Die USA wählen einen neuen Präsidenten. Was geht uns das in Deutschland an?
Am liebsten würde man sich angewidert abwenden. Der Wahlkampf in den USA ist bestenfalls skurril, vielmehr aber schockierend. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump schimpft auf Einwanderer, die muslimische Welt und China; seine demokratische Gegenspielerin Hillary Clinton beschimpft die potenziellen Trump-Wähler und steckt tief im Sumpf ihrer E-Mail-Affäre. Können wir die USA nicht einfach machen lassen und uns um Europa und unsere eigenen Probleme kümmern?
So einfach ist es nicht. Die USA sind das mächtigste Land der Welt – und ein unverzichtbarer Partner für Deutschland. Als Handelspartner und in der Außenpolitik. Beispiel Syrien-Krise: Der ultimative Auslöser der Flüchtlingskrise lässt sich nur international lösen. Ziehen sich die USA zurück, entsteht ein Vakuum, das den Konflikt in die Länge ziehen und den IS erstarken lassen würde. Im Ukraine-Konflikt standen die USA fest an der Seite der Ukrainer und Europäer und machten deutlich, dass sie nicht gewillt sind, Russlands Präsident Wladimir Putin tatenlos zuzuschauen, sollte er seinen Großmachtphantasien Nachdruck verleihen. Während Trump keine Strategie gegen den IS hat und am Sinn des Militärbündnisses Nato zweifelt, hat sich Clinton klar zu den US-Partnern im Westen bekannt und angekündigt, die bisherigen US-Angriffe gegen den IS weiterführen und ausbauen zu wollen.
In Wirtschaftsfragen unterscheiden sich beide Kandidaten nicht ganz so deutlich. Sowohl Trump als auch Clinton sehen den Freihandel kritisch, wollen die USA abschotten und die Unternehmen zwingen, mehr Jobs in Amerika zu schaffen. Für Deutschland eine schlechte Nachricht. Mit keinem anderen Land hat die Bundesrepublik im vergangenen Jahr mehr Handel betrieben als mit den USA. 2015 wurden laut dem Statistischen Bundesamt Waren im Wert von 173,2 Milliarden Euro zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten ausgetauscht. Neue Rekordzahlen wird es künftig wohl nicht geben: Das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) dürfte unter beiden Kandidaten nur noch geringe Chance haben, Clinton aber dürfte etwas weniger restriktiv gegen ausländische Unternehmen durchgreifen als Trump.
Wer gewinnt die Wahlen?
Hillary Clinton geht als große Favoritin in den Wahltag. Die "New York Times" beziffert ihre Siegchancen auf 85 Prozent. Donald Trump steht bei 15 Prozent. Die Wahlbeobachter von "fivethirtyeight.com" beziffern Clintons Siegchancen immerhin noch auf 68,5 Prozent.
Der Hintergrund: Clinton hat 216 von den benötigten 270 Wahlmänner-Stimmen bereits so gut wie sicher. Aufgrund von Bevölkerungsstruktur, Historie und Umfragen ist es klar, dass sie in Staaten wie Kalifornien, New York oder Illinois gewinnen wird. Trump hat nur 164 Stimmen sicher.
Sollte Clinton von den 14 umkämpften Staaten alleine Florida, Pennsylvania und Colorado holen, ist sie bereits durch. Fällt ein Staat weg, kann sie mit Siegen in Michigan, Maine oder North Carolina locker ausgleichen. Trump hat weitaus weniger Optionen. Er muss Florida, North Carolina und Ohio gewinnen, um eine realistische Siegchance zu haben. Ausgeschlossen ist das nicht. Erinnert sei an das Brexit-Votum, bei dem alle Umfrageinstitute falsch lagen.
Das Wahlsystem der USA - manipulierbar und undemokratisch?
Werden die Wahlen manipuliert?
