Wachsende Metropolen Das Drama der Megastädte

Im Schatten der Globalisierung entstehen die Megastädte des 21. Jahrhunderts. Ihre besonderen Kennzeichen: unkontrolliertes Wachstum und ausufernde Slumlandschaften.

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Slumviertel in Dhaka: Letztes Asyl für Landflüchtlinge Quelle: rtr

Wer eine Ahnung davon haben will, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte, sollte auf Dhaka schauen. Die 15-Millionen-Kapitale von Bangladesch wird in zehn Jahren womöglich mehr als 20 Millionen Menschen beherbergen. Dhaka ist das wild wuchernde Wirtschafts- und Handelszentrum des Landes – und zugleich eine der ärmsten Metropolen der Welt. Die Stadt nennt die größte, 2000 Geschäfte fassende Shoppingmall Südasiens ihr Eigen – und ist gezeichnet von Slums, die sich wie Geschwüre durch den Stadtkörper fressen. 

"Weltgeschichte ist Stadtgeschichte"

Gut ein Drittel der Bevölkerung haust in Elendsvierteln entlang der Bahndämme und großen Straßen, neben Müllkippen oder am Ufer des Buriganga-Flusses, in primitivsten Häusern, in denen sich sechsköpfige Familien ein Zimmer teilen und zehn Parteien eine Latrine, in aufgestelzten Hütten aus Wellblech, Sacklumpen, Pappe und Plastikfolien, in höhlenartigen Bambusverschlägen, aus denen es qualmt, durch deren Ritzen der Wind streicht, in die während der Regenzeit Feuchtigkeit dringt von oben und unten – und aus denen die Bewohner jederzeit von den Grundbesitzern vertrieben werden können. Dhaka, die Stadt, die sich noch vor Jahren rühmte, über den modernsten Bahnhof Asiens zu verfügen, ein Stahl und Beton gewordenes Denkmal des Fortschritts, bedeutet heute für Hunderttausende Endstation, ein Leben in der Kloake – und birgt für Millionen trotzdem immer noch die Hoffnung auf ein etwas besseres Leben.

Dass der Traum von der Neuen Stadt einmal zum Albtraum werden könnte, hat niemand so scharf gesehen wie Oswald Spengler, der Prophet des „Untergangs des Abendlandes“. In seinem Hauptwerk von 1922 sezierte der deutsche Geschichtsphilosoph die „Seele der Stadt“. Für Spengler bezeichnen ihre Anfänge einen Initialpunkt, an dem der reproduktive Kreislauf des bäuerlichen Lebens endet und die erzählbare Menschheitsgeschichte einsetzt, einen faszinierenden Zeit-Ort, der Gang und Sinn von „Geschichte überhaupt“ bestimmt: „Weltgeschichte ist Stadtgeschichte.“

Hälfte der Weltbevölkerung wohnt in urbanen Siedlungsformen

Doch gleichzeitig sagte der Kulturhistoriker auch den „Steinkoloss Weltstadt“ und mit ihm das Ende urbaner Emanzipation voraus: „Ich sehe – lange nach 2000 – Stadtanlagen für zehn bis zwanzig Millionen Menschen, die sich über weite Landschaften verteilen“, mit „Verkehrsgedanken, die uns heute als Wahnsinn erscheinen“, schrieb Spengler und warnt: Der Mensch werde „von seiner eigenen Schöpfung, der Stadt, in Besitz genommen, besessen, zu ihrem Geschöpf, ihrem ausführenden Organ“ und „endlich zu ihrem Opfer gemacht“. Die Zukunft, so Spengler, gehöre der „Riesenstadt“, die ihre Umgebung rücksichtslos aussaugt, „unersättlich, immer neue Ströme von Menschen fordernd und verschlingend, bis sie inmitten einer kaum noch bevölkerten Wüste ermattet und stirbt“.

Fast neun Jahrzehnte später zeigt sich: Selbst Spengler hat mit seiner dunkel raunenden Hellsichtigkeit die exponentielle Dynamik des weltweiten Städtewachstums dramatisch unterschätzt: Um 1800 bevölkerten 35 Millionen Menschen (drei Prozent der Weltbevölkerung) die Städte, um 1900 waren es 165 Millionen (zehn Prozent), fünf Jahrzehnte später schon 740 Millionen (29 Prozent). Heute drängen sich 3,4 Milliarden Menschen in urbanen Siedlungsformen (51 Prozent) – und im Jahr 2050 werden es nach Schätzungen der Vereinten Nationen sogar 6,3 Milliarden (70 Prozent) sein.

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