Coronavirus Wie es nach der Kontaktsperre weitergehen kann

So menschenleer wie in der Leipziger Innenstadt sieht es bundesweit in vielen Städten aus. Zur Eindämmung des Coronavirus gelten unteranderem in Sachsen Ausgangsbeschränkungen. Quelle: ZB

Wenn in Deutschland die Verbote wieder weichen, ist wenig ausgestanden. Wahrscheinlich wird nicht nur die Bundesregierung den Menschen erneut Einschränkungen auferlegen. Bei Covid-19 steht uns weltweit ein heikles wie kostspieliges Krisenmanagement bevor.

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Dieses Virus wird uns einiges abverlangen. Eine ganze Weile lang. Was uns im Zusammenhang mit dem Coronavirus noch bevorsteht, lässt sich einmal mehr in China und bei dessen Nachbarn beobachten. Von dort kamen in letzter Zeit vor allem gute Nachrichten – nur noch sehr wenige Menschen steckten sich auch in Südkorea, Singapur, Hongkong oder Taiwan mit dem teils tödlichen Lungenvirus an. Einschränkungen für Bürger und Unternehmen werden Schritt für Schritt aufgehoben.

Und doch verbirgt sich dieser so ansteckende Erreger dort quasi auf offener Bühne. Eine zweite wie mächtige Ansteckungswelle ist zunächst in Ostasien in Sicht. Sei es, weil das Virus noch in der Bevölkerung da ist und nicht alle ansteckenden Träger sich auch krank fühlen oder sei es ganz einfach, weil Menschen wieder über die Grenzen kommen. Weil sie handeln, weil sie wirtschaftlich aktiv sind. Dann folgen bald wieder Verbote und ein Alltag im Ausnahmezustand. Denn auch bei einer zweiten Welle wären die Gesundheitssysteme schnell überfordert und nach wie vor ohne Impfung oder Therapie wieder Tote zu erwarten.

In Deutschland sind wir gerade erst damit beschäftigt, die Verhaltensregeln gegen das Virus überhaupt zu verinnerlichen. Die Bundesregierung zielt mit kaum fassbaren Summen darauf, Unternehmen wie Arbeitnehmer in dieser ersten Welle zu unterstützen und eine Wirtschaftskrise abzufedern. Doch auch nach einem Neustart des öffentlichen Lebens, den jetzt so viele verlangen, wird es noch nicht vorbei sein. Wenn die Wirtschaft wieder Normaltempo hat und das Leben wieder alltäglicher ist, wird die Krankheit ziemlich wahrscheinlich zurückkehren. Das Virus ist ja weiter auf der Welt unterwegs und bei uns wird es – auch dank der Kontaktsperren - viele vorher nicht Betroffene geben, die sich infizieren können.

Wir werden unseren Alltag wieder anlaufen lassen, wir werden der Wirtschaft eher früher als später wieder Luft geben müssen. Doch wir werden weiter Einschränkungen erdulden müssen.

Es könnte noch mehrere Wellen geben, ehe entweder genug Menschen immun gegen den noch neuartigen Erreger sind oder ein Mittel dagegen gefunden ist. Im ersten Fall würde das Virus nicht mehr in der Gesellschaft weitergetragen und es wären auf diese Weise verletzliche Menschen geschützt. Dazu müssten wohl zwischen zwei Dritteln und drei Viertel der Menschen im Land mit dem Virus in Kontakt gekommen sein und Abwehrkräfte entwickelt haben. Im zweiten Fall könnten wir uns mit moderner Medizin schützen wie gegen Grippe oder Masern. Doch so weit sind wir nach Einschätzung von Experten wohl erst ab 2021.

Zwei Widersprüche im Kampf gegen das Virus lassen sich in der Zwischenzeit nicht aufheben. Das macht eine Bekämpfung so schwer und teuer. Die Einsicht der Bürger ist dabei entscheidend:

1. Was die Gesundheit schützt – Isolation -, schadet der Wirtschaft und schmälert irgendwann die Möglichkeiten einer Gesellschaft, den Gesundheitsschutz zu leisten. Also wird es darum gehen müssen, Kontakte weiter zu begrenzen, und Schwächere – auch durch Isolation – weiter zu schützen.

