Energiekrise und Milliarden-Entlastungen „Christian Lindner errichtet ein potemkinsches Dorf“

„Christian Lindner kann sich gerne an der Illusion wärmen, dass er formell die Schuldenbremse bewahrt“, meint Ökonom Gabriel Felbermayr. Quelle: imago images

Trotz des neuen Rettungspakets von 200 Milliarden Euro will der Finanzminister die Schuldenbremse einhalten. Ökonom Gabriel Felbermayr kritisiert die Strategie – und warnt vor den Folgen einer Gaspreisbremse.

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WirtschaftsWoche: Herr Felbermayr, die Bundesregierung spannt einen 200-Milliarden-Euro-Rettungsschirm auf, um Haushalte und Wirtschaft in der Energiekrise zu unterstützen. „Doppelwumms“ nennt Kanzler Olaf Scholz das Paket. Bringt es auch einen Entlastungs-Rumms?
Gabriel Felbermayr: Zumindest vordergründig werden Verbraucher und Wirtschaft jetzt sicher entlastet, wenn eine Strom- und Gaspreisbremse kommt. Aber tatsächlich sind Entlastungspakete wie der „Doppelwumms“ nur ein Umverteilungsprogramm. 

Inwiefern? 
Die Beschaffungskosten, die die deutsche Volkswirtschaft für Strom und Gas hat, werden ja nicht geringer. Die Regierung sorgt mit den Paketen jetzt zwar temporär für Entlastungen, geht aber enorme Neuverschuldungen ein, um die Last der aktuell hohen Preise zu verringern. Das ist kein Befreiungsschlag, mit dem ein Thema abgeräumt wird, sondern eine Verschiebung in die Zukunft. Die fiskalpolitischen Spielräume werden dadurch nur noch weiter verringert.  

Der neue Rettungsschirm wird über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) gestemmt, Finanzminister Lindner sieht die Schuldenbremse gerettet. Hat er recht? 
Legistisch gesehen hat er sicher recht, ökonomisch aber nicht. Denn solche Wege wie über den WSF sind nur ein Vehikel, um die Schuldenbremse zu umgehen. Christian Lindner kann sich gerne an der Illusion wärmen, dass er formell die Schuldenbremse bewahrt. Aber der Sache nach führt er die Schuldenbremse ad absurdum. Es wäre es ehrlicher, zu sagen, wir setzen sie noch ein Jahr aus. Hier wird von Herrn Lindner ein potemkinsches Dorf errichtet, das so aussieht, als wäre die schwäbische Hausfrau noch zu Hause – dabei ist sie längst ausgezogen.

Der Ökonom Gabriel Felbermayr Quelle: dpa

Zur Person

Der „Doppelwumms“ ist nicht der einzige Schattenhaushalt, es gibt daneben beispielsweise das Sondervermögen für die Bundeswehr, dazu den Klima- und Transformationsfonds. Wie viele Schattenhaushalte kann Deutschland vertragen?
Offensichtlich sehr viele. Zumal es nicht nur diese Schattenhaushalte gibt, sondern daneben auch viele implizite Staatsverschuldungen. Das sind die Zahlungsversprechen, die der Staat in der Zukunft schon eingegangen ist, ohne sie heute bereits einzupreisen, beispielsweise Beamtenpensionen. Die sind noch nicht durch Steuereinnahmen gedeckt. Ein Unternehmen müsste für solche Verpflichtungen in der Bilanz Rückstellungen aufführen, das macht der Staat alles nicht.

Von welcher Größenordnung sprechen wir?
Während die Schattenhaushalte in Form von Rettungspaketen und Sondervermögen klar bezifferbar sind, geht es bei nicht passivierten Zahlungsversprechungen in der Zukunft um eine Staatsverschuldung, die weit mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts umfassen kann. Ein drastischer Bruttoschuldenstand, der die Spielräume in der Zukunft erheblich beschränkt.

Was heißt das für den Standort Deutschland? 
Wird die Neuverschuldung jetzt so hochgefahren, sind etwa Steuersenkungen oder Investitionen in die Infrastruktur künftig umso schwerer möglich. Und schon jetzt ist es ja absehbar, dass die Belastungen auch ohne Schattenhaushalte weiter steigen angesichts der demografischen Entwicklung. Der Staat wird deutlich mehr Geld für Pflege und Rente ausgeben müssen, gleichzeitig aber untergräbt die Bundesregierung mit dieser Art von Politik die Spielräume dafür.

