Freytags-Frage
Quelle: imago images

Warum ist Inflationsbekämpfung nicht alleinige Aufgabe der EZB?

Die deutsche Wirtschaft steht vor einigen großen Herausforderungen. Diese lassen sich vor allem am Beispiel der Inflation messen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Im Herbst 2022 steht die deutsche Wirtschaft so schlecht da wie seit Jahrzehnten nicht mehr – die Inflationsrate ist zweistellig, es droht eine Insolvenzwelle, und die internationale Arbeitsteilung ist ernsthaft gestört. Die Bürger wissen nicht mehr, wie sie die Energierechnung für den Winter stemmen sollen. Leider hat die Politik darauf bisher keine echte Antwort gefunden, was angesichts der Gemengelage auch nicht verwundert.

Am Beispiel der Inflation und ihrer Bekämpfung lässt sich festmachen, wie groß die Herausforderung wirklich ist. Denn die Ursachen für das Ausmaß an Geldentwertung sind komplex.

  • Da ist zunächst die Geldpolitik. Die permissive Ausweitung der Geldmenge seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 ist in der europäischen Nachkriegsgeschichte ohne Beispiel. Damit hat sich ein traditionelles Potenzial für Preissteigerungen aufgebaut, das erst realisiert, wenn die Geldbasiserhöhung sich auch in einer Erhöhung umfassender Geldmengenaggregate (M3) niederschlägt. Dass dies jahrelang nicht geschah, hat die Wachsamkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) sicherlich nicht geschärft. Zusätzlich ist der Zins vermutlich jahrelang zu niedrig gewesen; neuere Studien zeigen, dass die EZB den neutralen Zins vermutlich unterschätzt hat.
  • Beides – die rasch wachsende Geldbasis und der niedrige Zins – hat auf jeden Fall dazu beigetragen, dass die EZB den Regierungen suggeriert hat (beziehungsweise von ihnen dazu getrieben wurde), dass öffentliche Schulden in nahezu beliebiger Höhe kein Problem sind. Das Ankaufsprogramm der EZB hat den Regierungen unendlich viel Geld in die Budgets gespült. Vor diesem Hintergrund haben die Regierungen der Mitgliedsländer die Forderung von EZB-Präsident Draghi nach angebotspolitischen Reformen ignoriert. Die vielen Mahnungen der letzten Dekade durch Ökonomen – auch in dieser Kolumne – wurden ignoriert. Vielen Mitgliedern der Eurozone muss man Strukturschwäche unterstellen.
  • Aber es gibt auch Faktoren, die außerhalb der Zuständigkeit der EZB und der nationalen Regierungen liegen. Dies sind erstens die Störungen der Lieferketten wegen der Corona-Pandemie, die viele Produktionsprozesse unterbrechen und damit für Angebotseinschränkungen sorgen. Man könnte sozusagen von De-Globalisierung sprechen. Dadurch steigt der Preisdruck.
  • Zweitens die Energiepreissteigerungen aufgrund des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Sie sind das Resultat von verknappten Öl- und Gaslieferungen in die Eurozone. Hier kann man aber schon von einer Zuständigkeit der Bundesregierung (wenn auch nicht in der aktuellen Besetzung) ausgehen. Die verkorkste Energiewende (ineffizient und ineffektiv), die völlig ausgeuferte Bürokratie sowie der überaus naive Umgang der Bundesregierung mit der russischen Regierung haben die Ausweichmöglichkeiten deutlich reduziert. Die Krise schlägt voll durch.

Diese Ursachenbeschreibung zeigt an, dass es nicht nur darum geht, die Geldpolitik wieder auf das Ziel Geldwertstabilität zu fokussieren, um die Inflationsrate auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Die Wirtschaftspolitik insgesamt muss wieder vom Kopf auf die Beine gestellt werden. Die notwendigen Schritte sollen im Folgenden kurz grob skizziert werden.

