
WirtschaftsWoche: Herr Bremmer, Europa und Amerika stecken in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise – ist das der endgültige Niedergang des Westens?
Ian Bremmer: Es ist das Ende der globalen westlichen Dominanz, das Ende des amerikanischen Zeitalters. Amerika kann sich die globale Führungsrolle nicht mehr leisten, weil es von ihr nicht mehr profitiert.
Weil das globale Macht- und Kraftzentrum längst nach Asien gerückt ist?
Amerika hat in den vergangenen Jahrzehnten die Globalisierung vorangetrieben – mit der Folge, dass unzählige Jobs von Amerika nach Asien abgewandert sind. Die Amerikaner spielten die globale Weltpolizei, waren der Helfer in der Not überall auf der Welt. Was haben die Kriege in Afghanistan und Irak den Amerikanern gebracht? Sie haben ein Milliardenloch in den Haushalt gerissen. Damit ist Schluss.
Meldet sich die Supermacht Amerika nicht vielmehr ab, weil sie nicht mehr mithalten kann mit den aufsteigenden Schwellenländern?
Das ökonomische Zentrum der Welt rückt zweifelsohne nach Asien. Natürlich ist Chinas Aufstieg der Grund dafür, warum Amerika seine internationale Führungsrolle nicht mehr wahrnimmt. Eine globale Machtverschiebung nach China sehe ich aber nicht.





Warum nicht?
China wird in absehbarer Zeit nicht Amerikas Rolle als globales politisches Machtzentrum wahrnehmen können, weil es zu instabil ist. Es hat enorme wirtschaftliche und politische Herausforderungen zu meistern. Die Staatsunternehmen, das Bankensystem, das Rechtswesen, das Sozial- und Gesundheitssystem müssen reformiert werden. Das sind alles Veränderungen mit enormer innenpolitischer Sprengkraft. Ich wünsche mir, dass China damit erfolgreich sein wird, aber ich bin mir dessen nicht sicher.
Amerika hängt doch jetzt schon am ökonomischen Tropf der Chinesen.
Amerika hat den „Fluch des sicheren Hafens“. Es kann sich Geld von anderen Ländern leihen, weil diese in Amerika immer noch einen sicheren Hafen sehen. Solange diese Länder das tun, gibt es keine fiskalische Klippe, über die Amerika in den totalen wirtschaftlichen Abgrund stürzt. Die Notenbank kann also weiter Geld drucken und die Zinsen niedrig halten. Es fehlt die absolute Dringlichkeit, notwendige wirtschaftliche und politische Reformen einzuleiten. Und Amerika gilt auch deshalb als sicherer Hafen, weil die Lage in Europa und Japan noch schlimmer ist. Den Amerikanern fehlt schlicht der Zwang zum Handeln.