Gebräunt und in Badehose legt So Myong Il ein paar Muscheln auf den Grill am Strand. Offensichtlich liebt er das Meer hier ebenso wie das schroffe, smaragdgrüne Chilbo-Gebirge, das sich hinter ihm erhebt. Dabei ist Kamerad So dienstlich hier: Der Beamte soll im Namen der Regierung Werbung für die malerische Region an der Ostküste Nordkoreas machen. Nach seiner Vorstellung soll es hier einmal kleine und große Hotels für Urlauber aus dem gesamten Land und vielleicht der ganzen Welt geben. „Solange wir unseren geschätzten Marschall als Führer haben, wird unsere Zukunft strahlend sein“, sagt So über Machthaber Kim Jong Un. Es käme ihm nicht in den Sinn, Kim infrage zu stellen. Aber in seiner Stimme schwingt ein Hauch von Besorgnis mit. Und er ist nicht allein.
Nordkorea verfolgt eine neue Strategie aus wirtschaftlicher Entwicklung und engeren diplomatischen Beziehungen zu China, Südkorea und den USA. Doch die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft mischen sich mit Sorgen vor möglichen Kehrseiten wie politischer oder sozialer Instabilität. Hinzu kommt ein Faktor, der schwieriger zu artikulieren ist: die Angst vor dem Unbekannten, selbst wenn es deutlich vielversprechender erscheint als der mühsame Pfad, auf dem sich das Land jahrzehntelang befand. Kim bezeichnet den wirtschaftlichen Aufbau schon seit längerem als sein wichtigstes langfristiges Ziel. Er ließ zu, dass Märkte und Unternehmertum aufblühten. Seit er vor sieben Jahren die Nachfolge seines Vaters antrat, verwandelte sich die Skyline der Hauptstadt Pjöngjang drastisch und ist heute durch mehrere Hochhausviertel geprägt. Die Veränderung der Stadt Wonsan an der Ostküste, wo Kim eine Sommervilla besitzt, verlief fast genauso spektakulär.
Kurz vor dem 70. Jahrestag der Staatsgründung am 9. September wird Kims ambitionierter Entwicklungsplan umgesetzt. Er reicht von kleinen Renovierungen an Rathäusern bis zum aufwendigen Umbau der abgelegenen Stadt Samjiyon im Norden des Landes, die zu einem weiteren sozialistischen Aushängeschild nach dem Vorbild Pjöngjangs werden soll.





Die Entwicklung der Wirtschaft – und der mögliche Beitrag der USA dazu – war auch der große Trumpf von US-Präsident Donald Trump bei seinem Treffen mit Kim in Singapur vor drei Monaten, bei dem beide ein Abkommen zur nuklearen Abrüstung Nordkoreas aushandelten. Kims diplomatische Annäherungsversuche dienen aber nicht dazu, amerikanischen Kapitalisten die Tür zu öffnen. Ziel ist vielmehr, die USA dazu zu bewegen, keine Sanktionen gegen Nordkorea mehr zu unterstützen. Kim versucht, China und die USA gegeneinander auszuspielen, jegliches Entgegenkommen mitzunehmen und seine Position flexibel an die jeweilige Situation anzupassen.
Damit niemand einen falschen Eindruck bekommt, flankiert die regierende Arbeiterpartei den Prozess in ihrer Tageszeitung mit einem Lobgesang auf den Sozialismus. Antikapitalistische und antiimperialistische Abhandlungen unterstreichen den offiziellen Widerstand Nordkoreas gegen den amerikanischen Lebensstil. Oder, wie es im Jargon der Propagandamaschine heißt: gegen die „bourgeoise ideologische und kulturelle Vergiftung der Imperialisten“.
In Pjöngjang herrscht seit einigen Monaten eine gespannte Stimmung. Für ausländische Diplomaten etwa wurden die Bewegungseinschränkungen weiter verschärft. Interviewanfragen der Nachrichtenagentur AP für Gespräche mit Regierungsvertretern oder auch Normalbürgern wurden meist abgelehnt. Über Kims Treffen mit Trump im Juni und seine diversen Gipfel mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und dem südkoreanischen Staatschef Moon Jae In berichteten die staatlichen nordkoreanischen Medien kaum. Kim wurde als perfekter Staatsmann dargestellt, der eine ausgeklügelte Strategie verfolgt, um sein Land sicherer und wohlhabender zu machen.
Kim wirbt leidenschaftlich um südkoreanische Investitionen, um genau die Dinge zu bauen, die Trump ihm anbot: Infrastruktur, vor allem Straßen und Bahnlinien, und die Entwicklung ausgewählter Tourismusgebiete. Auch China macht er in ähnlicher Weise den Hof. Die Erklärung Pjöngjangs für den Wechsel in der Außenpolitik klang konsistent. Nach dem Aufbau einer glaubhaften nuklearen Abschreckung gegen die USA geht Kim nun auf Seoul zu, um dauerhaften Frieden auf der koreanischen Halbinsel zu sichern.





Zweifelsohne waren die Fotos von Kim beim Händeschütteln mit Trump, dessen Gesicht zuvor nie auf der Titelseite einer nordkoreanischen Zeitung zu sehen war, für viele Nordkoreaner ein Zeichen für einen großen und verwirrenden Wandel. Doch die Behörden stellten sicher, dass die Menschen nicht viel Zeit hatten, darüber nachzugrübeln. Die normale Arbeitsroutine wurde für weite Teile der Bevölkerung auf Eis gelegt: Stattdessen wurden sie für Entwicklungsprojekte mobilisiert. In Pjöngjang arbeiten zudem Zehntausende fieberhaft an der Vorbereitung der Feierlichkeiten zum Jahrestag.
Das Chilbo-Gebirge im Nordosten des Landes ist eines der am meisten geschätzten Naturwunder Nordkoreas. Das erste Hotel für nicht-koreanische Besucher eröffnete in den 1980er Jahren, 2004 folgte eine Lodge in Strandnähe, wie So erklärt, ein Vertreter des Volkskomitees der Provinz Nord-Hamgyong. Zusammen haben beide Unterkünfte eine Kapazität für weniger als 100 Gäste und sind nur von April bis Anfang November in Betrieb. Viele einheimische Gäste zelten am Strand. Selbst in dieser ländlichen Ecke ist der Druck deutlich spürbar, zu Kims großem Entwicklungsprogramm beizutragen: So kündigt an, bald nach China zu reisen, um über Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zu beraten.