EU-Arzneimittelbehörde Ab Freitag verimpft Europa wieder AstraZeneca: EMA nennt Impfstoff „sicher und wirksam“

Die EMA erklärte, der AstraZeneca-Impfstoff sei nicht mit einem Anstieg des Gesamtrisikos von Blutgerinnseln verbunden. Quelle: REUTERS

Nach der WHO gibt die EMA Entwarnung: Auch die EU-Behörde sieht keine höheren Risiken durch den AstraZeneca-Impfstoff. Aber es soll einen Warnhinweis geben. Der Image-Schaden für AstraZeneca ist damit noch nicht behoben.

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Die EMA hatte es am Donnerstagnachmittag spannend gemacht. Zunächst war der für den Nachmittag geplante Pressetermin zur Entscheidung über den AstraZeneca-Impfstoff mehrmals verschoben worden. Dann kam gegen 17 Uhr die Nachricht: Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA sieht den Covid-19-Impfstoff von AstraZeneca als sicher an. Damit rollt in der EU die Impfwelle mit AstraZeneca in einem Großteil der EU-Länder wieder an.

Die EMA sei der Ansicht, dass die Vorteile des Vakzins die Risiken überwögen, teilte die EU-Behörde in ihrer Presekonferenz mit. „Die Impfung ist sicher und wirksam“, sagte EMA-Chefin Emer Cooke. Der Sicherheitsausschuss der EMA empfehle aber, ein höheres Bewusstsein für Risiken zu schaffen und dass diese im Beipackzettel der Impfung berücksichtigt werden.

Die EMA hatte eine Überprüfung eingeleitet, nachdem Fälle von seltenen Thrombosen nach der Impfung zu einem Impfstopp mit dem Mittel in mehr als einem Dutzend Ländern, darunter auch Deutschland, geführt hatten. So hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Impfungen am Montag auf Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts wegen seltener Fälle von Hirnvenenthrombosen gestoppt, die bei Personen auftraten, die mit AstraZeneca geimpft wurden. Das Bundesinstitut für Impfstoffe war zu seiner Empfehlung gekommen, da die Anzahl der Fälle unter den 1,6 Millionen mit AstraZeneca Geimpften statistisch signifikant höher sei als die Anzahl von Hirnvenenthrombosen, die normalerweise in der Bevölkerung auftreten – etwa ein Fall wäre zu erwarten gewesen.

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Bis zum 10. März lagen der EMA 30 Fälle von thromboembolischen Vorfällen unter fast fünf Millionen AstraZeneca-Geimpften vor. Die EMA erklärte, der Impfstoff sei nicht mit einem Anstieg des Gesamtrisikos von Blutgerinnseln verbunden. Es gebe auch keine Hinweise auf Probleme im Zusammenhang mit bestimmten Chargen des Vakzins oder bestimmten Produktionsstätten. Die EMA habe aber einen Zusammenhang zwischen sehr seltenen Fällen von Blutgerinnseln, einschließlich seltener Fälle von Hirnvenenthrombosen, nicht definitiv ausschließen können. Die Behörde wolle ihre Empfehlung um eine Erläuterung der möglichen Risiken aktualisieren.

Die Diskussionen über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und Hirnvenenthrombosen dürfte in jedem Fall noch eine Weile anhalten. Das Vertrauen in den Impfstoff könnte daher weiter Schaden nehmen. Zuvor hatten bereits Fehler und Pannen beim Studiendesign – in den klinischen Tests erhielten einige Probanden die halbe Dosis, andere die ganze – für Unruhe gesorgt. Dann lagen zu wenige Daten über die Wirkung bei älteren Menschen vor, weswegen der Impfstoff in Deutschland bis vor einigen Wochen nicht an über 65-Jährige verimpft werden konnte. Schließlich konnte das Unternehmen seine Lieferprobleme gegenüber der EU auch nicht schlüssig erklären.

