Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist in der Hafenstadt Tianjin zu ihrem mit Spannung erwarteten Antrittsbesuch in China eingetroffen. In der Stadt südöstlich der Hauptstadt Peking will die Grünen-Politikerin unter anderem den Unterricht an einer Pasch-Partnerschule besuchen und ein deutsches Unternehmen besichtigen, das Windturbinen produziert. Die zentralen politischen Gespräche sind in Peking geplant.
Baerbock hat zu ihrem Antrittsbesuch in China das Ziel betont, Chancen für eine künftige Zusammenarbeit auszuloten und Gefahren einseitiger Abhängigkeit abzubauen. „Für unser Land hängt viel davon ab, ob es uns gelingt, unser zukünftiges Verhältnis mit China richtig auszutarieren”, sagte die Grünen-Politikerin vor dem Abflug zu ihrem ersten Besuch in China.
Ganz oben auf ihrer Agenda stehe aber auch das Interesse, „den Krieg vor unserer europäischen Haustür in der Ukraine schnellstmöglich, dauerhaft und gerecht zu beenden”.
Nordkorea testet Raketen
Überschattet wird der Besuch durch einen neuen Raketentest Nordkoreas heute Morgen, Chinas Militärmanöver zur Einschüchterung des demokratischen Taiwans und die hohen Haftstrafen von 12 und 14 Jahren für zwei der bekanntesten chinesischen Bürgerrechtler Xu Zhiyong und Ding Jiaxi. Nach Angaben des südkoreanischen Generalstabs flog die nordkoreanische Rakete mit einer Reichweite von möglicherweise tausenden Kilometern in Richtung offenes Meer. Die Erprobung ballistischer Raketen, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können, ist Nordkorea durch UN-Beschlüsse untersagt.
Auch angesichts der Rückendeckung Pekings für Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte die Reise für Baerbock eine der diplomatisch schwierigsten Missionen ihrer bisherigen Amtszeit werden. China trage als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine besondere Verantwortung für den Weltfrieden, betonte Baerbock. Welche Rolle China mit seinem Einfluss auf Russland übernehme, „wird für ganz Europa und unsere Beziehung zu China Folgen haben”, sagte sie.
„Kein Interesse an wirtschaftlicher Entkopplung”
„Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale – das ist der Kompass der europäischen China-Politik. In welche Richtung die Nadel künftig ausschlagen wird, liegt auch daran, welchen Weg China wählt”, sagte Baerbock. Sie wolle Chancen für mehr Zusammenarbeit bei der Förderung der Zivilgesellschaft, beim Klimaschutz und in Zukunftsbranchen wie erneuerbare Energien ausloten. Es sei klar: „An einer wirtschaftlichen Entkopplung haben wir kein Interesse – dies wäre in einer globalisierten Welt ohnehin schwer möglich.” Man müsse aber die Risiken einseitiger Abhängigkeiten systematischer in den Blick nehmen und abbauen, „im Sinne eines De-Risking”.
Dies gelte gerade auch „mit Blick auf das Horrorszenario einer militärischen Eskalation in der Taiwanstraße, durch die täglich 50 Prozent des Welthandels fließen”, sagte Baerbock. Sie werde deshalb auch die gemeinsame europäische Überzeugung unterstreichen, dass eine einseitige Veränderung des Status quo in der Meerenge der Taiwanstraße und erst recht eine militärische Eskalation inakzeptabel wären. Selbstverständlich wolle sie in China auch über den Schutz der universellen Menschenrechte sprechen, sagte die Ministerin. Dieser müsse Bestandteil fairer Wettbewerbsbedingungen sein.
Zentrale Gespräche beginnen Freitag
Baerbock wollte ihren Besuch heute in der Hafenstadt Tianjin beginnen. In der Stadt südöstlich der Hauptstadt Peking will sie unter anderem den Unterricht an einer Pasch-Partnerschule besuchen und ein deutsches Unternehmen besichtigen, das Windturbinen produziert. Mit dem 2008 vom Auswärtigen Amt gegründeten Pasch-Projekt „Schulen: Partner der Zukunft” werden nach Angaben der Initiative weltweit mehr als 2000 Schulen vernetzt, an denen Deutsch einen besonders hohen Stellenwert hat. Die zentralen politischen Gespräche sind morgen in Peking geplant.
Nach den umstrittenen Äußerungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Konflikt um Taiwan appellierte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen an Baerbock, in China ein Bekenntnis Deutschlands für einen uneingeschränkten europäischen Kurs abzulegen. „Die deutsche Außenministerin muss die Bundesregierung ohne Wenn und Aber in diese europäische Linie einreihen. Wenn daran Zweifel zurückbleiben, würde sie den Schaden, den Macron angerichtet hat, weiter vergrößern”, sagte Röttgen der „Rheinischen Post” und dem Bonner „General-Anzeiger”.
