Eigentümliche Koinzidenz Ein Land zwischen Trauzeugen-Affäre und Trauer um Viessmann

Robert Habeck zwischen Heizungsgesetz und „Trauzeugen-Affäre“. Quelle: imago images

Hat Habecks Heizungsgesetz wirklich den Viessmann-Verkauf mit ausgelöst? Und nun treffen „Trauzeugen-Affäre“ und Viessmann-Deal zeitlich auch noch aufeinander – höchste Zeit, das Ganze zu sortieren. Ein Kommentar.

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Was hat der Verkauf von Viessmann mit den grünen Seilschaften im Ministerium von Robert Habeck zu tun? Auf den ersten Blick nichts. Und natürlich gibt es hier keine Verbindung oder Kausalität zwischen dem Heizungsbauer und dem Heizungsumbauer. Aber das Zusammentreffen dieser Ereignisse innerhalb weniger Tage ist eine eigentümliche Koinzidenz; sie könnten zwei Folgen einer Netflix-Serie bestreiten, wo es um ein großes Drama geht: den Austausch von Millionen Heizungen. Und natürlich, auf der Metaebene: das Ringen eines Landes um seine Zukunft. 

Fangen wir mit der „Trauzeugen-Affäre“ an. 

Die Tränen um den Viessmann-Deal waren noch nicht getrocknet, da machte ein Mann Schlagzeilen, der diesen Verkauf beschleunigt haben könnte: Patrick Graichen. Graichen ist Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, zuvor Chefdenker einer Denkfabrik, und zwar von Agora Energiewende. Seine Expertise in unbestritten, sein Stil sehr umstritten. Für die einen ist er ein Klimalobbyist, der das Land mit immer neuen Transformationsplänen in den Wahnsinn beziehungsweise Abgrund treibt.

Für die anderen ist er derjenige, der diese Transformation endlich mal anpackt. Schließlich sollen wir ja alle drei- bis viermal schneller werden, wie der Kanzler immer wieder mahnt. Für Robert Habeck ist Graichen „der Mann, der Deutschland vor einer schweren Energiekrise bewahrt hat“. Und als rechte Hand unverzichtbar, er will bisher an ihm festhalten.

Graichen macht Schlagzeilen, weil er einen Mann auf einen wichtigen Posten hieven wollte, der sein Trauzeuge war: Michel Schäfer sollte Chef der Deutschen Energie-Agentur (Dena) werden. Doch die „Trauzeugen-Affäre“ ist nur ein Symptom. Über Jahre hat Graichen ein Netzwerk aufgebaut, dass sich an verschiedenen Schaltstellen und Schalthebeln eingenistet hat – und dabei ging offenkundig das Gefühl dafür verloren, was geht und was nicht.

Das Team Habeck nimmt die üppig mit Steuergeldern finanzierten Studien von Agora und gießt sie in Gesetzestexte, beziehungsweise: Graichen hämmert und hackt. Vertreter der Energiebranche reden meist nur noch anonym, weil sie sich nicht mit ihm anlegen wollen.

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Man muss sich nur mal vorstellen, wie die Grünen feixen würden, wenn die FDP solch eine Personalpolitik praktiziert hätte. Die CDU läuft sich schon warm, den „grünen Filz“ und „grünen Selbstbedienungsladen“ vor einen Untersuchungsausschuss zu bringen – denn so läuft es nun mal in der Politik: Schäfer ist eine Belastung für Graichen, Graichen ist längst eine Belastung für Habeck. 

Aber auch ganz ohne Trauzeugentümelei ist es höchste Zeit, die Steuerungsfähigkeit dieser Agora-Ökonomie zu hinterfragen. Wohl noch nie hatten die Papiere einer Lobbyorganisation so viel Einfluss auf die Politik, und zwar nicht auf irgendein Gedöns, sondern auf die Umgestaltung einer Volkswirtschaft. Was Graichen tut, wird dieses Land verändern.  

Wohlwollend – und fairerweise – müsste man sagen: Das Drehbuch von Agora ist kein Hirngespinst. Die Maßnahmen und Fahrpläne findet man im Kern auch in Studien über die „Klimapfade“ von BCG und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder der Internationalen Energieagentur (IEA). Letztere nennt in ihrem Netto-Null-Szenario – eine der globalen Referenzstudien – ebenfalls Meilensteine für die Dekarbonisierung der Gebäude, darunter: keine neuen fossilen Heizungen ab 2025. Und 600 Millionen Wärmepumpen weltweit im Jahr 2030. 