Beide Präsidentschaftskandidaten fürchten, dass das Votum manipuliert werden könnte. Trump stachelte seine Wähler an, dass es Wahlbetrug sein müsse, wenn er verlieren sollte. Clinton hingegen glaubt, dass Russland versuchen könnte, die Abstimmung zu beeinflussen.
Wahr ist: Hacker haben sich Zugang zu den Wählerverzeichnissen von Illinois und Arizona verschafft. Das bestätigte das FBI. Laut Medienberichten sollen die Wählerdatenbanken von mehr als 20 US-Bundesstaaten angegriffen worden sein. Offenbar wurden aber keine Daten geändert. Vielmehr ging es den Hackern darum, die Informationen zu verkaufen. Selbst wenn die Datenbanken verändert worden wären: die Bürger könnten trotzdem noch wählen gehen. Das Chaos über unterschiedliche Daten würde aber wohl zu Verzögerungen führen.
Der zweite Angriffspunkt sind elektronische Wahlmaschinen, die in einigen Bundesstaaten zum Einsatz kommen. Über zwei Drittel der Wähler machen ihr Kreuz auf Papier. Betrug von außen: unmöglich. Knapp ein Drittel aber wird elektronische Wahlmaschinen benutzen, die per se angreifbar sind – sollte ein Angreifer physischen Zugang zu dem einzelnen Gerät haben. Ans Internet angeschlossen sind die Maschinen nämlich nicht. Und: Die Geräte drucken nach jeder Stimmabgabe einen Beleg aus, auf dem die Wähler überprüfen können, ob alles seine Richtigkeit hat.
Rund sieben Millionen Maschinen älterer Jahrgänge drucken keinen Beleg aus. Diese Geräte sind folglich am ehesten manipulierbar. Aber: Herauszufinden, wo diese Geräte zum Einsatz kommen und dann jedes einzelne von ihnen zu manipulieren, erfordert jede Menge Wissen und Ressourcen. Kurzum: Manipulationen im großen Stil dürften nahezu ausgeschlossen sein.
Sind die US-Wahlen undemokratisch?
Das Wahlsystem in den USA unterscheidet sich fundamental von dem deutschen Urnengang zur Bundestagswahl. Wie bei uns sind die Wahlen geheim – die Stimmabgabe erfolgt unbeobachtet und unbeeinflusst in einer Wahlkabine – und frei. So kann sich ein jeder US-Bürger theoretisch zur Wahl aufstellen lassen, für den Bürger gibt es am Wahltag mehrere Kandidaten zur Auswahl.
Hillary Clinton im Portrait
Rechtsanwältin
26. Oktober 1947, 69 Jahre alt
Skorpion
Chicago
1,67 Meter
Verheiratet mit Ex-US-Präsident Bill Clinton, mit dem sie Tochter Chelsea hat.
„Stronger Together“
Das Problem: Nicht jede Stimme zählt gleich viel. In den USA wird der Präsident über Wahlmänner bestimmt. Zwar schickt jeder Bundesstaat abhängig von seiner Größe eine unterschiedliche Zahl an „Electorals“ zur Präsidentenwahl. Kleine Staaten aber werden dabei bevorzugt. So repräsentiert ein Wahlmann aus Kalifornien über 677.000 Bürger, ein Entsandter aus New Hampshire aber nur gut 329.000 Bürger. Jede Stimme hat damit nicht gleich viel Gewicht. „Die Gründungsväter der USA fürchteten, dass kleine Staaten wie New Hampshire unbedeutend werden“, erklärt Geoffrey Skelley, Politikwissenschaftler an der University of Virginia. „Heute genießt es als Swing State große Aufmerksamkeit. Ohne das Wahlmänner-System würde der Staat vollkommen ignoriert. Aber ja, es ist ein Kompromiss, der durchaus Schwächen aufweist.“
Wieso wählen die Amerikaner eigentlich dienstags?
