Bürgerschaftswahl Vier Lehren aus der Hamburg-Wahl

SPD-Spitzenkandidat Peter Tschentscher hat Grund zur Freude. Quelle: REUTERS

Die Hamburger haben entschieden: Die rot-grüne Koalition kann künftig wohl weiter regieren. Die anderen Parteien wurden teils hart abgestraft. Welche Schlüsse das zulässt.

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1. Eine pragmatische SPD kann Wahlen gewinnen (jedenfalls teilweise)

Auch wenn die SPD unter Peter Tschentscher Stimmen verloren hat: Gemessen am Umfrage-Gleichstand mit den Grünen noch vor wenigen Wochen ist dieses Ergebnis fast schon wieder ein Triumphzug. Und zwar für die Hamburger SPD alleine. Das Chef-Duo aus Berlin war schließlich unerwünscht.

Die Sozialdemokratie an der Elbe ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was an der Spree praktiziert wird. Die Nord-Genossen sind pragmatisch, nicht links. Sie agieren vernünftig-mittig. Sie flirten auch nicht mit dem Sozialismus. Bürgerlich statt Bürgerschreck.

Im Hamburg wurden die Jugendberufsagenturen erfunden, damit tatsächlich kein Kind ohne Angebote und Ausbildung zurückbleibt. Hannelore Kraft in NRW zum Beispiel redete da nur bewegt, bewegte aber nichts. Die Hamburger Sozialdemokraten wollen weder Mieten deckeln noch Unternehmer demotivieren. Wirtschaft und Sozialstaat werden hier nicht gegeneinander ausgespielt, sondern als Partner verstanden.

Es wäre also leicht, den Hamburger Weg als Erfolgsstrategie für den Bund nahezulegen. Aber auch ein wenig leichtfertig. Denn so wie die CSU bundesweit nicht mal eben mehrheitsfähig wäre, gilt Ähnliches auch für die Hamburger SPD. Da braucht es schon mehr.

2. Die CDU hat ein Großstadtproblem

Zugegeben, leicht hatte es die CDU in Hamburg nie. Ole von Beusts großes politisches Talent bestand ja darin, sein Parteibuch quasi zum Verschwinden zu bringen. Doch der Befund ist quer durchs Land eindeutig: In urbanen Milieus tun sich die Christdemokraten extrem schwer, besonders wenn sie dort kein profiliertes und authentisches Personal aufbieten können.

Großstädtern hat die Partei zudem programmatisch wenig anzubieten. Sie verfehlt den Zeitgeist, trifft den Ton nicht, wirkt manchmal fast deplatziert. Eine zur Partei gewordene Pendlerpauschale.

Hinzu kommt, natürlich, das Thüringen-Desaster und dessen Nachwehen. Haltung, Werte, Strategie: Gerade passt nichts zusammen im Konrad-Adenauer-Haus. Irgendwo zwischen Unvereinbarkeitsbeschlüssen und Laschet-Spahn-Merz-Röttgen droht der letzten Volkspartei so die Dauerschwächung von innen.

3. Als Ein-Themen-Partei reicht es für die Grünen nicht

Vielleicht wollten oder konnten die Grünen um Spitzenkandidatin Katharina Fegebank den Cum-Ex-Skandal um die Warburg-Bank und die SPD nicht in Gewinne ummünzen. Vielleicht war die Causa auch schlicht zu kompliziert. Jedenfalls gab es keinen Schlussumschwung zu ihren Gunsten mehr.

Die Zuwächse in Hamburg sind zwar enorm und die Ökopartei kann daraus selbstverständlich ein klares Votum für die urbane Klima- und Verkehrswende ableiten. Aber im Vergleich zur SPD haben die Wähler den Grünen doch klar die Rolle als Juniorpartner zugewiesen. Sie wollen Rot-Tiefgrün, aber eben Rot im Bürgermeisteramtszimmer.

Das sollte der Bundespartei zu denken geben: Sie muss mehr sein wollen und dem Wähler auch glaubhaft mehr anbieten, als „nur“ engagierte Umweltpolitik, wenn sie kanzleramtsfähig sein will. Dazu gehört Profil in Wirtschafts- und Sozialfragen, das beinhaltet ein attraktives, modernes Steuerkonzept und endet bei außenpolitischem Realismus, der über Robert Habecks Trump-ist-blöd-Entgeisterung hinausgeht.

4. Die FDP steht auf wackligem Fundament

Und dann zu den Liberalen. Zwei Probleme in Hamburg teilt die FDP mit der CDU: Einerseits einen historisch schweren Stand in einer Stadt, die eigentlich eine sehr liberale Ader hat und wirtschaftlich alert ist. Andererseits: Thüringen.

Letzteres zeigt, dass den Liberalen Fundament, Führung und eine Erzählung fehlen. Acht, neun Prozent in bundesweiten Umfragen können schnell implodieren.

Christian Lindner wirkt als Frontmann zunehmend verbraucht, zerrieben und überfordert. Der zweiten Reihe wiederum fehlt es (noch) an Format. Und vielleicht am Wichtigsten: Nach der Jamaika-Flucht haben es die Freidemokraten nicht vermocht, wieder Sehnsucht beim Wähler zu erzeugen.

Trotz einer lahmen GroKo wünschen sich die Deutschen keinerlei Energieinfusion der selbsternannten Reformpartei. Was für ein Armutszeugnis, wenn die Opposition fast so dröge und uninspiriert wirkt, wie die Regierung.

Mehr zum Thema: Während die CDU um sich selbst kreist, inszenieren sich die Grünen als bürgerliche Alternative, die Wirtschaft und Ökologie zusammenführt. Doch die Regierungserfolge in den Ländern sind durchwachsen.

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