist Profiteur und Opfer zugleich. Denn die Häuserpreise in seiner neuen Heimat Washington und im Umland gehören zu den höchsten in den USA. Tendenz weiter steigend. Stolze 665.000 Dollar kostet ein Eigenheim mittlerweile in der Hauptstadt. Dabei wurde der mittlere Wert angesetzt; die Hälfte aller Häuser kostet also mehr, die andere Hälfte weniger. In den beliebten Vororten Arlington, Virginia, Bethesda und Maryland sind auch Preise von über einer Million Dollar keine Seltenheit.

„Ich war schon mehrfach nah dran, ein Haus zu bekommen, aber am Ende ist es immer wieder gescheitert“, sagt Charleston. Manche potenziellen Käufer böten bis zu 50 Prozent mehr als den ursprünglich geforderten Preis, erklärt er. Doch dazu sei er nicht bereit. „Bei zehn Prozent Zuschlag ist für mich Schluss“, so Don. Der Immobilienmarkt in Washington, sagt er, sei schon immer heiß gewesen. „Aber was wir gerade erleben, ist verrückt.“ Mittlerweile wechseln in den USA gar Immobilien für Selbstnutzer den Besitzer, ohne dass eine Besichtigung stattgefunden hat.

von Philipp Frohn, Martin Gerth, Niklas Hoyer, Christof Schürmann

Charlestons Erfahrungen stehen sinnbildlich für den globalen Immobilienmarkt: Der Konkurrenzkampf um Eigenheime ist derzeit extrem hart. Die Preise überall auf der Welt ziehen kräftig an. In den USA verdoppelte sich der mittlere Verkaufspreis eines Hauses in den vergangenen Jahren auf etwa 350.000 Dollar. Im chinesischen Shenzhen müssen Käufer das 43,5-Fache des durchschnittlichen Gehalts auf den Tisch legen, um an eine Immobilie zu kommen. Und auch in Großbritannien haben die Preise im Vorjahresvergleich stark angezogen. Wie in Deutschland verteuerten sie sich um sieben Prozent (auf 263.000 Pfund).

Jetzt oder nie

Am Immobilienmarkt herrscht ein regelrechter Kaufrausch. Begünstigt wird er durch die historisch niedrigen Hypothekenzinsen. Noch nie war es so billig wie heute, einen Kredit für eine Immobilie aufzunehmen. In Deutschland liegt der Zinssatz bei zehnjähriger Zinsbindung aktuell bei 0,85 Prozent, heißt es vom Finanzvermittler Interhyp. Zum Vergleich: 2011 lag er noch bei rund vier Prozent.

Die Niedrigzinspolitik der Notenbanken versursacht einen Anlagenotstand, Investoren kaufen auf der Suche nach Rendite Immobilien und treiben den Boom weiter an. Die Coronapandemie hat das Arbeiten im Homeoffice zur neuen Realität gemacht und so die Wohnpräferenzen verändert. Immobilienkäufer sehnen sich nach mehr Platz und einem Haus im Grünen – und suchen im Umland der Metropolen nach Eigentum.

Und zu allem Überfluss macht sich am Immobilienmarkt eine Torschlusspanik breit: Haussuchende sorgen sich, bald gar keine Immobilie mehr zu finden, wenn sie jetzt nicht zuschlagen. So werden auch renovierungsbedürftige Horrorhäuser weit überm Marktwert verkauft. Der Immobilienboom macht's möglich.

Dabei sah die Lage auf dem britischen Wohnungsmarkt Ende vergangenen Jahres nicht gut aus. Ende 2020 sagte Halifax, einer der größten Hypothekengeber des Landes, voraus, dass die landesweiten Immobilienpreise in diesem Jahr um zwei bis fünf Prozent sinken würden.

Der staatliche Haushaltswächter Office for Budget Responsibility (OBR) ging sogar von einem Einbruch von bis zu acht Prozent aus. Diese Einschätzungen wirkten damals realistisch: Schließlich hatte die Regierung von Premier Boris Johnson ihre Antwort auf die Pandemie dermaßen verhunzt, dass sich das Land von einem verspäteten Lockdown zum nächsten hangelte.

Konflikte im Umland

Die Regierung in London wollte den befürchteten Preisverfall auf dem Wohnungsmarkt stoppen – und befeuerte mit einer Maßnahme einen fieberhaften Kaufrausch. Zwischenzeitlich setze sie die so genannte „Stempelsteuer“ für Hauskäufe bis zu 500.000 Pfund aus.

Die Abgabe wird in England und Nordirland jedes Mal fällig, wenn eine Immobilie die Besitzerin oder den Besitzer wechselt und beträgt (gemäß Faktoren wie dem Kaufpreis und der Zahl der neuen Besitzer) bis zu zwölf Prozent des Kaufpreises. Sie ist sowas wie das britische Pendant zur deutschen Grunderwerbssteuer.

Viele Analysten weisen zudem darauf hin, dass sich seit Beginn der Pandemie viele Briten größere Häuser oder Wohnungen gekauft hätten, um zusätzlichen Platz für ein dauerhaftes Home Office zu schaffen. Das hat in manchen Landesteilen – wie etwa Cornwall im Südwesten des Landes – jedoch die Hauspreise noch viel schneller in die Höhe schießen lassen als im Rest des Landes.

In London stiegen sie zuletzt nur um 1,3 Prozent zum Vorjahr - so langsam, wie in keinem anderen Landesteil in Großbritannien. In den vergangenen drei Monaten wurden Häuser und Wohnungen in London sogar im Schnitt um 0,3 Prozent billiger. Auf einen dauerhaften Preisverfall deutet das jedoch vermutlich nicht hin, es ist eher eine lange überfällige Korrektur.

Die Landflucht in Großbritannien birgt großes Konfliktpotenzial. In manchen Regionen gingen deswegen Ortsansässige auf die Barrikaden, die befürchten, aus ihren eigenen Ortschaften verdrängt zu werden. Einige Lokalbehörden denken bereits darüber nach, den Verkauf von Immobilien an reiche Londoner zu verbieten.

Platzt die Blase?

Die angespannte Gemengelage am Immobilienmarkt schürt nicht nur in Großbritannien die Sorge vor einer Blase, die bald platzen könnte. Jerome Powell, Chef der US-Notenbank Federal Reserve, zeigte sich jüngst besorgt über den überhitzten Immobilienmarkt. Einige US-Notenbanker warnen gar schon vor einer Immobilienkrise 2.0. Damit spielen sie auf den Crash des US-Häusermarktes an, der der Finanzkrise ab 2007 vorausging.

In ihrer Verzweiflung hoffen manche Hauskäufer, dass eine platzende Immobilienblase die Preise fallen lässt. Seit März ist Don Charleston nun schon auf der Suche nach Eigentum, wohnt seitdem in möblierten Apartments, die kurzfristig vermietet werden. Er hofft, trotzdem bald in sein neues Eigenheim einziehen zu können – trotz aller Schwierigkeiten. „Die Preise können nicht ewig so verrückt bleiben“, sagt er. Er werde eine Korrektur kommen – und dann könne er zuschlagen.

Mehr zum Thema: Bei immer mehr Immobilieninteressenten macht sich Torschlusspanik breit. Doch nur wenn Käufer klug finanzieren und häufige Fehler vermeiden, kann sich der Traum vom Eigenheim erfüllen. Lesen Sie hier die große Analyse dazu.

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