Deutschlands langsamer Impffortschritt beschäftigt zunehmend auch die Gerichte. Bundesweit gibt es 256 Verfahren, mit denen Menschen eine schnellere Impfung gegen das Coronavirus erreichen und damit die für sie vorgesehene Priorisierung überspringen wollen, zeigt eine Umfrage der WirtschaftsWoche unter den 51 Verwaltungsgerichten.
Besonders viele Anträge gibt es in den Großstädten: Das Berliner Verwaltungsgericht zählt 40 Anträge auf schnellere Immunisierung, gefolgt von Hamburg (28 Verfahren), München (22) und Düsseldorf (20).
In nur wenigen Fällen hatten die Anträge bisher Erfolg, etwa, weil bei den Menschen eine schwere Behinderung vorlag, die nach Ansicht des Gerichts eine Hochstufung in der Priorisierung rechtfertigte. Ein Großteil der Anträge wurde von den Gerichten wegen mangelnder Gründe abgelehnt, einige Verfahren erledigten sich auch oder wurden zurückgezogen, weil die Antragsteller dann doch ein Impfangebot erhalten hatten.
Wie sich die Corona-Impfstoffe unterscheiden
Forscher liefern sich weltweit ein Wettrennen um wirksame Impfstoffe gegen Covid-19. Alle Impfstoffkandidaten basieren auf demselben Grundprinzip: Dem Abwehrsystem des Körpers werden Teile des Coronavirus präsentiert (Antigene), auf die die Immunzellen eine Antwort (Antikörper) herausbilden und so eine Immunität gegenüber dem Krankheitserreger aufbauen.
Dabei gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen, etwa, welche Antigen-Teile dem Immunsystem wie präsentiert werden. Hier stehen derzeit zwei Entwicklungslinien im Fokus:
- Impfstoffe mit Vektorviren, das bedeutet so viel wie "Träger-Viren"
- und die neuartigen mRNA-Impfstoffe.
Stand: 11. Mai 2021
mRNA-Impfstoffe enthalten Abschnitte aus dem Erbgut des Coronavirus, die sogenannte messenger-RNA (kurz mRNA), die auch als Boten-RNA bezeichnet wird. Hiervon wird eine sehr geringe Menge dem Menschen in den Muskel injiziert. Die Körperzellen nehmen die Partikel auf und entschlüsseln die enthaltene Erbinformation. Kurzzeitig produzieren sie ein sogenanntes Spike-Protein, das an der Oberfläche des Coronavirus sitzt. Es macht vereinfacht gesagt dem Immunsystem deutlich, dass hier etwas Körperfremdes zu finden ist, das es unschädlich zu machen gilt. Für dieses Oberflächenprotein bildet das Abwehrsystem also Antikörper, die es ihm bei einer späteren Infektion mit dem Coronavirus ermöglichen, den Eindringling schnell zu erkennen und sofort eine Immunantwort parat zu haben.
Studien haben gezeigt, dass hiervon keine Gefahr für den menschlichen Körper ausgeht. Die eingeschleusten Erbgut-Teilchen werden innerhalb kurzer Zeit von den menschlichen Zellen abgebaut. Sie werden nicht in die menschliche DNA eingebaut. Sobald die mRNA des Impfstoffs abgebaut ist, findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Die mRNA-Impfstoffe können innerhalb weniger Wochen in sehr großen Mengen hergestellt werden. Sie bringen jedoch die Herausforderung mit sich, dass sie nach derzeitigem Forschungs- und Entwicklungsstand bei extrem niedrigen Temperaturen transportiert und dauerhaft gelagert werden müssen (-20 bis -80 Grad Celsius). Deshalb werden sie vorrangig in speziell dafür ausgerüsteten Impfzentren verabreicht. Hier soll der Moderna-Impfstoff allerdings einen Vorteil haben: Laut dem Hersteller kann er bis zu 12 Stunden bei Raumtemperatur und 30 Tage im Kühlschrank (2 bis 8°C) gelagert werden.
Für vektorbasierte Impfstoffe werden für Menschen harmlose Viren als kleine Transporter zweckentfremdet – sozusagen als trojanisches Pferd. Die Viren werden so verändert, dass sie in ihrem Erbgut auch den Bauplan für einen oder mehrere Bestandteile (Antigene) desjenigen Erregers enthalten, gegen den eine Immunität (Antikörper) aufgebaut werden soll. Das Prinzip ist immer das gleiche: Die menschlichen Zellen sollen auch hier Teile des Spike-Proteins des Coronavirus herstellen, damit das Immunsystem "weiß", wen es angreifen soll.
Auch hier werden die Viren-Erbinformationen nicht in die menschliche DNA eingebaut. Nach dem Abbau der von den Vektorviren übertragenen Erbinformation findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Vektorimpfstoffe wurden bereits zugelassen (zum Beispiel Ebola-Impfstoffe). Die Corona-Impfstoffe der Firmen AstraZeneca und Johnson & Johnson (J&J) sind Vektorimpfstoffe. Diese haben gegenüber den mRNA-Impfstoffen den Vorteil, dass sie bei Temperaturen von 2 bis 8 Grad Celsius transportiert und gelagert werden können. Das macht ihren Einsatz in normalen Hausarztpraxen simpler. Das J&J-Präparat hat zudem den Vorteil, dass es nur einmal verabreicht werden muss. Die drei anderen bislang in Deutschland zugelassenen Corona-Impfstoffe (von AstraZeneca, Biontech/Pfizer und Moderna) müssen zwei Mal gespritzt werden.
Quelle: RKI, eigene Recherche
Noch offen sind an den Verwaltungsgerichten 62 Verfahren, darunter auch zwei Fälle in Schwerin und Frankfurt am Main, in denen die Antragsteller mit dem Impfstoff von Biontech statt mit dem von AstraZeneca geimpft werden wollen. „Die zuständige Kammer geht davon aus, dass sich Verfahren, bei denen es um einen konkreten Impfstoff handelt, zukünftig häufen werden“, sagte eine Sprecherin des Frankfurter Verwaltungsgerichts mit Blick auf die Debatte um den Impfstoff von AstraZeneca. Allerdings würden sich die Richterinnen und Richter bei ihren Entscheidungen an den Empfehlungen der zuständigen Zulassungs- und Aufsichtsbehörden orientieren – und die empfehlen AstraZeneca uneingeschränkt.
Mehr zum Thema: Mit Klagen wollen sich Menschen eine schnellere Impfung erstreiten. Mehr als 250 Anträge gibt es bereits. Teils fordern die Kläger auch ein Recht auf Biontech. Die bisherigen Urteile zeigen, wer Chancen auf Erfolg hat.