Das ist die ökonomische Sicht. Aber sind solche Rettungspakete angesichts der Not politisch nicht unumgänglich? 
Ja, denn die Alternative kann ja freilich nicht sein, dass wir sehenden Auges in eine Situation laufen, in der wir Unruhen und soziale Verwerfungen riskieren und solche Parteien die Landtage dominieren, die sich der westlichen Demokratie nicht mehr verpflichtet fühlen. Man muss dann abwägen, was das kleinere Übel ist. Es geht also darum, dass mit diesem 200-Milliarden-Euro-Paket möglichst wenig Schlechtes bewegt wird, sondern möglichst viel Gutes.

Was heißt das konkret? 
Dass man Menschen und Wirtschaft zielgerichtet dort hilft, wo Existenzen bedroht sind, aber dass die Gießkanne im Schuppen bleibt. Und, vor allem: Vorsicht bei Unternehmenshilfen. Denn Unternehmen haben Wege, sich der Teuerung zu entziehen. Nichts in der Welt kann sie daran hindern, die Subventionen zu kassieren und trotzdem die Preise weiterzugeben. Das Thema der Überförderung hatten wir schon zur Coronazeit – und es wird jetzt wieder groß werden.

Ist der Rettungsschirm am Ende also die beste unter den schlechten Alternativen? 
Wir wissen bisher nicht, wie die Maßnahmen konkret aussehen und die Gas- und Strompreisbremsen gestaltet werden sollen. In der Findungskommission wird jetzt gerungen, aber Obacht, auch da kann sehr viel falsch gemacht werden.

Welche Fehler fürchten Sie bei der Gas- und Strompreisbremse?
Es kann fatale Folgen haben, wenn die Preissignale nicht bei den Bürgern ankommen und durch die 200 Milliarden Euro verwässert werden. Denn Gas und Strom sind knapp und müssen eingespart werden. Schlagen die Preise nicht durch, müssen am Ende womöglich noch viel schlechtere Maßnahmen ergriffen werden. In einer Gasmangellage drohen Rationierungen oder Abschaltbefehle. Dann werden Gasmengen behördlich zugeteilt oder Betriebe geschlossen, der volkswirtschaftliche Schaden wäre enorm. 

In Österreich gibt es bereits eine Strompreisbremse, taugt sie als Vorbild für Deutschland?
Die Strom- und Gasmärkte sind mit ihren wenigen Spielern sicher nicht perfekt. Aber der Markt weiß am besten, wie groß die Preissignale sein müssen. Das heißt aber nicht, dass man den Haushalten nicht helfen kann. In Österreich wird ein Teil der Stromrechnung bis zu einer bestimmten Höhe subventioniert, der darüber liegende Verbrauch wird zu Marktpreisen abgerechnet, so dass die Einsparanreize erhalten bleiben. Ein ähnliches Modell wird es sicher auch für Deutschland geben.

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Allerdings will Deutschland nicht nur den Strompreis reduzieren, sondern auch den Gaspreis. Viele EU-Länder werfen Deutschland deshalb vor, seine Unternehmen in einer Größenordnung zu unterstützen, mit denen kleinere Staaten nicht mithalten können. Ist der Ärger in der EU zu recht groß?
Ja – und das sollte auch Deutschland selbst zu denken geben, denn mit einer nationalen Gaspreisbremse droht ein Subventionswettlauf. Wir haben uns in Österreich bisher bewusst nur für die Strompreisbremse entschieden. Denn Gas ist ein fossiler Brennstoff, den wir eigentlich nicht fördern wollen. Wenn aber jetzt Deutschland den Gasverbrauch subventioniert, und zwar großflächig auch in der Industrie, dann werden auch Österreich, Frankreich, die Benelux-Staaten und Italien mitziehen müssen. Sonst würden sie Wettbewerbsnachteile haben und Markanteile gegenüber Deutschland verlieren, auf zwar auf unfaire und asoziale Art und Weise.

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Die von Scholz geplante Gaspreisbremse wäre asoziale Politik? 
Es besteht zumindest die Gefahr. Denn die Regierung will ja offenbar verhindern, dass sich Deutschland deindustrialisiert. Deshalb werden mit dem 200-Milliarden-Paket Subventionen erdacht, damit die deutsche Industrie im Land bleibt. Dann sind andere Länder wieder unter Zugzwang, damit ihre Fertigung nicht nach Deutschland abwandert. Und dann haben wir am Ende überall hohe Subventionen, zu wenig Einspareffekte und einen weiter steigenden Gaspreis. Es würden Aktienkurse gestützt, aber Geld verbrannt. Die eigentlichen Ziele würden komplett konterkariert. Dann wäre die Gaspreisbremse de facto eine asoziale Politik, die sich ein sozialdemokratischer Kanzler sicher nicht zuschreiben lassen will.

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