OSZE-Wahlbeobachter Michael Link „Niemand kann sich selbst zum Sieger erklären“

FDP-Bundestagsabgeordneter Michael Link ist momentan im Auftrag der OSZE in Washington. Quelle: dpa

Dass Trump sich bereits vorzeitig zum Sieger erklärt, hat in Deutschland für Empörung gesorgt. Die OSZE beobachtet die Präsidentschaftswahl in den USA genau. Ein Gespräch mit dem Chef der Mission, Michael Link.

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Michael Link, 57, sitzt für die FDP im Bundestag und kümmert sich dort vor allem um Europapolitik. Von 2012 bis 2013 war er Staatsminister im Auswärtigen Amt, anschließend von 2014 bis 2017 Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) in Warschau.

WirtschaftsWoche: Herr Link, warum schickt die OSZE Wahlbeobachter wie Sie in die USA?
Michael Link: Das ist überhaupt nichts Besonderes und hat auch nichts damit zu tun, ob man ein besonders Problem sieht oder nicht. Alle 56 Staaten der OSZE haben sich dazu verpflichtet, Beobachter zu landesweiten Wahlen einzuladen. Die USA haben das verhältnismäßig früh im März getan. Auch die letzte Bundestagswahl in Deutschland wurde beobachtet. Aber das fand hier kaum Beachtung. In den USA ist das etwas anders. Das liegt daran, dass das Wahlrecht umstritten ist. Es gibt etwa Streit um den Zuschnitt der Wahlkreise und die Registrierung der Wähler. Mir ist klar, dass diese Wahl aus politischen Gründen besonders wichtig ist. Aber eigentlich machen wir nichts anderes als in anderen Ländern auch. Unsere Methodik ist immer die gleiche.

Wie muss man sich so eine Wahlbeobachtung denn vorstellen?
Eine Mission wie diese besteht in aller Regel aus zwei Teilen: Unsere hauptamtlichen Experten von ODIHR sind sechs Wochen im Land unterwegs, beobachten den Wahlkampf, die Briefwahl und Wahlversammlungen. Der zweite Teil besteht aus 58 Abgeordneten der parlamentarischen Versammlung der OSZE, also Abgeordnete aus den Mitgliedsländern. Die Mission ist wegen der Coronapandemie kleiner als geplant. Aber es ist uns dennoch gelungen, sehr viele Bundesstaaten abzudecken und somit eine aussagekräftige Wahlbeobachtung sicherzustellen.

Worauf haben Sie bei dieser Wahl besonders geachtet?
Wir machen so etwas ja nicht im luftleeren Raum. Wenn einer der Bewerber, in diesem Fall US-Präsident Donald Trump, im Vorfeld angebliche Probleme mit der Briefwahl so häufig thematisiert, wie er es getan hat, dann schauen wir da genauer hin. Wir müssen neutral sein und Vorwürfe ernst nehmen. Wir haben uns daher intensiv angesehen, wie die Briefe eingehen, registriert und gezählt werden. Dazu werden wir einiges in unserem Bericht sagen können.

Wo waren Sie selbst am Wahltag unterwegs?
Ich habe mich in Wahllokalen in Washington umgeschaut. Als Leiter der OSZE-Beobachtungsmission muss ich hier in der Hauptstadt bleiben und dafür sorgen, dass unser vorläufiger Bericht rechtzeitig fertig wird. Wir können nicht überall sein. Aber wir werden auch nicht morgen abreisen. Ich bleibe noch bis Samstag im Land, unsere hauptberuflichen Expertenteams noch länger.

In 18 Bundesstaaten durften Sie und Ihre Kollegen am Wahltag nicht ins Wahllokal. Warum ist das so und welche Folgen hat das für Ihre Beobachtung?
Das liegt daran, dass jeder Staat sein eigenes Wahlrecht hat. Dass wir als ausländische Beobachter in die Wahllokale dürfen, kann nicht aus Washington angeordnet werden. Das ist ein Defizit und wir erwarten, dass das bis zu den nächsten Wahlen gelöst wird. Beobachten können wir die Wahl in diesen Staaten, zum Beispiel in Florida und North Carolina, aber dennoch, unter anderem den Wahlkampf vor dem eigentlichen Wahltag und die Geschehnisse vor den Wahllokalen am Wahltag selbst. Diese Einschränkung im Wahllokal ist zwar nicht ideal, aber für die Gesamtbeobachtung nicht entscheidend, da die Langzeitbeobachter ja in diesen Staaten die eigentliche Kampagne beobachten konnten. Bei früheren Wahlen gab es dort auch keine Hinweise auf Probleme bei der Auszählung der Stimmen. Die gibt es vor allem mit einer veralteten Registrierung, die große administrative Hürden aufbaut, zum Beispiel für Menschen, die irgendwann einmal eine Straftat begangen haben.

Können Sie schon ein erstes Zwischenfazit ziehen?
Mein persönlicher Eindruck ist, dass es ein ruhiger Wahltag war, ohne besondere Vorkommnisse. Aber wir haben noch nicht alle Erkenntnisse ausgewertet. Daher kann ich noch nicht viel mehr sagen, bevor unser Bericht fertig ist.


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Im Laufe des Mittwochs wollen Sie diesen Bericht bei einer Pressekonferenz vorstellen. Die Auszählung der Stimmen könnte in manchen Bundesstaaten aber noch einige Tage dauern. Auch der Oberste Gerichtshof könnte angerufen werden.
Auch das werden wir uns sehr genau anschauen. Es zeichnet sich ja bereits jetzt ein Kampf um die Auszählungen ab. Wenn es um Nachzählungen geht, gibt es in manchen Wahlkreisen das Problem, dass die Wahlautomaten so veraltet sind, dass das gar nicht geht. Aber das ist ein technisches Problem. Die eigentliche Frage ist jedoch, ob Gerichte politisch den Ausgang der Wahl entscheiden werden. Das wird jetzt öffentlich groß diskutiert werden. Das müssen wir beobachten. Die Erfahrung zeigt aber, dass der Oberste Gerichtshof in dieser Frage wenig parteipolitisch urteilt.

US-Präsident Donald Trump hat sich allerdings schon selbst zum Sieger ausgerufen.
Wir beobachten hier, ob die nationalen Wahlgesetze internationalen Standards entsprechen, denen sich jedes OSZE Teilnehmerland verschrieben hat. Und ob sie eingehalten werden. Nicht ein Bewerber, sondern die Wahlleiter in den Bundesstaaten teilen das Ergebnis mit. Wir legen allergrößten Wert darauf, dass dieses gesetzliche Verfahren eingehalten wird. Niemand kann sich selbst zum Sieger erklären.

Mehr zum Thema: Viele Beobachter haben erwartet, dass Trump schlecht abschneiden würde. Eine Fehleinschätzung.

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