2. Aber auch das Ziel, dass möglichst viele Menschen überleben, lässt sich nicht so leicht ansteuern. Je mehr die Ansteckung gebremst wird, desto länger dauert es, bis viele immun sind. Je schneller die Krankheit aber wandert, desto eher stößt das Gesundheitssystem an die Grenzen und deutlich mehr Menschen sterben.

Die heikle Erkenntnis also ist: Es kann in nächster Zeit nur darum gehen, die Gesellschaft nach Abflachen der Kurve bald wieder zum Laufen zu bringen und teilweise zu bremsen, wenn die Kurve erneut steiler wird. Dann entsteht langsam Herdenimmunität, viele Menschen überleben und Sozialsysteme wie Wirtschaft kollabieren nicht. Populär wird das nicht sein.

Stop-and-Go also - langsames Fahren mit häufigem Anhalten. Das verlangt, dass Regierung, Wirtschaft und Einzelne mitziehen.

Die Regierung
In liberalen Demokratien können die Regierenden weniger bestimmen als in autokratischen Systemen. Allerdings haben sie eine andere Autorität, die allzu populistischen Regierungschefs abgeht: Die haben die Autorität der Argumente. Es geht darum, die Menschen zu informieren, die Gründe für Entscheidungen durchschaubar zu machen und zu überzeugen, dass die Allgemeinheit so bessergestellt ist als anders. Dieses stetige Abwägen hat die Bundesregierung und haben einige Landesregierungen bisher recht gut gemeistert. Wichtig ist allerdings, dass Maßnahmen einheitlich bleiben, dass nicht jedes Bundesland für sich unterwegs ist. Wichtig ist auch, dass viel auf Corona und auf Immunität getestet wird. Nur mit ausreichend Wissen kann angemessen reagiert werden.

Die Wirtschaft
Die Wirtschaft wird bald wieder anlaufen müssen. Gewaltig sind die Einbrüche ohnehin bereits. Dabei werden aber auch Unternehmen entscheiden müssen, wie sie die Risiken für ihre Beschäftigten und für ihre Kunden kleinhalten können. Ein neuer Umgang und Vorsicht wird vorerst nötig sein. Abstand halten in Geschäften, leere Sitze als Sicherheitslücke in Kinos und Theatern, Schichtpläne, die einkalkulieren, dass eine ganze Gruppe krank ausfallen kann, Verhaltensregeln und eine Hygieneausrüstung, wie sie in Ostasien schon normal sind. Das wird auf uns zukommen.

Wir Bürger
Der schwierigste Teil wird sein, wie wir diejenigen schützen, die den Schutz brauchen: Ältere, Schwache und chronisch Kranke. Das Wiederhochfahren von Wirtschaft und Alltag macht ihre Lage schwieriger. Sie müssen weiter soziale Kontakte meiden, wenn die anderen zum Normaleren übergehen. Deshalb müssen Regeln und Einsicht her: Als Arbeitende dürfen die Gefährdeten nicht benachteiligt sein, wenn sie nicht wieder normal am Arbeitsplatz erscheinen können. Als Ältere brauchen sie nach wie vor mehr Unterstützung und auch Beistand von Verwandten, Nachbarn, Freunden. Die Bundesregierung sollte Regeln setzen, die Diskriminierung verhindern und diese auch durchsetzen.

Die Wissenschaft
Mediziner, Virologen, Ökonomen und Ethiker müssen in nächster Zeit einen Gutteil ihres Jobs auch in der Information der Menschen sehen. Entscheidungen für die ganze Gesellschaft müssen zwar Politiker treffen, aber die haben mehr Gewicht, wenn die Kundigen sich als Bürger in der Pflicht sehen. Wissenschaftler müssen zeigen, wie dynamisch die Situation ist, wie unfertig ihr Wissen und wie fern oder auch nah Abhilfe durch Impfstoffe oder Therapien ist.

Ohne Zutun aller Gruppen werden wir in eine Situation kommen, in der wir nicht nur mehr Menschen sterben sehen, sondern womöglich auch bald Entscheidungen treffen müssen, wer noch welche medizinische Versorgung bekommt und wer nicht.

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