China, Russland, Corona Kollektives Aufatmen nach Trump: Das sind die Beschlüsse der G7

Quelle: AP

Beim G7-Gipfel in Cornwall tritt Joe Biden den Beweis an, dass die Verbündeten nach den Trump-Jahren wieder auf die USA bauen können – auch wenn Differenzen bleiben. Das steht in der 25-seitigen Abschlusserklärung.

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Zum Grillabend trifft man sich mit Freunden, und ein solches Signal dürfte G7-Gastgeber Boris Johnson beim Barbecue am Strand von Cornwall beabsichtigt haben. Frisch vom Grill wird den Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigen Industriestaaten und ihren Gästen am letzten Gipfel-Abend in Großbritannien Steak und Hummer gereicht, danach gibt es unter anderem Marshmallows. All das kennt der Mann, auf den sich alle Augen richteten, aus seiner amerikanischen Heimat. Für US-Präsident Joe Biden ist der Gipfel der erste Auftritt auf der Weltbühne seit seinem Einzug ins Weiße Haus. Der G7-Gruppe ist mit Biden der Neuanfang geglückt - auch wenn die demonstrative Harmonie nicht über Differenzen hinwegtäuschen kann.

Nach vier Chaos-Jahren mit Biden-Vorgänger Donald Trump machen die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigen Industriestaaten in Cornwall keinen Hehl aus ihrer Erleichterung. Der britische Premierminister Johnson - der Trump aus der Gruppe am nächsten stand - schwärmt vom „frischen Wind“, den Biden bringe. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron legt nach dem Auftaktfoto den Arm um ihn, wie bei einem alten Freund. „Es ist großartig, einen US-Präsidenten zu haben, der Teil des Clubs und sehr bereit ist, zu kooperieren“, sagt Macron später bei einem Treffen mit Biden - und fügt an dessen Adresse hinzu: „Sie zeigen, dass Führung Partnerschaft bedeutet.“

Partnerschaft statt Alleingänge, Zusammenarbeit statt Zwist, „Amerika ist zurück“ statt „Amerika zuerst“ - die US-Nachrichtenseite Politico meint, Biden habe während seiner ersten Auslandsreise als Präsident viele Botschaften für die Verbündeten im Gepäck, womöglich sei diese aber die deutlichste: „Ich bin nicht Donald Trump.“ Auch Kanzlerin Angela Merkel sagt, Biden „repräsentiert das Bekenntnis zum Multilateralismus, das uns doch in den letzten Jahren gefehlt hat“. Am ersten Gipfeltag lädt Biden Merkel für den 15. Juli ins Weiße Haus ein, um „die tiefen bilateralen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland“ zu unterstreichen.

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von Bert Losse

Schon in Cornwall - Bidens erstem und Merkels letztem G7-Gipfel - kommen die beiden zusammen. Von einem „großartigen Treffen“ spricht Biden danach in einem Tweet, er schreibt: „Die Verbindungen zwischen unseren beiden Nationen sind stärker denn je.“ Das ist Balsam für die Deutschen, die zu Trumps Lieblingsgegnern gehört haben. Das gleiche gilt für die EU, deren Spitzenvertreter ebenfalls beim Gipfel sind. Trump bezeichnete die EU einst als „Gegner“. Biden sagt nun: „Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass die Europäische Union eine unglaublich starke und lebendige Einheit ist.“ Und über die Nato: „Der Zusammenhalt der Nato liegt uns sehr, sehr am Herzen.“ Trump drohte dagegen mit dem Austritt aus dem Bündnis.

Das alles klingt gut. Doch hinter den Kulissen gibt es vor allem auf europäischer Seite auch eine gehörige Portion Ernüchterung. So zeigt sich Biden in der Klimapolitik bislang bei weitem nicht so zielstrebig wie es sich viele in der EU gewünscht hätten. Und auch bei den Bemühungen um eine Wiederbelebung des von Trump lahmgelegten Streitbeilegungsmechanismus der Welthandelsorganisation (WTO) ist der Demokrat bislang nicht die erhoffte Hilfe.