Worum geht es bei dem Streit um Taiwan?
Der kommunistische Machtanspruch geht auf die Gründungsgeschichte der Volksrepublik China zurück. Nach der Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten zog die nationalchinesische Kuomintang-Regierung mit ihren Truppen nach Taiwan, während Mao Tsetung 1949 in Peking die Volksrepublik ausrief. Der heutige Staats- und Parteichef Xi Jinping sieht eine „Vereinigung“ mit Taiwan als „historische Mission“.
Stand: September 2023
Die Insel zwischen Japan und den Philippinen hat große strategische Bedeutung. US-General Douglas MacArthur bezeichnete Taiwan einst als „unsinkbaren Flugzeugträger“ der USA. Eine Eroberung durch China wäre ein wichtiger Baustein in dessen Großmacht-Ambitionen, weil es das Tor zum Pazifik öffnen würde.
China zwingt jedes Land, das diplomatische Beziehungen mit Peking haben will, keine offiziellen Kontakte mit Taiwan zu unterhalten. Es ist vom „Ein-China-Grundsatz“ die Rede. Danach ist Peking die einzige legitime Vertretung Chinas. Auf chinesischen Druck wurde Taiwan aus den Vereinten Nationen und internationalen Organisationen ausgeschlossen. Nur wenige kleinere Länder unterhalten noch diplomatische Beziehungen. Deutschland oder die USA betreiben nur eine inoffizielle Vertretung in Taipeh.
Die Taiwaner verstehen sich mehrheitlich längst als unabhängig und wollen zumindest den Status quo wahren. Auch wollen sie als Demokratie international anerkannt werden und sich keinem diktatorischen System wie in Festlandchina unterwerfen. Die frühere Kuomintang-Regierung hatte einst selber einen Vertretungsanspruch für ganz China, was sich bis heute im offiziellen Namen „Republik China“ widerspiegelt. Dieser Anspruch wurde 1994 aufgegeben. Damals wandelte sich Taiwan von einer Diktatur zu einer lebendigen Demokratie. Jede Veränderung des Status quo müsste aus Sicht der Regierung heute demokratisch von den 23 Millionen Taiwanern entschieden werden.
Experten gehen davon aus, dass ein Krieg um Taiwan massive und größere Auswirkungen hätte als der Angriff Russlands auf die Ukraine - auch auf Deutschland. Taiwan ist Nummer 22 der großen Volkswirtschaften, industriell weit entwickelt und stark mit der Weltwirtschaft verflochten. Ein Großteil der ohnehin knappen Halbleiter stammen von dortigen Unternehmen. Wegen der großen Abhängigkeit vom chinesischen Markt wären deutsche Unternehmen massiv betroffen, wenn ähnlich wie gegen Russland wirtschaftliche Sanktionen gegen China verhängt werden sollten.
Stand: September 2023
Sorge auch wegen Ukraine-Krieg
Macron hatte in Interview-Äußerungen nach seinem China-Besuch in der vergangenen Woche Europa zu einem eigenständigeren Kurs in der Taiwan-Frage aufgerufen und betont, Europa solle gleichermaßen Distanz zu China und zu den USA halten.
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Der Repräsentant Taiwans in Deutschland, Shieh Jhy-Wey, sagte dem „Tagesspiegel”: „Gerade vor den jüngsten Äußerungen von Herrn Macron hoffe ich, dass Frau Baerbock, die als Verfechterin freiheitlicher Werte bekannt ist, in Peking Klartext spricht und unterstreicht, dass Deutschland jeden Versuch Chinas ablehnt, die Taiwan-Frage mit Gewalt zu lösen.” Am Beispiel der Ukraine sehe man, dass nur transatlantische Einigkeit Erfolg habe. „Wenn dieser Schulterschluss auch bei Taiwan gelingt, weiß China, dass es keine Chance hat, uns militärisch zu unterdrücken.”
Opposition übt Kritik
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt forderte von Baerbock eine klare Strategie gegenüber Peking. „Ich hätte erwartet, dass Frau Baerbock ihre lang angekündigte China-Strategie vorlegt, bevor sie nach Peking reist”, sagte der Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Unsere Unternehmen müssen endlich wissen, welche China-Politik die Ampel verfolgt, wie sie unsere Souveränität stärken und strategische Abhängigkeiten reduzieren will.” Diese Antworten bleibe Baerbock weiter schuldig.
Die Vizechefin der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Gyde Jensen (FDP), rief Baerbock zu klaren Worten auf. „Annalena Baerbock hat gezeigt, dass sie nicht auf leisen Sohlen daherkommt, um nur ja niemanden zu verschrecken”, sagte Jensen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „So sollte sie auch in China klar Stellung beziehen, die Einhaltung von Menschenrechten einfordern, aber auch die von völkerrechtlichen Verträgen.”
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