Energiekrise und Entlastungspakete „Wäre Deutschland ein Unternehmen, würde es wohl direkt in der Pleite landen“

Gabriel Felbermayr ist Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), zuvor war er Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Quelle: dpa

500 Euro Klima- und Anti-Teuerungsbonus plus eine Strompreisbremse: Kommt Österreich besser durch die Krise? Ökonom Gabriel Felbermayr über Deutschlands Rückstände, Blackouts und bröckelnde Solidarität.

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WirtschaftsWoche: Herr Felbermayr, die Bundesregierung hat zwar bereits drei Entlastungspakete in Höhe von 95 Milliarden Euro verabschiedet, sie muss sich bei der Auszahlung jedoch allerlei Krücken wie der Energiepreispauschale bedienen, während Österreich 500 Euro Klima- und Anti-Teuerungsbonus pro Kopf direkt auszahlt. Was können unsere Nachbarn besser?
Gabriel Felbermayr: Ich bin als Österreicher natürlich ein bisschen befangen, aber ich habe 16 Jahre in Deutschland gearbeitet und Steuern gezahlt – aber ich konnte es mir nicht vorstellen, dass die Dinge heute, im Jahr 2022, dort noch immer so rückständig sind. Die Finanzverwaltung in Österreich hat ihre Hausaufgaben gemacht, mit FinanzOnline gibt es das digitale Finanzamt, bei dem Steuer- und Kontonummern für Direktzahlungen hinterlegt sind. Auch die elektronische Unterschrift gibt es schon seit Jahren, so dass man Behördengänge auch am Samstagabend um 23 Uhr problemlos auf dem Handy erledigen kann.

In Deutschland dauert es noch mindestens 18 Monate, bis Steuer-IDs und IBANs verknüpft sind, außerdem könnten die IT-Systeme des Bunds nur 100.000 Überweisungen pro Tag erledigen, erklärte Finanzminister Christian Lindner kürzlich als Entschuldigung dafür, dass es noch keine direkten Auszahlungskanäle gibt. Klingt nicht nach einer Hightechnation, oder?
Als ich das gehört habe, war ich in der Tat schockiert. Wer über die Grenze nach Österreich kommt, merkt doch schnell, dass die Spielräume hier etwas größer sind – was sich dann auch politisch nutzen lässt. Deshalb kann ich das Tempo in Deutschland erst recht nicht nachvollziehen.

Was meinen Sie konkret?
Wer hier beispielsweise monatlich Familienhilfe bezieht, erhält bei der Auszahlung automatisch eine E-Mail aufs Handy mit dem Hinweis, dass der Staat gerade sein Füllhorn über dem Empfänger ausgeschüttet hat – was hilfreich ist, um die politische Sichtbarkeit solcher Maßnahmen zu erhöhen. Sonst ist die Gefahr groß, dass die Bürger gar nicht merken, dass der Staat ihnen gerade Geld gegeben hat. Bei den Entlastungspaketen in Deutschland scheint mir das der Fall zu sein. Das ist dann eine Lose-Lose-Situation: Der Staat zahlt, aber der Bürger ist trotzdem frustriert, weshalb dann wieder nachgelegt werden muss.

Ein E-Government-Flaggschiff wie FinanzOnline hört sich für deutsche Amtsstuben wohl nach Raketenwissenschaft an. Ist die Bundesrepublik in Sachen Digitalisierung ein hoffnungsloser Fall?
Wäre Deutschland ein Unternehmen, würde es mit seinen Reaktionszeiten wohl direkt in der Pleite landen. In einer Welt, die so schnelllebig ist, und in der immer neue Krisen zu bewältigen sind, muss man den Grund für diese Verzögerungen sehr genau analysieren. Dass es auch in Deutschland Wege zur Beschleunigung gibt, zeigen ja die Genehmigungen der LNG-Terminals in der Nordsee.

Dann gibt's doch Grund zur Hoffnung?
Typischerweise brauchen solche Genehmigungsverfahren großindustrieller Anlagen in Deutschland ja sonst Jahre, hier ging’s jetzt plötzlich. Ich bin kein Jurist, aber mir kommt dieser Defätismus in der Politik sehr vorschnell vor. Es kann doch nicht sein, dass es nicht schneller geht, obwohl es angeblich einen politischen Willen gibt – aber der ist dann vielleicht am Ende doch nicht so groß wie behauptet.

Im Koalitionsvertrag der Ampel steht immerhin, dass ein Auszahlungssystem fürs Klimageld geschaffen werden soll, um die CO2-Steuer auszugleichen. Aber laut Lindner dauert es eben mindestens noch eineinhalb Jahre. Das dürfte also nicht allein eine technische Frage sein? 
Heute versucht Deutschland, die Leute über halbgare Modelle zu entlasten. Weil es damit aber nur eine geringe Treffsicherheit gibt, werden die Hilfsmaßnahmen teurer, als sie es eigentlich sein müssten. Der Bürger bekommt irgendwann von irgendwoher 300 Euro gezahlt, aber er weiß vielleicht gar nicht warum und von wem. Solche Maßnahmen versenden sich und der Bürger denkt, dass der Staat nichts tut, um seine Nöte zu lindern. Eine etwaige Verzögerungstaktik würde für die Regierung also auch politisch teurer werden, als zügig ein System für Direktzahlungen zu etablieren.

Aber mit Verlaub, treffsicher ist der Klima- und Anti-Teuerungsbonus in Österreich auch nur insofern, dass er alle trifft. Jeder Bürger bekommt einkommensunabhängig 500 Euro, für Kinder werden 250 Euro gezahlt, auch gut situierte Familien profitieren. Warum setzt auch Österreich trotz der direkteren Entlastungsmöglichkeiten auf das Prinzip Gießkanne?
Tatsächlich sieht der Klimabonus eigentlich eine Differenzierung vor. Das System wurde schon sehr lange geplant, es ist ein zentraler Bestandteil des österreichischen CO2-Bepreisungsmodells für private Haushalte: Heizen und Tanken bekommen einen Preis, um die Nachfrage zu reduzieren. Diese Einnahmen sollen dann über den Bonus umverteilt werden – allerdings nicht gestaffelt nach Einkommen, sondern nach Infrastruktur.

Wie soll das funktionieren?
Wer in einer Region mit gut ausgebautem Nahverkehr lebt, der bekommt weniger Bonus ins Geldbörserl, weil er mit Bus und Bahn fahren könnte, statt teuer zu tanken. Wo der Staat eine solche Infrastruktur nicht bietet, gibt es mehr Geld, weil nur schwer aufs Auto verzichtet werden kann. Deshalb ist der Klimabonus also eigentlich eine Maßnahme, die ökologisch sinnvoll und treffsicher ist.

Warum wurde auf eine Einkommenskomponente verzichtet?
Es war tatsächlich nie angedacht, eine Umverteilung nach Einkommensgruppen zu machen. Muss man nach diesem Modell aber auch nicht, weil dies indirekt inkludiert ist. Denn wer eine große Wohnung hat, viel Gas verbraucht und mehrere Autos nutzt, der bezahlt sehr viel CO2-Steuer, bekommt aber trotzdem nur 500 Euro zurück. Und Menschen mit niedrigerem Einkommen und geringerem Verbrauch bekommen den Klimabonus ebenfalls in voller Höhe und damit Netto mehr raus. Angesichts der Inflation wurde nun auf die regionale Staffelung verzichtet. Wenn nun aber auch ab Oktober der CO2-Preis nicht kommt, dann wäre der Bonus eine reine Transferzahlung und aus ökonomischer Sicht in der Tat nicht zielgerichtet.

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