Seit mehr als 160 Jahren wird der mächtigste Mann des Landes an einem Dienstag im November gewählt. Der US-Kongress hatte im Jahr 1845 diesen Termin einheitlich für die Wahl der Wahlmänner der damals erst aus 28 Bundesstaaten bestehenden Vereinigten Staaten festgelegt. In dem Agrarland Amerika sollte der Wahltag zeitlich so liegen, dass die Ernte bereits eingefahren ist. Zugleich durfte der Termin nicht in den Winter fallen, damit die Wähler aus den meist ländlichen Gebieten nicht durch zu schlechtes Wetter an ihrer Reise zum nächsten Wahllokal gehindert wurden.
Den Sonntag schloss der Gesetzgeber als Wahltag aus, weil dies für die religiösen Amerikaner der Tag des Herrn war. Der Montag galt als Anreisetag, denn damals gab es meist nur in der Bezirkshauptstadt die Möglichkeit zu wählen. Der Donnerstag fiel gänzlich aus, weil an dem Tag die damals ungeliebten Briten ihr Parlament wählten. Der Freitag galt als ungünstig, weil man sich auf den Samstag, den traditionellen Markttag, vorbereiten musste. So blieben nur noch der Dienstag oder der Mittwoch übrig.
Die Wahl fiel schließlich auf den Dienstag nach dem ersten Montag im November. Dadurch wurde ausgeschlossen, dass der Wahltag auf einen 1. November fällt. Denn am ersten Tag eines Monats wurden an vielen Orten Gericht gehalten. Auch führten Händler ihre Bücher für den vorangegangenen Monat. Und es ist Allerheiligen – ein Kirchenfest.
So geht es nach der US-Wahl weiter
Wann steht der Sieger fest?
Mit dem Schließen der Wahllokale, vielerorts um 19 Uhr Ortszeit, sollten ab 1 Uhr nachts MEZ erste zuverlässige Prognosen von einzelnen Bundesstaaten möglich sein. Wenn um 01.30 Uhr nachts MEZ die Wahllokale in den wichtigen - weil umkämpften - Staaten North Carolina und Florida schließen, wird es richtig spannend. Je enger der Ausgang in einem Bundesstaat, desto später werden Meinungsforscher eine Prognose abgeben, wer den Staat gewinnt. In Florida wird es wohl stundenlang dauern, bis ein Sieger ernannt werden kann.
Sollte Clinton Florida und North Carolina, oder auch North Carolina und Pennsylvania gewinnen, hat sie beste Siegchancen. Schon vor Mitternacht (Eastern Time), also 6 Uhr MEZ, könnte dann feststehen, wer im Januar ins Weiße Haus einzieht. Möglich ist aber auch, dass es eine tage- und wochenlange Hängepartie gibt.
Was passiert bei einer Patt-Situation?
Die Umfragen sagen ein enges Rennen voraus – so eng, dass selbst ein Patt möglich ist. Weder Clinton noch Trump kämen demnach auf die erforderlichen 270 Wahlmännerstimmen. Beiden würde etwa 269 Stimmen auf sich vereinen. Oder weniger, sollte ein dritter Kandidat wie Evan McMullin aus Utah diesen Staat für sich entscheiden.
Donald Trump im Portrait
Unternehmer, Entertainer, Schauspieler, Buchautor
14. Juni 1946
Zwilling
New York City
1,87 Meter
Verheiratet in dritter Ehe mit Melania Trump und insgesamt fünf Kinder.
„Make America Great Again“
In einer Patt-Situation bestimmen die Wahlstatuten, „dass das Repräsentantenhaus aus den drei Kandidaten mit den meisten Wahlmännerstimmen den Präsidenten wählt.“ Jeder Vertreter der zweiten Kammer des Kongresses bekommt eine Stimme. Da voraussichtlich die Republikaner die Mehrheit der Sitze im House of Representatives stellen werden, könnte die Wahl auf Trump hinauslaufen. Oder eben auf McMullin, sollte dieser die Wahl in Utah gewinnen. Denn Trump ist innerhalb seiner Partei äußerst unbeliebt. Und Ex-CIA-Mitarbeiter McMullin bezeichnet sich selbst als Konservativer und hat mal für die Republikanische Partei gearbeitet.