Während viele Deutsche jetzt kaum noch sparen können, fragen sich andere, ob sie wegen der hohen Inflation nicht sogar mehr Geld zurücklegen sollten. Etwas anderes ist allerdings noch wichtiger als die Höhe der Sparrate.
von Saskia Littmann
  • Die Geldpolitik muss sich wieder ausschließlich um Geldwertstabilität kümmern. Weder die Tragfähigkeit italienischer Staatsschulden noch die Arbeitsplätze in zum Beispiel Irland, Deutschland oder Griechenland sind im Zentrum der Aufgaben der EZB. Ihre zentrale Aufgabe ist die Sicherung der Geldwertstabilität. Dafür ist sie völkerrechtlich verpflichtet; es ist ihr auch theoretisch die dazu nötige Unabhängigkeit von der Tagespolitik garantiert. Sie muss sie nur nutzen und sich wieder vom Druck der Finanzminister befreien. Denn es ist falsch zu glauben, die EZB wäre besonders machtvoll – im Moment hat sie sich nachgerade zur Sklavin der Finanzminister machen lassen. Das muss sich wieder ändern.
  • Damit dies klappt, müssen die Regierungen in der Eurozone endlich ihre Verantwortung für die Angebotsseite der Wirtschaft übernehmen. Insbesondere Deutschland hat nach sechzehn Jahren Stillstand einen Neustart nötig. Das betrifft die Bildungspolitik, die öffentliche Verwaltung, die mehr bremst als hilft, die Energiepolitik, die Steuergesetzgebung, die Alterssicherungspolitik, die Digitalisierung sowie die innere und äußere Sicherheit. Deutschland ist borniert geworden. Wir müssen uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren und die echten Probleme angehen. Es reicht nicht, paternalistische Lieferkettengesetze zu verabschieden oder den Menschen vorzuschreiben, wie sie diskriminierungsfrei zu sprechen haben. Wir können uns auch keinen korrupten öffentlichen Rundfunk mehr erlauben. Alles muss auf den Prüfstand.

Es zeigt sich, dass die Inflation ein Spiegel einer ganzen Reihe von Problemen ist und nicht isoliert betrachtet werden darf. Somit ist hier im Grundsatz nicht mehr und nicht weniger als eine gesellschafts- und wirtschaftspolitische Revolution beschrieben. Sie wird nicht leicht umzusetzen sein. Denn die Impulse vieler Politiker führen genau in eine entgegengesetzte Richtung: mehr Staatsaktivität und Regulierung, mehr Sozialpolitik, weniger Globalisierung.

Rezept zum Reichwerden? Das steckt hinter dem System von Deven Schuller

Ein selbsternannter Finanzexperte will seinen Kunden laut eigener Aussage dabei helfen, finanzielle Freiheit zu erreichen, und pflastert das Internet mit Werbung. Was steckt dahinter? Ein Selbstversuch.

Freiberufler-Report So viel verdienen Selbstständige in Deutschland

Zwei Euro mehr pro Stunde – und kaum noch ein Gender Pay Gap: Selbstständigen geht es auch in der aktuell schwierigen Lage recht gut. In welchen Bereichen sie am meisten verdienen.

Leistung Warum Manager es ihren Mitarbeitern nicht zu gemütlich machen sollten

Wenn sich Mitarbeiter sicher fühlen, bringen sie bessere Leistung. Das zumindest ist die Hoffnung. Tatsächlich ist oft das Gegenteil der Fall.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Wenn wir unseren Wohlstand erhalten und das westliche Gesellschaftsmodell in anderen Regionen attraktiv machen wollen, müssen wir uns auf den Kern dieses Modells besinnen. Und der ist am einfachsten charakterisiert als die Kombination von Demokratie und Marktwirtschaft. Es wird Zeit für einen Aufbruch in fast allen gesellschaftlichen Bereichen. Die multiplen Krisen bilden einen idealen Startpunkt dafür.

Lesen Sie auch: Viele Deutsche legen nur noch maximal 100 Euro im Monat zurück. Auch mit diesem Betrag lässt sich Vermögen aufbauen – es gibt allerdings einen Haken.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%