Digitalisierung Bei Japans Behörden ist die Diskette noch immer Alltag

Japan ist nicht so fortschrittlich, wie es ihm nachgesagt wird. Disketten sind zum Beispiel noch sehr regelmäßig im Einsatz. Quelle: Illustration: Patrick Zeh

Ein neuer Digitalminister soll die japanische Verwaltung endlich ins 21. Jahrhundert katapultieren. Denn Japans Ruf als Hightechnation ist besser als die oft analoge Wirklichkeit – ein kleiner Trost für Deutschland, das in der Digitalisierung ebenfalls hinterhinkt.

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„Verzichtet auf Disketten, CD-Roms, Mini-Discs, Faxgeräte und andere Retrotechnik!“ Mit diesem Schlachtruf an Behördenmitarbeiter hat der Reformpolitiker Taro Kono sein Amt als Japans Digitalminister angetreten. Laut einer internen Untersuchung müssen Bürger und Unternehmen in Japan solche technologisch längst überholten Speichermedien noch für 1900 Behördenvorgänge und Verwaltungsakte verwenden.

Das blockiere den Wechsel zum Cloud Computing, beklagte der populäre 59-Jährige, der Mitte August unter der neuen Bezeichnung „Minister für digitale Transformation“ Karen Makishima in der Leitung der vor einem Jahr geschaffenen Digitalagentur mit inzwischen 700 IT-Fachleuten ablöste. „Wo kann man heutzutage überhaupt noch eine Diskette kaufen?“, fragte Kono laut.

Die Nutzung von Floppy Discs und die Einführung eines Digitalministeriums tief im 21. Jahrhundert passen so gar nicht zum westlichen Klischeebild von Japan als einer Hochtechnologienation mit Supercomputern, Industrierobotern, Erdbeben-Frühwarnsystemen, Roboterhunden und Videospielen. „Japan gehörte zu den Pionieren für den Flash-Speicherchip, die tragbare Spielekonsole, die CD, das Musikstreaming, das mobile Internet und die Verwendung von Emoji“, betont Björn Eichstädt von der PR-Agentur Storymaker, die Technologieunternehmen aus Japan auf dem deutschen Markt unterstützt.

Anfang August trat Reformpolitiker Taro Kono sein Amt als Japans Digitalminister an. Quelle: AP

Doch der Nimbus schmilzt dahin. Die Schweizer Wirtschaftsakademie IMD stuft Japan in der digitalen Wettbewerbsfähigkeit nur auf Platz 28 unter 68 Nationen ein – Deutschland belegt Platz 18. Und die European Agency for Digital Competitiveness der ESCP Business School in Berlin bescheinigt Japan, in den vergangenen drei Jahren auf diesem Feld „deutlich an Boden verloren“ zu haben.

Einen Nachweis für die analoge Misere lieferte kürzlich der Premierminister selbst: Als Fumio Kishida sich mit dem Coronavirus infizierte, trat er nicht per Videokonferenz vor die Presse, sondern sprach über einen in der Regierungszentrale aufgestellten Fernseher, vor dem sich die Journalisten mit ihren Kameras, Mikrofonen, Rekordern und Notizblöcken stehend versammelten. „Mich ärgert es, dass ein Land, das einmal an der Spitze der Industrialisierung stand, in der Digitalisierung so rückständig ist“, bestätigt Mario Spitzer, seit 15 Jahren der Präsident der Japan-Tochter des Motorgeräteherstellers Stihl, den Mangelzustand.

Vielen in Japan lebenden Ausländern fallen schnell weitere negative Beispiele ein. So lassen sich die Fahrkarten für die berühmten Shinkansen-Superschnellzüge nur in Papierform an einem Automaten oder einem Schalter in einem Bahnhof erwerben. Lediglich Japan Railways (JR) West erlaubt eine Online-Vorbuchung – die Fahrkarte erhält man aber nur nur an einem Bahnschalter in West-Japan. Eine Ticket-App wie der DB Navigator oder Fahrkarten mit QR-Code bietet keines der sieben JR-Unternehmen an, ebenso wenig einen kostenlosen WLAN-Zugang während der Fahrt.

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Dabei kann Japan auch ganz anders: Für S- und U-Bahnen sowie Regionalzüge ohne Sitzplatzreservierungen sind Fahrkarten schon seit vielen Jahren landesweit so gut wie abgeschafft. Beim Betreten des Bahnhofs A registriert ein Lesegerät in der Eingangssperre über einen berührungslosen Kontakt einen Funkchip im Handy oder in der Geldkarte des Reisenden, beim Verlassen des Zielbahnhofs B rechnet ein Zentralrechner dann in Sekundenbruchteilen die Fahrtkosten von A nach B aus und bucht das Geld sofort ab.

Die japanische Dauerliebe zum Faxgerät sorgt bei Ausländern ebenfalls für Gesprächsstoff. „Ich habe sehr gegen das Fax gekämpft und viele Geräte abschalten lassen, trotzdem gab es immer noch irgendwelche Schlupflöcher, durch die Faxe ankamen“, erzählt ein hochrangiger Manager, der gerade viereinhalb Jahre im japanischen Werk eines deutschen Unternehmens absolviert hat. Stihl-Japan-Chef Spitzer macht ähnliche Erfahrungen: „Wir haben immer noch viele Kunden, die es ablehnen, Ersatzteile über unser Eingabesystem zu bestellen, und darauf bestehen, ein Fax zu schicken.“ Auf der anderen Seite sei die 4G- und 5G-Netzabdeckung im Mobilfunk landesweit lückenlos, berichtet Spitzer. „Hier liegt Japan sehr weit vorne.“

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