Großbritannien ringt um Handelsabkommen Global Britain, nur ein bisschen kleiner?

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Wo wird sich Großbritannien einordnen?

Im Gegenzug für milliardenschwere Investitionen aus dem Reich von Präsident Xi Jinping (etwa für den Bau eines chinesischen Atomkraftwerks) trat Großbritannien der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank bei, Pekings Konkurrenzprojekt zur Weltbank. Auch Chinas immer aggressivere Vorstöße im Südchinesischen Meer, der Streit um umstrittene Abwertungen der chinesischen Währung und Vorwürfe von Hacking-Attacken überging London nonchalant. In Washington kam das nicht gut an. Dabei saß damals noch Barack Obama im Weißen Haus.

Nach Donald Trumps Einzug 2016 war irgendwann klar: Johnson würde sich auf eine Seite schlagen müssen. So beschloss London im Sommer nach längerem Zögern (und großem Druck aus Washington), den Tech-Giganten Huawei in Zukunft vom Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes auszuschließen. Der chinesische Botschafter in London, Liu Xiaoming, warnte daraufhin, dass der Handel darunter leiden werde, wenn Huawei seine Komponenten nicht länger nach Großbritannien verkaufen dürfe.

Dann drückte Peking sein umstrittenes Sicherheitsgesetz in Hongkong durch. In seiner Antwort darauf gelang es Großbritannien, vergleichsweise stark zu kontern: Mehr als drei Dutzend Staaten (unter ihnen Deutschland, Frankreich, die USA, Australien und Kanada) schlossen sich London in seiner Kritik an der chinesischen Regierung an. Die EU schränkte den Export von Gütern nach Hongkong weiter ein, die zur Niederschlagung von Protesten oder zur Überwachung der Kommunikation genutzt werden können. London bot rund drei Millionen ehemaligen britischen Untertanen in der früheren Kronkolonie die Einbürgerung an. Peking reagiert äußerst verärgert. Zwischen beiden Ländern herrscht seitdem eine diplomatische Eiszeit. An ein Handelsabkommen ist in absehbarer Zeit nicht zu denken.



Einer weiteren Integration des Asien-Pazifikraums hat der Streit um Hongkong jedoch offenbar keinen Abbruch getan. Und so haben sich vor wenigen Tagen die Staaten Südostasiens gemeinsam mit China, Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea zur größten Freihandelszone der Welt zusammengeschlossen. Der Mammut-Wirtschaftsraum umfasst rund ein Drittel der Weltbevölkerung und macht etwa ein Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung aus.

Wo genau sich Großbritannien in Zukunft zwischen den Wirtschaftsblöcken Nordamerika, Europa und dem Asien-Pazifikraum als führende globale Ordnungsmacht einordnen möchte, ist eher unklar.

Vollkommen erfolglos war die britische Regierung in ihren Bestrebungen jedoch nicht. Erst vor wenigen Wochen gelang London nach nur dreimonatigen Verhandlungen die Unterzeichnung des britisch-japanischen Freihandelsabkommens. Es wird Anfang des kommenden Jahres in Kraft treten. Im Kern handelt es sich dabei zwar um eine Fortführung des Freihandelsabkommens EU-Japan. Das Abkommen enthält aber einige wichtige Erweiterungen, die den Warenaustausch und Dienstleistungen betreffen. Die Errungenschaften für die Wirtschaft sind eher marginal: So geht die Regierung nur von einem Zuwachs in Höhe von 0,07 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus - und das über einen Zeitraum von 15 Jahren. Aber es ist ein symbolischer Erfolg, der in der Brexit-lastigen Presse (etwas überdreht) gefeiert wurde.

Japan macht sich zudem für die Aufnahme Großbritanniens in das Handelsabkommen CPTPP stark, dem elf Pazifik-Anrainerstaaten angehören. Das Abkommen entstand aus den Trümmern der Transpazifischen Partnerschaft (TPP), die scheiterte, als Donald Trump 2017 aus dem Abkommen ausstieg. Da auch China nicht Teil des Abkommens ist, gäbe es keine allzu großen Stolpersteine, die einer Aufnahme im Weg stehen könnten. Damit wäre Großbritannien seiner erhofften globalen Rolle näher - wenn auch in kleineren Maßstab als erhofft.


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Immer mehr Analysten glauben jedoch, dass das genau der Ausweg aus dem Großmächte-Dilemma sein könnte: Und zwar die Einsicht, dass man zwar nur eine Mittelmacht ist, die jedoch (wie sich im Streit mit Peking gezeigt hat) über die diplomatischen Kanäle und Beziehungen einer ehemaligen Großmacht verfügt.

So schrieb das Online-Magazin World Politics Review dazu kürzlich: „Das ist es, was ‚Global Britain‘ sein kann: ein mittelgroßes Land, das die regelbasierte internationale Ordnung durch enge Allianzen mit den USA und der EU und durch neue, tiefere Verbindungen zu den Demokratien im Asien-Pazifikraum aufrecht erhält .“ Großbritannien könne eine „entscheidende Rolle dabei spielen, das multilaterale System zu stärken.“

Boris Johnson dürfte bestimmt einen Weg finden, um seinen Landsleuten eine solche Rolle als größtmöglichen Erfolg zu verkaufen.

Mehr zum Thema: Mitten in der Pandemie wächst das Brexit-Chaos. Viele britische Unternehmer wissen nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht.

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