Die Wahrscheinlichkeit für dieses Außenseiter-Szenario liegt laut der Politikseite "Fivethirtyeight.com" zwar nur bei 1,2 Prozent. Allerdings hat die Seite vor einem Jahr die Wahrscheinlichkeit, dass Trump Präsidentschaftskandidat wird, auch nur bei zwei Prozent gesehen.
Sollte sich das Repräsentantenhaus nicht bis zum 20. Januar 2017 mehrheitlich auf einen Präsidenten einigen können, wäre der Senat indirekt am Zug. Denn die erste Kammer des Kongresses müsste zunächst zwischen den „running mates“ der zwei Präsidentschaftskandidaten mit den meisten Wahlmännerstimmen, den Vize-Präsidenten wählen. Derzeit ist unklar, ob die Republikaner oder die Demokraten die Mehrheit der Sitze im Senat erobern werden. Eine Republikaner-Mehrheit würde sich für Trumps-Vize Mike Pence entscheiden, die Demokraten für Clintons Vize Tim Kaine. Der gewählte Vize-Präsident wäre so lange auch Präsident der USA bis sich das Repräsentantenhaus mehrheitlich auf einen Präsidenten einigt.
Welche Staaten tendieren zu welchem Kandidaten
Kalifornien, Connecticut, Delaware, Hauptstadt Washington, Hawaii, Illinois, Maine, Massachusetts, Maryland, Minnesota, New Jersey, New Mexico, New York, Oregon, Rhode Island, Vermont, Staat Washington (insgesamt 200 Wahlmännerstimmen)
Alabama, Arkansas, Idaho, Indiana, Kansas, Kentucky, Louisiana, Mississippi, Montana, Nebraska, North Dakota, Oklahoma, South Carolina, South Dakota, Tennessee, Texas, West Virginia, Wyoming (insgesamt 144 Wahlmännerstimmen)
Colorado, Michigan, Nevada, Pennsylvania, Wisconsin, Virginia (insgesamt 74 Wahlmännerstimmen)
Alaska, Arizona, Georgia, Iowa, Missouri (insgesamt 46 Wahlmännerstimmen)
Florida, New Hampshire, North Carolina, Ohio, Utah, Zweiter Wahlbezirk von Maine, Zweiter Wahlbezirk von Nebraska, (insgesamt 74 Wahlmännerstimmen)
Wie geht es bis zum 20. Januar weiter?
Chris Christie ist ein treuer Diener von Donald Trump. Der Republikaner und Gouverneur des US-Bundesstaats New Jersey, der in den Vorwahlen Trump unterlag, hat früh seine Unterstützung für den umstrittenen Milliardär signalisiert. Als Dank leitet er seit einigen Wochen das so genannte transition team, das die Übergangszeit vorbereitet und organisiert, bis Trump im Falle eines Wahlsieges ins Weißes Haus einzieht.
Denn die offizielle Staffelübergabe des alten und neuen Präsidenten findet am 20. Januar 2017 statt. In den zweieinhalb Monaten nach der Wahl muss der neue Präsident seine Minister bestimmen und wichtige Behördenposten besetzen. Die transition teams spielen eine wichtige Rolle. Sie sind das politische Scharnier, damit der neue Präsident in der kurzen Zeit zwischen Wahl und Amtsübergabe seine Mannschaft zusammen bekommt.
Eine gute Vorbereitung ist daher wichtig. Doch ob Christie nach der Wahl noch im Trump-Team steht, ist fraglich. Derzeit beschäftigt sich die Justiz mit einem Politskandal im Umfeld seiner Regierungszentrale in New Jersey. Christie hat die letzten vier Wahlkampftermine für Trump abgesagt.
