Die NRW-Wahl und die Folgen Eine Morgendämmerung der Verlierer

Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner sind die Verlierer der NRW-Wahl am vergangenen Sonntag. Quelle: dpa

Hendrik Wüst, Robert Habeck und Annalena Baerbock hießen die Stars des gestrigen Abends. Aber nun geht es um Olaf Scholz und Christian Lindner.

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Nehmen wir für einen kurzen Moment an, es stimmt, was über die Wahl in Nordrhein-Westfalen gerne gesagt wird – dass es sich um eine kleine Bundestagswahl handelt. Dann war der Blick auf die Gewinn- und Verlustbalken am gestrigen Abend wenigstens irreführend. Denn dort wurden die Ergebnisse der Landtagswahl selbstverständlich mit jenen von vor fünf Jahren verglichen. Das Fazit: Ein klarer Jetzt-kann-er-zum-Landesvater-reifen-Sieg für Hendrik Wüst, eine grüne Welle an Rhein und Ruhr, chronischer Schwund für die SPD und Strömungsabriss bei den Liberalen.

So weit, so offensichtlich. Doch in NRW wurde nicht 2017 zuletzt gewählt, sondern gerade erst vor rund sieben Monaten, bei der großen, der eigentlichen Bundestagswahl. Damals stimmten die Wählerinnen und Wähler folgendermaßen ab: CDU: 26 Prozent. SPD: 29,1. Grüne: 16,1. FDP: 11,4. 

Wenn es um die bundespolitischen Signalwirkungen des gestrigen Sonntags geht, sind diese Zahlen der interessantere und relevantere Maßstab. Zur Erinnerung und Einordnung: An jenem 24. September 2021 feierte die SPD bundesweit immerhin eine Art Wiederauferstehung, zu der NRW als Herzkammer der Sozialdemokratie (noch so ein Label) ein Ergebnis der Abteilung okay, aber immerhin oberhalb des Bundesschnitts beitrug.

Also, Vergleich zweiter Teil, nur diesmal zwischen Landtagswahl 2022 und Bundestagswahl 2021. Erstens: Die scharfkantigere CDU-Interpretation aus dem Hause Wüst-Merz kommt deutlich besser an als Armin Laschets Auftritt. Zweitens: Die Grünen können ihre Form nicht nur halten, sondern im Lichte der Regierungsbeteiligung im Bund noch steigern. Drittens: Die SPD mag gerade den Kanzler stellen, aber nach Ära sieht das noch nicht aus. Und viertens: Der FDP fehlt (post-Corona?) eine schlüssige Erzählung, wofür sie gerade gebraucht wird.

Das aus Berliner Sicht besonders Spannende an diesem Morgen sind deshalb nicht die schwarz-grünen Sieger, sondern die sozial-liberalen Verlierer – und wie sie damit im Bund umgehen werden. 

Der Umstand jedenfalls, dass Finanzminister Christian Lindner noch wenige Tage vor der NRW-Wahl mit einem ordnungspolitischen Grundsatzpapier um die Ecke bog, offenbarte vor allem eines: die Lücke an ebenjener Stelle. Ausgerechnet Lindner, der früher so süffisant die Schulden-Kredit-Rhetorik eines Robert Habeck zerlegte, mutiert nun selbst zum Meister der kreativen Haushaltsführung. Schlimmer noch aus seiner Perspektive: Er liefert nur den schnöden Rohstoff (Geld), den dann andere zu politischen Erfolgen veredeln (Klimaschutz! LNG-Terminals! Rentenerhöhungen!).

Wenn der „Ermöglichungsminister“ (Lindner über Lindner) aber vor allem den anderen die Profilierung ermöglicht – was folgt daraus? Womöglich mehr als nur atmosphärische Störungen in der Ampelkoalition.

Und zum Schluss: der Kanzler. Man mag Olaf Scholz zugutehalten, dass er gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit einer dunklen, wahrlich historischen Bewährungsprobe konfrontiert ist. Trotzdem: Die Deutschen fühlen sich bei ihm bisher beileibe nicht so sicher, wie es von seiner Vorgängerin gewohnt waren. Sie kennen ihn, aber erkennen ihn noch nicht. Die Prüfung läuft noch. Nun zeigt sich: Scholz hat die Wählerinnen und Wähler im Herbst 2021 nicht im Sturm erobert, er hat sie treuhänderisch übernommen. Und das politische Vertrauenskapital, das Angela Merkel besaß, ist ihm nicht vererbt worden.

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