Freytags-Frage
Die Folgen des Klimawandels wachsen. Quelle: dpa

Klima oder Marktwirtschaft: Was stirbt zuerst?

Der Klimawandel wird immer bedrohlicher. Zwar tut die Politik schon deutlich mehr. Doch mit ihrem dirigistischen Handeln bedroht die Bundesregierung die Marktwirtschaft – und könnte in der Klimapolitik zu versagen.

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Der Klimawandel bedroht die Welt immer mehr. Seit einigen Jahren – nicht zuletzt dank eines stark gestiegenen öffentlichen Interesses und vor dem Hintergrund zunehmender Extremwetterlagen – werden die Regierungen aktiv. Das ist zunächst sehr erfreulich. Es ist auch löblich, dass Regierungen bei der Bekämpfung der Coronakrise den Klimaschutz nicht aus dem Blick genommen haben.

Das war es dann aber schon mit den guten Nachrichten. Denn die Pläne der Regierungen in Europa unter Einschluss der Europäischen Kommission lassen nichts Gutes erwarten. Überall werden sehr konkrete Vorgaben zu Zukunftstechnologien beziehungsweise zur weiteren Verwendung bekannter Technologie (einschließlich Abschaltplänen und Verboten) vorbereitet. In der Politik mangelt es offenbar an der Fantasie, sich vorstellen zu können, dass Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Kreativität besitzen, klimafreundliche Technologien zu entwickeln, wenn sie nur deren Marktfähigkeit sehen.

So geht auch die Bundesregierung vor. Die deutsche Klimapolitik ist dirigistisch und agiert mit sektorspezifischen Vorgaben, Verboten, Appellen und Subventionen für genau definierte Technologien. Es ist an dieser Stelle (und anderswo) mehrfach darauf hingewiesen worden, dass sowohl theoretische Überlegungen als auch empirische Erfahrungen nahelegen, den Schwerpunkt der Klimapolitik auf die sektorneutrale Bepreisung von klimaschädlichen Treibhausgasen, insbesondere CO2, zu legen. Dazu liegen vielfältige Erfahrungen vor, die sich einig sind, dass preisbasierte Klimapolitik effizient und effektiv ist. Immerhin startet die Bundesregierung im kommenden Jahr mit einer – der Höhe nach allerdings eher symbolischen – CO2-Steuer.

Die nahezu vollständige Verweigerung einer marktwirtschaftlichen Klimapolitik geht einher mit einer immer dirigistischeren Wirtschaftspolitik im Allgemeinen – der Begriff Soziale Marktwirtschaft wird in der Politik kaum mehr geführt. Der selbsternannte legitime Nachfolger von Ludwig Erhard, Bundeswirtschaftsminister Altmaier, wartet regelmäßig mit industriepolitischen Vorschlägen auf, die bei Ludwig Erhard wohl wenig Chancen auf Beachtung, geschweige denn auf Realisierung hätten. Nicht erst seit der Coronakrise, die in der Tat eine massive konjunkturpolitische Reaktion erfordert, zeigt der Minister einen hohen Optimismus hinsichtlich der Fähigkeit des Staates, Märkte zu ersetzen und selbst unternehmerisch tätig zu werden. Damit trägt er – sicherlich ungewollt – zum allgemeinen marktfeindlichen Klima und zur grassierenden Staatsgläubigkeit in unserem Land bei.

Nun gibt es einen neuen Vorstoß. Mit Blick auf die Mobilität kennt der Minister die Zukunft offenbar viel besser als sämtliche Unternehmen und Konsumenten gemeinsam. So sieht er die Zukunft der Mobilität eindeutig elektrisch. Andere Technologien für klimaneutrale Mobilität werden von der Bundesregierung weitgehend ignoriert. Deswegen macht sie den Automobilproduzenten ein Angebot, dass diese nicht ablehnen können. Sie bekommen zusätzlich zu den beschlossenen Corona-Hilfen für den Klimaschutz weitere drei Milliarden Euro an Kaufprämien für Elektro- und Hybridfahrzeuge; ihre Auszahlung wird bis ins Jahr 2025 garantiert. Hinzu kommen weitere Mittel im Milliardenbereich für die Infrastruktur.