Trump könnte also mit einem lädierten Team in die Übergangszeit gehen. Die transition teams werden vom Staat mit umgerechnet zwölf Millionen Euro unterstützt. Christie hat im Vorfeld sogar noch Spendengelder eingeworben. 100 exklusiven Gästen versprach der Republikaner Insider-Informationen über das Übergangsteam, wenn jeder von ihnen 5000 Dollar einzahlt.
In der Übergangszeit gilt der alte Präsident als „lame duck“, also eine lahme Ente. Oft kommt es zu persönlichen Fehden zwischen Vorgänger und neuem Präsidenten. Bei der Übergabe von Bill Clinton an George W. Bush gab es den Vorwurf von „Beschädigung, Diebstahl und Vandalismus“. Die Übergabe an Barack Obama verlief dagegen geschmeidig.
Die Rolle der USA nach der Wahl
Über was stimmen die US-Amerikaner neben den Wahlen noch ab?
Neben dem US-Präsidenten wählen die Amerikaner auch noch alle Vertreter des House of Representatives und ein Drittel des Senats. Eine republikanische Mehrheit des Repräsentantenhauses gilt als sicher. Das Abgeordnetenhaus, das alle US-Bundesstaaten im Verhältnis der Bevölkerung repräsentiert, kann Steuergesetze einbringen und ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten mit einer einfachen Mehrheit einleiten. Der Senat würde in diesem Fall die Rolle des Gerichts übernehmen.
Spannend in der diesjährigen Wahl ist das Ergebnis der Senatswahlen. Derzeit haben die Republikaner die Mehrheit. Doch die Chancen der Demokraten, die Mehrheit zu erobern stehen inzwischen gut. Der neue Präsident hat die Aufgabe, einen neunten Richter für das Verfassungsgericht, den Supreme Court, zu bestimmen. Der Senat muss dieser Personalie zustimmen. Und in dieser Gemengelage wird sich entscheiden, ob das oberste Gericht eine liberale oder eine konservative Ausrichtung erhält. Denn die derzeitige Zusammensetzung der Richter gleicht einem politischen Patt zwischen vier progressiven und vier konservativen Richtern. Der neunte Richter ist kürzlich verstorben, eine Nachbesetzung durch Barack Obama ist unter dem Widerstand des Senats gescheitert.
Doch auch ganz andere Themen stehen am Wahldienstag auf der Agenda. Das populärste Thema: die Legalisierung von Cannabis. In den fünf Staaten Arizona, Kalifornien, Maine, Massachusetts und Nevada stimmen die Bürger darüber ab, ob der Anbau und der Konsum von Hanf erlaubt werden soll. In vier weiteren Staaten – Arkansas, Florida, Montana und Nord Dakota – geht es um die Freigabe des Medizin-Hanfs.
Welche Rolle wird Amerika in Zukunft spielen?
Der Republikaner Trump hat das Bewusstsein der Wähler auf die innenpolitischen Probleme Amerikas gelenkt: die Probleme der weißen Arbeiterschicht, das schwache Wachstum, die hohe Belastung durch das amerikanische Engagement im Ausland. Die USA werden ihren politischen Fokus nach der Wahl auf jeden Fall stärker auf sich selbst richten. Denn auch Clinton könnte sich dem öffentlichen Druck, den Trump erzeugt hat, nicht entziehen.
Beispiel Freihandel: Trump will Verträge wie das Freihandelsabkommen zwischen den USA, Mexiko und Kanada nachverhandeln. Als Präsident könnte er NAFTA kündigen, aber über die Folgen sind sich Experten uneins. Wahrscheinlich würde der Fall vor Gericht landen. Wie auch immer Trump mit NAFTA umgehen würde: Auch Clinton hat sich bereits gegen zu viel Freihandel ausgesprochen. Die Trans-Pazifische Partnerschaft (TPP) will sie in der jetzigen Form nicht mittragen.
