
Seit einigen Monaten kursiert ein Schlagwort, mit dem sich die intellektuellen Eliten des Westens gern selbst beruhigen: das Schlagwort von der „postfaktischen Politik“. Damit ist ein politisches Denken, Sprechen und Handeln gemeint, das nicht auf Fakten und guten Gründen basiert, sondern auf vernunftfernen Gefühlen und Stimmungen, die erzeugt, bearbeitet, angeheizt und ausgebeutet werden – höchst erfolgreich von Donald Trump, womöglich bald auch von Marine Le Pen.
Beruhigend an diesem Schlagwort ist, dass man mit ihm vermeintlich das Phänomen des (Rechts-)Populismus markiert und sich mit seiner Verwendung zugleich die Position eines überlegenen Beobachters sichert. Wer von „postfaktischer Politik“ spricht, tut dies natürlich im Ton der Besorgtheit, im Geist der Aufklärung, im Dienst der Rationalität – und erspart sich durch Verschlagwortung das Nachdenken.
Gefühlspolitik, um Gefühle zu bewirtschaften
Blickten die Mahner und Warner tatsächlich nüchtern auf das wirtschaftspolitische Geschehen, würde ihnen aufgehen, dass die Irrationalität in den vergangenen 30 Jahren oft ausgerechnet aufseiten der „ökonomischen Vernunft“ stand: Postfaktisch ist eine Wirtschaftsordnung, in der Geld aus dem Nichts geschöpft wird und kostenlos auszuleihen ist, in der systemrelevante Banken ohne Restrisiko agieren, Firmenzentralen die Größe eines Briefkastens haben und weite Teile der digitalisierten Finanzmärkte buchstäblich der Realwirtschaft entzogen sind.
Fakt hingegen ist, dass in den westlichen Industrienationen die Ungleichheit zunimmt und Kapitaleinkommen höher rentieren als Arbeitseinkommen, dass Globalisierung, Automatisierung und Migration die Löhne, besonders von gering Qualifizierten, drücken und dass die Mittelschichten erodieren.
Es entbehrt nicht der Ironie, dass besonders wirklichkeitsfremde Wirtschaftspolitiker und Ökonomen diese Entwicklungen aus (begründeter) Furcht vor linker Umverteilungslust lange als (grundlose) Abstiegsangst marginalisiert haben. Und es spricht gewiss nicht für die Staatskunst von Angela Merkel, dass sie die „Gefühle“ der Regierten nun ihrerseits mit dem „Gefühl“ adressiert, dass wir aus der schwierigen „Phase besser herauskommen werden, als wir in diese Phase hineingegangen sind“.

Im Unterschied zu Merkel weiß der scheidende US-Präsident Barack Obama, dass das Unbehagen vieler Menschen in den USA und Europa durch zählbare Geldsorgen und schmerzhafte Abstiegserfahrungen legitimiert ist. In einem kraftvollen Beitrag für den „Economist“ („The way ahead“) rät er seinem Nachfolger daher einerseits, die Segnungen des globalen Kapitalismus und offener Märkte zu respektieren – und andererseits, die „wachsende Ungleichheit“ und die „schrumpfenden Lohnzuwächse der Mittelschicht“ in den Blick zu nehmen.
Wie das zusammengehen soll? Dafür gibt es noch keine Patentrezepte. Fürs Erste wäre viel gewonnen, wenn „Ungleichheit“ und „Verteilungsgerechtigkeit“ keine ideologischen Reflexe mehr auslösten, sondern als komplexe Sachverhalte diskutiert würden. Dass trivialliberale Gesundbeter nicht bei Kennedy stehen bleiben („Eine steigende Flut hebt alle Boote ...“) und wohlstandsblinde Apokalyptiker („Millionen Menschen sind akut von Armut bedroht ...“) nicht immer neue Opfergruppen suchen. Und dass man einen differenzierten Blick auf die historischen, nationalen und zwischenstaatlichen Aspekte der Ungleichheit gewinnt.
Trumps wirtschaftspolitische Pläne
Trump will für mehr Wachstum in der US-Wirtschaft sorgen. „Bessere Jobs und höhere Löhne“, lautet eines seiner Kernziele. Der Immobilien-Unternehmer will die Staatsschuldenlast der USA von fast 19 Billionen Dollar abbauen. Er bezeichnet die Schuldenlast als unfair gegenüber der jungen Generation und verspricht: „Wir werden Euch nicht damit alleine lassen“. Defiziten im Staatshaushalt will er ein Ende bereiten.