Hinzu kommt, dass Biden im Umgang mit China klar auf Konfrontation setzt, während die Europäer nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen eine zu starke Polarisierung vermeiden wollen. Auch beim Patentschutz für Corona-Impfstoffe beispielsweise liegen die G7 weiterhin nicht auf einer Linie: Biden und mehrere andere haben sich für eine Aussetzung offen gezeigt, Merkel zum Beispiel gehört jedoch zu den Gegnern. Das alte Streitthema Nord Stream 2 kommt beim Treffen Bidens und Merkels ebenfalls zur Sprache.

Das alles kann gleichzeitig aber nicht verhindern, dass Biden sein wichtigstes Ziel erreicht: Den Beweis anzutreten, dass die USA wieder auf die Zusammenarbeit mit ihren demokratischen Verbündeten setzen - und dass die Vereinigten Staaten bereit dazu sind, bei globalen Fragen eine Führungsrolle einzunehmen. Schon zum Auftakt seiner ersten Europareise hatte Biden dazu aufgerufen, die Demokratien der Welt gegen den Vormarsch von autoritären Systemen wie in China und Russland zu verteidigen.

Beim Thema Russland zeigt die G7 den Schulterschluss und stärkt Biden wie von ihm erhofft den Rücken. „Wir bekräftigen unser Interesse an stabilen und berechenbaren Beziehungen zu Russland“, heißt es im Entwurf der G7-Abschlusserklärung. „Wir bekräftigen nochmals unsere Aufforderung an Russland, sein destabilisierendes Verhalten und seine schädlichen Aktivitäten zu stoppen, einschließlich seiner Einmischung in die demokratischen Systeme anderer Länder, und seine internationalen Verpflichtungen und Zusagen im Bereich der Menschenrechte zu erfüllen.“

Diese Geschlossenheit gegenüber Moskau ist für Biden jetzt besonders wichtig. Am Mittwoch geht er - nach Spitzentreffen mit der Nato und der EU in Brüssel - in seinen mit Spannung erwarteten Gipfel mit Kremlchef Wladimir Putin in Genf. G7-Gastgeber Johnson sagt CNN dazu in Cornwall, er gehe davon aus, dass Biden Putin bei dem Gespräch „einige ziemlich harte Botschaften“ übermitteln werde.

Klima, Impfstoffe, Steuern: G7 demonstrieren Handlungsfähigkeit

Von Cornwall ging indes eine deutliche Botschaft aus: Die G7 stehen zusammen und fassen weitreichende Beschlüsse in der Klima- und Corona-Politik. Nach dreitägigen Beratungen einigten sich die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten westlichen Industriestaaten am Sonntag auf eine Erklärung, die etwa zusätzliche Ausgaben bei der Klimafinanzierung sowie die Lieferung zusätzlicher Impfdosen an ärmere Länder vorsieht. Die Volkswirtschaften sollen auf dem Weg aus der Pandemie so lange unterstützt werden wie nötig, heißt es in der Erklärung. Um Chinas wachsenden Einfluss in der Welt etwas entgegenzusetzen, soll außerdem die westliche Entwicklungshilfe verstärkt und besser koordiniert werden.

Gleich zu Beginn der 25-seitigen Abschlusserklärung wird betont, dass die G7 als Demokratien freie Gesellschaften unterstützen. Rechtsstaatlichkeit sowie internationale Zusammenarbeit seien die beste Grundlage überall auf der Welt. „Diese offene und widerstandsfähige internationale Ordnung ist die beste Garantie für Sicherheit und Wohlstand für unsere eigenen Bürger“, heißt es.