Clintons wirtschaftspolitische Pläne
Clinton will in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit das umfassendste Investitionsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg in Infrastruktur, Industrie, Forschung und Entwicklung, Klimaschutz und Mittelstandförderung anstoßen. Sie will über fünf Jahre aus staatlichen und privaten Quellen 275 Milliarden Dollar mobilisieren, um die Verkehrs- und Netz-Infrastruktur zu verbessern. Damit und mit anderen Mitteln will sie über zehn Millionen neue Jobs schaffen. Die Industrie soll stärker werden. Gelingen soll das mit einer Partnerschaft von Wirtschaft, Arbeitnehmern, der Regierung und Verwaltungen sowie der Wissenschaft. Firmen sollen sich verpflichten, Jobs und Investitionen statt in Übersee in den USA zu halten. Dafür sollen sie finanzielle Vorteile genießen. Besonders gefördert werden sollen strukturschwache Regionen. Die Position der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften will Clinton stärken. Der Mindestlohn soll von 7,25 Dollar je Stunde auf zwölf, zuletzt war gar von 15 Dollar die Rede, erhöht werden.
Clinton verspricht ein gerechteres und einfacheres Steuersystem. Multi-Millionäre und Milliardäre sollen einen Steueraufschlag zahlen, Arbeitnehmerhaushalte und Familien entlastet werden. Steuerschlupflöcher für Firmen und Privatpersonen will Clinton schließen. Unternehmen, die ihre Gewinne in Steueroasen transferieren, sollen eine Extra-Steuer zahlen. Investitionen von Unternehmen in den USA selbst will sie begünstigen und dabei kleine Firmen besonders entlasten. Gleiches gilt für Familien, die Sonderlasten tragen, weil sie beispielsweise ältere und erkrankte Familienangehörige pflegen.
Die US-Finanzindustrie will Clinton enger an die Leine legen. Wall-Street-Riesen sollen einen Extra-Zuschlag zahlen, der sich nach ihrer Größe und ihrem Risikogewicht für die Branche richtet. Bestehende Möglichkeiten für Großbanken, Kundengelder in Hochrisikofeldern zu investieren, will sie beschneiden. Top-Banker sollen bei Verlusten ihrer Institute mit Bonus-Einbußen rechnen. Der Hochfrequenzhandel soll besteuert werden. Riesige und undurchschaubare Finanzriesen sollen stärker kontrolliert und im Zweifel aufgespalten werden. Clinton will Finanzmanager auch stärker in Mithaftung nehmen, wenn in ihren Instituten gegen geltendes Recht verstoßen wird.
Clinton verspricht, schärfer gegen Länder wie China vorzugehen, wenn diese internationale Freihandelsregeln verletzen und damit amerikanischen Arbeitsplätzen schaden. Sie will Nein sagen zu Handelsabkommen, wie der Trans-Pazifischen Partnerschaft (TPP), die nicht den US-Standards genügen, etwa mit Blick auf die Bezahlung von Arbeitnehmern. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will sie neu verhandeln. Zum US-EU-Freihandelsabkommen TTIP, das derzeit verhandelt wird, äußerte sie sich in jüngster Zeit zwar nicht direkt, doch war sie schon früher auch dazu auf Distanz gegangen und will in Freihandelsabkommen generell die amerikanischen Interessen besser zum Tragen kommen lassen. „Amerika fürchtet den Wettbewerb nicht“, gibt sie sich insgesamt kämpferisch.
In Umwelt- und Energiepolitik will Clinton Zeichen setzen. Sie will Amerika zur weltweiten „Supermacht“ des 21. Jahrhunderts in Sachen saubere Energie machen.
Clinton will Schluss damit machen damit, dass sich US-Bürger wegen einer College- oder Universitätsausbildung hoch verschulden. Sie will für eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie und gleiche Bezahlung von Männern und Frauen sorgen. Bei Krankheit und im Alter soll es mehr soziale Sicherheit geben.