Trump hat umfangreiche Steuersenkungen sowohl für die Konzerne als auch für Familien und Normalverdiener angekündigt. Er spricht von der größten „Steuer-Revolution“ seit der Reform von Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren. Wer weniger als 25.000 Dollar im Jahr verdient, soll dank eines Freibetrages künftig gar keine Einkommensteuer mehr zahlen. Den Höchstsatz in der Einkommensteuer will er von momentan 39,6 Prozent auf 33 Prozent kappen. Ursprünglich hatte er eine Absenkung auf 25 Prozent in Aussicht gestellt. Die steuerliche Belastung für Unternehmen will Trump auf 15 Prozent von bislang 35 Prozent vermindern. Das soll US-Firmen im internationalen Wettbewerb stärken. Firmen, die profitable Aktivitäten aus dem Ausland nach Amerika zurückholen, sollen darauf eine Steuerermäßigung erhalten. Die Erbschaftsteuer will der Republikaner ganz abschaffen. Eltern sollen in größerem Umfang Kinderbetreuungs-Ausgaben steuerlich absetzen können.
Trump verspricht, der „größte Job-produzierende Präsident“ der USA zu werden, „den Gott jemals geschaffen hat“. Bereits als Unternehmer habe er Zehntausende neue Stellen geschaffen.
Um amerikanische Arbeitsplätze zu sichern, will Trump die Zölle auf im Ausland hergestellte Produkte anheben und die US-Wirtschaft insgesamt stärker gegen Konkurrenz aus dem Ausland schützen. China, aber auch Mexiko, Japan, Vietnam und Indien wirft Trump beispielsweise vor, die Amerikaner „auszubeuten“, indem sie ihre Währungen zum Schaden von US-Exporten abwerten und manipulieren.
Das angestrebte transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) lehnt Trump ab. Für ihn schadet ein freierer Zugang der Europäer zum US-Markt – vor allem zum staatlichen Beschaffungsmarkt – den amerikanischen Firmen. Das geltende Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will er neu verhandeln, die TPP-Handelsvereinbarung mit asiatischen Staaten aufkündigen. Trump setzt generell anstatt auf multilaterale Handelsabkommen, etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation, auf bilaterale Vereinbarungen mit einzelnen Staaten und Wirtschaftsräumen.
Die Handelsbeziehungen zu China, der nach den USA zweitgrößten Wirtschaftsmacht weltweit, will Trump grundlegend überarbeiten. Er wirft der Volksrepublik vor, ihre Währung künstlich zu drücken, um im Handel Vorteile zu erlangen. Er will das Land daher in Verhandlungen zwingen, damit Schluss zu machen. Auch „illegale“ Exportsubventionen soll die Volksrepublik nicht mehr zahlen dürfen. Verstöße gegen internationale Standards in China sollen der Vergangenheit angehören. Mit all diesen Maßnahmen hofft er, Millionen von Arbeitsplätzen in der US-Industrie zurückzugewinnen.
In der Energie- und Klimapolitik hat Trump eine Kehrtwende angekündigt. Er will die USA von den ehrgeizigen Klimaschutzvereinbarungen von Paris abkoppeln, die Umwelt- und Emissionsvorschriften lockern und eine Rückbesinnung auf fossile Energieträger einläuten: „Wir werden die Kohle retten.“ Die umstrittene Fracking-Energiegewinnung sieht Trump positiv.
Trump verspricht der Wirtschaft eine umfassende Vereinfachung bei den staatlichen Vorschriften. Er werde ein Moratorium für jede weitere Regulierung durch die Behörden verhängen, kündigte er an. Trump will Milliarden in die Hand nehmen, um Straßen, Brücken, Flughäfen und Häfen zu bauen und zu modernisieren. Finanzieren will er das unter anderem dadurch, dass die US-Verbündeten einen größeren Teil an den Kosten für Sicherheit und Verteidigung in der Welt übernehmen sollen.
Keine Modell-Athleten der Ökonomie
Die viel gescholtene Zunft der Ökonomen hat die Grundlagen dafür längst gelegt. Glücklich vorbei die Zeiten, in denen Friedrich-August-von-Hayek-Apologeten die Ungleichheit zur condition humaine stilisieren konnten, zur anspornenden Voraussetzung einer auf dem Leistungsprinzip gründenden Wettbewerbsgesellschaft, um sich das Nachdenken über Machtkonzentration und unproduktiven Reichtum zu ersparen. Glücklich vorbei aber auch die Zeiten, in denen Globalisierungskritiker mit der Ausbeutungsformel der Dependenztheoretiker, der zufolge reiche Länder immer reicher und arme Länder immer ärmer würden, erfolgreich auf Deppenfang gehen konnten.