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Manche Experten empfahlen AstraZeneca daher eine Imagekampagne. Doch zumindest in der vergangenen Woche wollte das Unternehmen davon noch wenig wissen. Klaus Hinterding, Mitglied der Geschäftsführung bei AstraZeneca in Deutschland, erklärte der WirtschaftsWoche dazu: „Natürlich möchten wir noch mehr über den Impfstoff aufklären und noch besser informieren. Imagekampagnen stehen aktuell jedoch nicht oben auf unserer Agenda. Wir wollen und werden auch weiterhin mit der Qualität unserer Produkte überzeugen.“

Erste Reaktionen auf die EMA-Entwarnung deuten einen weiterhin holprigen Weg an: So will etwa Schweden vorerst an dem Stopp der AstraZeneca-Impfungen festhalten. Man benötige „einige Tage“, um die Entscheidung der Europäischen Arzneimittelagentur zu prüfen, sagte der Leiter der schwedischen Gesundheitsbehörde, Johan Carlson, am Donnerstagabend. Auch in Irland verkündete man keinen vorschnellen Restart. Dort soll am Freitag darüber entschieden werden, ob die AstraZeneca-Impfungen wiederaufgenommen werden, teilen die Gesundheitsbehörden mit.

Der größere Teil der EU-Länder kündigte aber die schnelle Wiederaufnahme der AstraZeneca-Impfungen an: Der französische Ministerpräsident Jean Castex kündigte am Donnerstagabend die Wiederaufnahme der Astrazeneca-Impfungen an. Er selbst werde sich mit dem Vakzin am Freitagnachmittag impfen lassen. Auch in Italien soll das Vakzin bereits ab Freitag wieder verabreicht werden. Das teilte das Gesundheitsministerium am Donnerstagabend in Rom mit. Bulgarien, Zypern, Litauen und Lettland wollen auch ab Freitag wieder impfen.

„Das Vertrauen in den Impfstoff hat jetzt leider stark gelitten“

In Deutschland sollen es zügig wieder losgehen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagt, Ziel von Bund und Ländern sei es, am Freitag die Astrazeneca-Impfungen wiederaufzunehmen. Die „Ereignisse“, die zur Aussetzung geführt haben, würden in einer Ergänzung zum Aufklärungsbogen berücksichtigt.

Ähnlich sieht das Carsten Watzl: Es gelte, beim Impfen jetzt wieder aufzuholen, sagte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstagabend. Nach bisherigen Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) seien durch das Aussetzen der Impfungen mit dem Präparat des britisch-schwedischen Herstellers mindestens mehrere Zehntausend Impfungen pro Tag verpasst worden. Das könne perspektivisch mehr Todesfälle durch Covid-19 bedeuten.

Die Empfehlung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA zur Fortsetzung der Impfungen sei zu begrüßen und auch so zu erwarten gewesen, sagte Watzl. „Es muss nun gut darüber informiert werden, dass es das Risiko der seltenen Hirnvenenthrombosen gibt.“ Nach Einschätzung des Immunologen wäre es hilfreich, wenn bereits genug Daten vorlägen, um möglicherweise besonders gefährdete Gruppen je nach Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen zu benennen und sie von der Impfung mit Astrazeneca auszuschließen. Noch könne man dies aber nicht.

In Großbritannien dürfte man sich besonders bestätigt sehen. Denn während viele Länder Europas die Impfung mit AstraZeneca stoppten, wurde in Großbritannien die ganze Zeit über fleißig weiterimpft. Noch am Donnerstag erklärte die dortige Arzneimittelbehörde MHRA, keine Hinweise dafür zu sehen, dass der Impfstoff Blutgerinnsel verursacht. Man untersuche aber auch eine sehr seltene Art von Hirnvenenthrombosen. „Die verfügbaren Beweise deuten nicht darauf hin, dass Blutgerinnsel in Venen durch den Corona-Impfstoff von AstraZeneca verursacht werden“, teilte die MHRA mit. „Eine weitere, detaillierte Überprüfung von fünf britischen Berichten über eine sehr seltene und spezifische Art von Blutgerinnseln in den Hirnvenen, die zusammen mit verminderten Blutplättchen auftraten, ist im Gange.“

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Damit eine mögliche Zurückhaltung beim Produkt von AstraZeneca nicht zu einem weiteren Impfstau führt, schlagen Intensivmediziner in Deutschland vor, Ausnahmen von der Impfreihenfolge zu machen. „Das Vertrauen in den Impfstoff hat jetzt leider stark gelitten. Es wäre daher sicher eine gute Möglichkeit, AstraZeneca für Freiwillige zur Verfügung zu stellen, die keine Angst haben und in der Impfreihenfolge aber noch gar nicht berücksichtigt werden“, erklärte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, am Donnerstagabend. Es müsse nun jede Impfdosis so schnell wie möglich eingesetzt werden.

Mehr zum Thema: Während in vielen europäischen Ländern die Impfkampagne mit dem AstraZeneca-Impfstoff gestoppt wurde, geht es in Großbritannien weiter.

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