Stattdessen vermuten Experten, dass sich die USA stärker bilateralen Vereinbarungen öffnen werden. Der Brexit wäre eine günstige Gelegenheit. Die USA und Großbritannien könnten sich auf eine Freihandelszone einigen. Das würde auch Trump mittragen.
Auf sicherheitspolitischer Ebene werden die USA den Druck auf ihre Partner erhöhen. Innerhalb der amerikanischen Öffentlichkeit gibt es ein tiefes Unbehagen gegen die hohen Kosten des US-Engagements im Ausland. Die USA zahlen zwar „nur“ 22 Prozent der Beiträge des Militärbündnisses Nato. De facto zahlen sie aber mehr, denn wenn es zu internationalen Konflikten kommt, greifen immer die USA ein. Rechnet man die Verteidigungsbudgets der 27 Nato-Länder mit ein, zahlen die USA 72 Prozent der Ausgaben. Sowohl Trump als auch Clinton werden den Druck auf die Partner erhöhen, ihr Engagement zu erhöhen oder mehr Geld zu zahlen.
Die Macht des US-Präsidenten
Wie mächtig ist der Präsident in Wirklichkeit?
Militärisch ist der US-Präsident sehr mächtig. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Außerdem befindet sich der so genannte „Football“ jederzeit in seiner Nähe: Das ist der Koffer mit den Codes für den Einsatz von Atombomben. Das war auch ein Wahlkampfthema. Trump tönte: „Wenn wir die Atombomben haben, warum nutzen wir sie nicht“, fragte er Anfang des Jahres. Clinton warnte in einer Rede in San Diego: „Wollen wir seine Finger in der Nähe des Koffers haben?“
Trumps lapidare Haltung zum Einsatz nuklearer Waffen ist besorgniserregend. Und tatsächlich begleitet der Koffer mit den Codes und möglichen Anschlagszielen den Präsidenten wie ein Schatten.
Trumps wirtschaftspolitische Pläne
Trump will für mehr Wachstum in der US-Wirtschaft sorgen. „Bessere Jobs und höhere Löhne“, lautet eines seiner Kernziele. Der Immobilien-Unternehmer will die Staatsschuldenlast der USA von fast 19 Billionen Dollar abbauen. Er bezeichnet die Schuldenlast als unfair gegenüber der jungen Generation und verspricht: „Wir werden Euch nicht damit alleine lassen“. Defiziten im Staatshaushalt will er ein Ende bereiten.
Trump hat umfangreiche Steuersenkungen sowohl für die Konzerne als auch für Familien und Normalverdiener angekündigt. Er spricht von der größten „Steuer-Revolution“ seit der Reform von Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren. Wer weniger als 25.000 Dollar im Jahr verdient, soll dank eines Freibetrages künftig gar keine Einkommensteuer mehr zahlen. Den Höchstsatz in der Einkommensteuer will er von momentan 39,6 Prozent auf 33 Prozent kappen. Ursprünglich hatte er eine Absenkung auf 25 Prozent in Aussicht gestellt. Die steuerliche Belastung für Unternehmen will Trump auf 15 Prozent von bislang 35 Prozent vermindern. Das soll US-Firmen im internationalen Wettbewerb stärken. Firmen, die profitable Aktivitäten aus dem Ausland nach Amerika zurückholen, sollen darauf eine Steuerermäßigung erhalten. Die Erbschaftsteuer will der Republikaner ganz abschaffen. Eltern sollen in größerem Umfang Kinderbetreuungs-Ausgaben steuerlich absetzen können.
Trump verspricht, der „größte Job-produzierende Präsident“ der USA zu werden, „den Gott jemals geschaffen hat“. Bereits als Unternehmer habe er Zehntausende neue Stellen geschaffen.