Das Problem liegt nicht in den Zielen an sich, sondern wie Graichen sie als Habecks oberster Umgestalter erreichen will: durch Pläne, die überfordern, überstülpen, sehr viel vorschreiben und verbieten. Die weniger auf Innovationen oder Instrumente wie den CO2-Preis vertrauen, sondern auf Ausstiegsdaten, Quoten, Regularien – und absurde Grenzwerte wie das Alter eines Heizungsbetreibers. Das Problem ist, dass Graichen Politik nicht als „Bohren dicker Bretter“ versteht, als ein Prozess, in dem man den Ausgleich von Interessen sucht – und, wie es so häufig heißt, „die Menschen mitnimmt“.

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Verbote hat es immer gegeben – von FCKW, bleihaltigem Benzin bis hin zu Glühbirnen. Doch bei den Heizungen geht es nicht um einen Giftstoff oder etwas, was man ausschraubt und dann eben durch LED ersetzt. Es geht um Millionen Häuser und Lebenswerke. Man muss hoffen, dass Graichens Gebäudepläne in der Form nicht Gesetz werden.

Und damit sind wir bei Viessmann

Der Verkauf erregt noch immer die Gemüter, weil er just in dieser Phase ins Herz trifft. Nicht nur in das der Mitarbeiter und der Familie, wo nach der Verkündung Tränen geflossen sind, wie Max Viessmann der WirtschaftsWoche im Interview berichtet hat. (Das Gespräch lesen Sie in der aktuellen Ausgabe oder hier auf unserer Website.) Der junge Chef betont: „Es ist kein Ausverkauf, kein Verkauf, sondern ein Teilverkauf und eine Partnerschaft.“ 

Die Frage über die Rolle der Politik wurde eher höflich beantwortet: 

Die Rahmenbedingungen haben sich stark und vor allem sehr schnell verändert – die Regulierung hat auch eine Rolle gespielt, aber nicht die entscheidende.

Max Viessmann, Viessmann-CEO


Aber hat das Quasiverbot von Gasthermen ab 2024 das Geschäft nicht doch früher zerstört, von dem Viessmann dachte, es noch lange betreiben zu können?  „Natürlich ist es so“, sagt Max Viessmann dazu: „Die Automobilindustrie muss bis 2035 ihr Produktportfolio umbauen, und das ist schon eine Herausforderung. Für uns ist der Zeithorizont viel kürzer. Aber wir haben nun eine sehr gute Lösung gefunden.“

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Insofern gibt es schon eine feine, gestrichelte Linie zwischen Viessmann und Graichen, auch wenn es falsch wäre zu sagen: Ohne den Agora-Staatssekretär würde Viessmann heute weiter fröhlich Gasheizungen verkaufen – das Aus der Gasheizung wurde durch den Ukraine-Krieg und das Ende des Gashandels mit Russland ausgelöst. 

Am Ende stürzt sich die Opposition auf Habecks Staatssekretär und das ganze Land auf die Wärmepumpe. Wo der Wettbewerb nicht zwangsläufig verloren ist. Der Chef von Stiebel Eltron, Kai Schiefelbein, der Nummer vier auf dem deutschen Markt, sagt:

Das Leben ist Wettbewerb, wir müssen kämpfen.

Kai Schiefelbein, Chef von Stiebel Eltron


Das Unternehmen aus Holzminden in Niedersachsen investiert gerade in Deutschland. Und Schiefelbein hat auch eine klare Botschaft: Natürlich sei es richtig, dass Deutschland Millionen Heizungen austauscht. „Sonst können wir den Klimaschutz vergessen.“ Deutschland habe eben einen riesigen Nachholbedarf. „Robert Habeck hat da ein schweres Erbe angetreten, Deutschland hat da einfach vieles verpennt.“  

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Insofern ist Graichen auch ein wenig Projektionsfläche: Er überfordert das Land auch deshalb, weil vorher viel liegen geblieben ist. 

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