Nun waren die Autoproduzenten schon immer sehr erfolgreich darin, der Bundesregierung Privilegien abzuringen. Regelmäßig reicht der Hinweis auf die hohe Anzahl an Arbeitsplätzen, die der Automobilbau in Deutschland schafft, um Umweltauflagen zu minimieren oder Konjunkturhilfen zu maximieren. In diesem Fall ist es aber so, dass es noch nicht einmal irgendwelcher Überzeugungsarbeit bedurft hätte. Der Gestaltungswille der Regierung war offenbar so groß, dass man der Automobilindustrie das Geld aufdrängte.



Die potenziellen Nebenwirkungen sollten allerdings nicht unterschlagen werden. Ökonomisch bedeutet dieser Schritt einen weiteren Eingriff in die unternehmerische Freiheit, wenn auch teuer bezahlt. Das Land entfernt sich wieder einen Schritt von der Leitidee der Sozialen Marktwirtschaft und der Arbeitsteilung zwischen Staat und Wirtschaft. Die Automobilindustrie wird in eine Richtung gedrängt, die keineswegs die allein denkbare ist. Wenn sich herausstellen sollte, dass Elektromobilität doch nicht die beste Lösung ist, hätte die deutsche Industrie sich in eine Falle leiten lassen (aus der ihr der Wirtschaftsminister dann sicher gerne heraushelfen würde).

Daneben ist es keineswegs sichergestellt, dass die dirigistische Klimapolitik effektiv ist. Bislang jedenfalls ist die Ökobilanz der Elektromobilität noch nicht überzeugend. Und es gibt andere Technologien, die durch die Konzentration der Regierung auf die Elektromobilität aus dem Blick geraten. Außerdem stellt diese Art der sektoralen Klimapolitik noch nicht sicher, dass weniger CO2 emittiert wird. Das bringt uns wieder zu den eigentlich relevanten Lösungen: eine hohe und ständig steigende CO2-Steuer oder eine sich dauerhaft verringernde Emissionshöchstgrenze. Beide Maßnahmen können tatsächlich Substitutionsprozesse in Gang setzen. Dann muss niemand Technologien vorschreiben, weil die Unternehmen einen hohen Innovationsanreiz hätten. Dieser könnte steuerlich noch befeuert werden.

Das politische Problem dieser Lösung liegt darin, dass sich erstens kein Minister auf die Fahne schreiben lassen kann, uns mit einer einfachen Lösung in die Zukunft zu führen, und zweitens eine dramatische Verteuerung der Treibhausgasemissionen soziale Verwerfungen mit sich bringen kann, zumindest kurzfristig. In diesem Fall müsste dann das Steuer- und Transfersystem umgebaut werden, damit die Lasten des Klimaschutzes fair verteilt werden könnten. Langfristig würde mit dieser Politik die Wirtschaftsordnung erhalten und das Klima effektiv geschützt werden.


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Der nun eingeschlagene Weg ist kurzfristig attraktiv, er bescheinigt der Regierung Handlungswillen und -fähigkeit. Die Kosten in der langen Frist sind allerdings gravierend. Sie bestehen in der Schwächung der Wirtschaftsordnung und einer ineffektiven Klimapolitik. So kann ein Teufelskreis erzeugt werden: Weil die Schwächung der Wirtschaftsordnung die wirtschaftliche Dynamik reduziert und den Wohlstand gefährdet, sinkt die Bereitschaft zum Klimaschutz. Mit weiterer Klimabelastung steigt die Bereitschaft der Politik, weitere dirigistische Maßnahmen zu ergreifen. Diese senken den Wohlstand weiter. Dann wird es spannend – aber nicht erfreulich – zuzusehen, wer länger durchhält: die Marktwirtschaft oder das Klima.

Mehr zum Thema: Bis Jahresende wollen sich die EU-Staaten auf ein neues Klimaziel für das Jahr 2030 einigen. Das Umweltbundesamt fordert ein ambitioniertes Vorgehen.

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