Die Beschlüsse des Gipfels im Überblick:

China: Ein zentrales Thema war der Umgang mit China. In der Abschlusserklärung wird jegliche Form der Zwangsarbeit kritisiert - ohne dass China dabei direkt genannt wird. Allerdings betonte US-Präsident Biden, dass Peking ausdrücklich wegen Rechtsstaatsverletzungen in der Region Xinjiang und Hongkong kritisiert wird. Zugleich wird aber die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit China beim Thema Klima betont. Gleichzeitig beschlossen die G7 eine neue Task Force, die eine Alternativ-Initiative zum chinesischen Seidenstraßen-Projekt vorantreiben soll. Merkel bezeichnete diese Form der Zusammenarbeit im G7-Rahmen als völlig neu. Sie hoffe, dass bis zum nächsten G7-Gipfel dann unter deutscher Präsidentschaft 2022 erste Vorhaben ausgemacht seien. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Johnson forderten China auf, die Herkunft des Corona-Virus aufzuklären.

Russland: Das Land wird aufgefordert, Cyberattacken zu unterlassen und stärker gegen Gruppen vorzugehen, die solche Attacken etwa auf Infrastruktureinrichtungen im Westen unternehmen. Russland wird für ein „destabilisierendes Verhalten“ kritisiert und aufgefordert, Spannungen in der Ostukraine nicht zu verschärfen.

Corona: Den ärmeren Staaten versprechen die G7 die Lieferung von mehr als zwei Milliarden Impfdosen bis Ende 2022. Merkel sprach sogar von 2,3 Milliarden Dosen, die vor allem über die Impfallianz Covax geliefert werden sollen. Deutschland finanziere in diesem Rahmen die Lieferung von 350 Millionen Impfdosen. Zudem sollen die Impfstoff-Produktion in Afrika und freiwillige Lizenzierungen vorangetrieben werden. Auf die US-Forderung nach einer Freigabe der Patente, die etwa Deutschland abgelehnt hatte, gingen die G7 nicht ein.



Klima: Die G7-Staaten einigten sich nicht auf ein konkretes Kohle-Ausstiegsdatum. In den 2030er Jahren soll aber die Kohleverstromung weitgehend zurückgeführt werden. Merkel betonte, dass die fehlende Festlegung auf ein Ausstiegsdatum nicht an Deutschland gelegen habe. Die G7-Staaten wollen ihren Beitrag leisten, dass ärmere Länder die zugesagten 100 Milliarden Dollar jährlich für Maßnahmen gegen den Klimawandel erhalten. Deutschland will seinen jährlichen Beitrag von derzeit vier Milliarden Euro bis spätestens 2025 auf sechs Milliarden steigern.

Steuern: Die Staats- und Regierungschefs übernehmen den Beschluss der G7-Finanzminister, eine 15-prozentige Mindeststeuer für Unternehmen in allen Ländern einzuführen. Diese Pläne sollen nun im Rahmen der OECD und der G20 weiter vorangetrieben werden.

Wirtschaft: In der Abschlusserklärung wird die Bedeutung des internationalen Reisens für die Weltwirtschaft betont. Dafür sei ein Bündel an gemeinsamen Standards für das Reisen nötig, wozu etwa die gegenseitige Anerkennung von digitalen Anwendungen, Tests und des Impfstatus gehörten. Zudem wird eine Reform der Welthandelsorganisation gefordert.

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Internet und Weltall: Ausdrücklich wird auf die Notwendigkeit verweisen, künftige auch neue Regeln für Bereiche wie das Internet und das Weltall zu definieren. Wegen der fundamentalen Rolle der Telekom-Infrastruktur müsse auch beim Mobilfunknetz 5G ein sicheres Netzwerk garantiert werden. Dies ist eine Anspielung auf die Debatten über den umstrittenen Einsatz von Produkten des chinesischen Netzwerkausrüsters Huawei, der aber nicht genannt wird.

Bildung: Die westlichen Industriestaaten betonen zudem, dass die Entwicklung von Ländern nur durch bessere Bildungsangebote für Mädchen und Frauen gelingen kann.

Mehr zum Thema: Biontech, Moderna, AstraZeneca, Johnson & Johnson. Wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede? Corona-Impfstoffe im Vergleich.

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