Ukraine-Konflikt USA sehen Anzeichen für Vorbereitungen eines russischen Angriffs

Westliche Geheimdienste beschuldigen Russland, Truppen zu verstärken und das Gegenteil vorzutäuschen. In der Ost-Ukraine werfen sich das Militär und die Separatisten gegenseitig Angriffe vor.

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In der Ost-Ukraine warfen sich pro-russische Rebellen und das ukrainische Militär gegenseitig Angriffe vor. Quelle: imago images/Ukrinform

Die Nato-Staaten verstärken ihre Warnungen vor einem möglichen Einmarsch Russlands in die Ukraine. Er sehe Anzeichen dafür, dass Russland eine Invasion vorbereite, sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin nach einem Nato-Treffen in Brüssel.

Russland habe zusätzliche Blutkonserven in das Grenzgebiet gebracht und es seien mehr Kampfflugzeuge als üblich. „Ich war selber Soldat vor nicht langer Zeit. Ich weiß aus erster Hand, dass man diese Dinge nicht ohne Grund macht“, sagte Austin. „Und man macht diese Dinge ganz gewiss nicht, wenn man sich fertig macht, um zusammenzupacken und nach Hause zu gehen.“

Russland sei bereit für einen Angriff, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. „Sie haben genug Truppen und Möglichkeiten für eine groß angelegte Invasion der Ukraine mit sehr geringer oder gar keiner Vorwarnzeit“, sagte er.

Parallel zu den Nato-Verteidigungsministern trafen sich auch die Staats- und Regierungschefs der EU. Die EU sei vorbereitet, auf Aggressionen zu reagieren, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem Treffen. Entlang der ukrainischen Grenze seien auf russischem Boden, belarussischem Boden und im Schwarzen Meer Truppen zusammengezogen worden, mit denen eine Invasion möglich sei. Das sei „nicht zu übersehen“. Die Situation bleibe schwierig und bedrohlich.

Geheimdienste werfen Russland Lügen vor

Die Geheimdienste von USA und Großbritannien sehen im angeblichen Rückzug russischer Truppen eine Täuschung. Sie sprechen im Gegenteil von einer weiteren Verstärkung an der Grenze zur Ukraine.

Seit Dienstag meldet das russische Verteidigungsministerium, Truppen im Südwesten des Landes hätten ihre Übungen beendet und würden in ihre Kasernen beordert. Unterlegt wird dies mit Videomaterial von Panzern, die auf Züge verladen werden.

Am Mittwochabend warf das Weiße Haus Russland vor, seine 150.000 Mann starken Truppen um weitere 7000 Soldaten verstärkt zu haben. Jeden Tag würden neue hinzukommen. Die Erkenntnisse der Geheimdienste dazu seien „ziemlich zuverlässig“.

Die britischen Dienste sind zu einem ähnlichen Schluss gekommen: „Entgegen der Behauptungen baut Russland weiterhin militärische Kapazitäten in der Nähe der Ukraine auf“, sagte Jim Hockenhull, Leiter des Militär-Geheimdienstes. Es seien zusätzliche gepanzerte Fahrzeuge gesichtet worden, Hubschrauber und ein Feldlazarett, das Richtung Ukraine gebracht werde.

Stoltenberg hatte schon am Dienstag gesagt, er könne die Berichte von Truppenabzügen nicht bestätigen. Putins Sprecher Dmitri Peskow bekräftigte, Russland habe mit einem Teilabzug seiner Truppen begonnen. Dies brauche aber Zeit. Eine Invasion der Ukraine sei nicht geplant, man beobachte die Entwicklung im Donbass aber sehr genau.

Schüsse könnten als Vorwand genutzt werden

Sorge bereiten auch Berichte über Schüsse im Osten der Ukraine. Die Region ist von pro-russischen Separatisten besetzt, eigentlich gilt ein Waffenstillstand zwischen ihnen und den Truppen der ukrainischen Regierung.

Die Separatisten berichten aber davon, angegriffen worden zu sein. Die Ukraine bestreitet das. Im Gegenteil sei man per Artillerie beschossen worden, habe das Feuer aber nicht erwidert. Die Separatisten hätten einen Kindergarten und eine Schule in der Nähe von Luhansk getroffen. Schüler hätten in den Keller fliehen müssen, zwei Zivilisten sollen leicht verletzt worden sein.

Ein ukrainischer Regierungsvertreter sagte, der Beschuss gehe über das übliche Maß hinaus und sprach von einer „Provokation“. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach von „zunehmenden Kämpfen und heftigem Beschuss“, die begleitet würden von Desinformationen, wonach Russen im Osten der Ukraine Opfer von Attacken würden.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stellt immer wieder Verletzungen des Waffenstillstands fest. Nun werden diese Meldungen aber besonders aufmerksam beobachtet. Die Befürchtung ist, dass Russland Schüsse von Regierungstruppen als Vorwand nutzen könnte, um in die Ukraine einzumarschieren.

„So wie die russischen Behauptungen über den Truppenabzug falsch waren, so werden auch die Vorwände, den Krieg zu rechtfertigen, falsch sein“, hieß es aus dem Weißen Haus. „Niemand sollte diese Behauptungen für bare Münze nehmen.“

Der litauische Präsident wies darauf hin, dass Russland auch in Belarus Truppen zusammengezogen habe. Dort seien 55.000 Soldaten und 400 Raketen stationiert, sagte Gitanas Nauseda. Dies führe zu Besorgnis in seinem Land und ändere die Sicherheitsbedingungen. Litauens Hauptstadt Vilnius liegt nur knapp 40 Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt. Russlands Außenminister Sergej Lawrow kündigte an, das Manöver in Belarus werde am 20. Februar enden.

EU sieht Gasversorgung gesichert

Eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts ist derzeit nicht absehbar. Kanzler Scholz sagte, er wolle alle diplomatischen Möglichkeiten nutzen. Er nannte die Gespräche zwischen USA und Russland, den Nato-Russland-Rat, die OSZE und das Normandie-Format, in dem Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine miteinander verhandeln.

Es gehe dabei darum, das Abkommen von Minsk aus dem Jahr 2015 umzusetzen. Damals wurden Bedingungen für einen Waffenstillstand zwischen beiden Seiten ausgehandelt. Umgesetzt ist das Abkommen aber nicht, schon in den ersten Tagen nach Unterzeichnung hatten die Separatisten weitere Gebiete erobert.

EU-Außenbeauftragter Borrell sagte, derzeit spreche man nicht über die Wiederherstellung des Minsker Abkommens, sondern über die konkrete Sicherheitssituation an der Grenze.

Die EU-Kommission versicherte indes, dass sie sich gut gerüstet sieht für den Fall, dass Russland die Gasversorgung einstellen sollte. Viele Schiffe mit Flüssiggas seien nach Europa umgeleitet worden, sagte eine Sprecherin. Im Januar hätten 120 Schiffe insgesamt zehn Milliarden Kubikmeter LNG nach Europa gebracht. Damit sei die Energieversorgung abgesichert. Außerdem liefen weiterhin Gespräche mit Partnerstaaten über weitere Lieferungen.

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