Um amerikanische Arbeitsplätze zu sichern, will Trump die Zölle auf im Ausland hergestellte Produkte anheben und die US-Wirtschaft insgesamt stärker gegen Konkurrenz aus dem Ausland schützen. China, aber auch Mexiko, Japan, Vietnam und Indien wirft Trump beispielsweise vor, die Amerikaner „auszubeuten“, indem sie ihre Währungen zum Schaden von US-Exporten abwerten und manipulieren.
Das angestrebte transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) lehnt Trump ab. Für ihn schadet ein freierer Zugang der Europäer zum US-Markt – vor allem zum staatlichen Beschaffungsmarkt – den amerikanischen Firmen. Das geltende Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will er neu verhandeln, die TPP-Handelsvereinbarung mit asiatischen Staaten aufkündigen. Trump setzt generell anstatt auf multilaterale Handelsabkommen, etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation, auf bilaterale Vereinbarungen mit einzelnen Staaten und Wirtschaftsräumen.
Die Handelsbeziehungen zu China, der nach den USA zweitgrößten Wirtschaftsmacht weltweit, will Trump grundlegend überarbeiten. Er wirft der Volksrepublik vor, ihre Währung künstlich zu drücken, um im Handel Vorteile zu erlangen. Er will das Land daher in Verhandlungen zwingen, damit Schluss zu machen. Auch „illegale“ Exportsubventionen soll die Volksrepublik nicht mehr zahlen dürfen. Verstöße gegen internationale Standards in China sollen der Vergangenheit angehören. Mit all diesen Maßnahmen hofft er, Millionen von Arbeitsplätzen in der US-Industrie zurückzugewinnen.
In der Energie- und Klimapolitik hat Trump eine Kehrtwende angekündigt. Er will die USA von den ehrgeizigen Klimaschutzvereinbarungen von Paris abkoppeln, die Umwelt- und Emissionsvorschriften lockern und eine Rückbesinnung auf fossile Energieträger einläuten: „Wir werden die Kohle retten.“ Die umstrittene Fracking-Energiegewinnung sieht Trump positiv.
Trump verspricht der Wirtschaft eine umfassende Vereinfachung bei den staatlichen Vorschriften. Er werde ein Moratorium für jede weitere Regulierung durch die Behörden verhängen, kündigte er an. Trump will Milliarden in die Hand nehmen, um Straßen, Brücken, Flughäfen und Häfen zu bauen und zu modernisieren. Finanzieren will er das unter anderem dadurch, dass die US-Verbündeten einen größeren Teil an den Kosten für Sicherheit und Verteidigung in der Welt übernehmen sollen.
Jenseits der militärischen Stärke ist die Macht des Präsidenten begrenzt. Zwar kann er internationale Abkommen verhandeln, Kriminelle begnadigen und wichtige Behördenchefs ernennen. Doch schon bei der Auswahl etwa der obersten Verfassungsrichter benötigt der Präsident die Zustimmung des Senats. Jüngst scheiterte Barack Obama mit seinem Versuch, nach dem Tod eines Richters am Supreme Court einen Nachfolger zu bestimmen.
Auch in der Gesetzgebung gibt es klare Grenzen. Zwar hat der Präsident ein Veto-Recht bei Gesetzen, die etwa vom Abgeordnetenhaus eingebracht werden. Doch selbst dann kann ein Veto vom Senat mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit überstimmt werden.
Im Normalfall bringt natürlich der Präsident selber Gesetze ein. Und dafür benötigt er die Zustimmung sowohl des Repräsentantenhauses als auch des Senats. Derzeit haben die Republikaner in beiden Kammern die Mehrheit. Sollte es dabei bleiben, könnte Trump durchregieren. Allerdings ist auch sein Rückhalt innerhalb der Partei beschädigt.
Historisch gesehen scheitern viele Gesetzesvorhaben am Widerstand der Mehrheiten im Kongress. Im Schnitt wird nur jeder zweite Gesetzesentwurf des Präsidenten ein Gesetz. Obama scheiterte zuletzt etwa mit seinem Versuch einer umfassenden Einwanderungsreform.