Freytags-Frage
Deutschland hat sich in eine Abhängigkeit von Russland navigiert. Genau das muss im Umgang mit China verhindert werden. Quelle: dpa

Welche Lehren müssen wir aus dem Verhalten Russlands für den Umgang mit China ziehen?

Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas fällt der Regierung jetzt auf die Füße. Im Umgang mit China dürfen ihr nicht dieselben Fehler passieren.

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Es ist eine Binsenweisheit, dass man sich wirtschaftlich nicht von einem einzigen Partner abhängig machen soll. Dies gilt für Lieferanten genauso wie für Absatzmärkte. Das Zauberwort lautet Diversifikation, man streut die Einkäufe und sucht nach verschiedenen Absatzmärkten.

Idealerweise sind diese Märkte in dem Sinne unabhängig voneinander, dass der Ausfall eines Partners nicht zeitgleich mit dem Wegbrechen der anderen stattfindet. Spätestens seit den Engpässen in der Versorgung mit medizinischen Masken, Schutzanzügen und Geräten im Zuge der Corona-Pandemie ist dies offenbar geworden, wobei es wegen der weltweiten Gleichzeitigkeit der Krise in diesem Fall selbst bei bestmöglicher Diversifikation vermutlich zu Versorgungsengpässen gekommen wäre. Dies ist aber nicht immer so.

Und nicht nur in diesem medizinischen Bereich ist Deutschland verwundbar. Denn es wird immer deutlicher, wie unklug sich Politik und Wirtschaft gegenüber der russischen Regierung, insbesondere in den Jahren nach der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion durch Russland, positioniert haben. Die vielfach geäußerte Vorstellung, dass man im Umgang mit Autokraten Politik und Geschäft trennen kann, kann bestenfalls als naiv bezeichnet werden. Manchem Betrachter wird sie sogar zynisch vorkommen.

Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass gerade die mit Putin so vertrauten Sozialdemokraten immer von der Werteorientierung in den Außenwirtschaftsbeziehungen reden. Sie waren es auch, die das sogenannte Lieferkettengesetz auf den Weg brachten. Es soll deutsche Unternehmen dazu anhalten, die Nachhaltigkeit und Menschenwürdigkeit ihrer Lieferketten sicherzustellen. Nimmt man es ernst, so verbieten sich Gaslieferungen aus Russland automatisch. Davon will die SPD aber immer noch nichts wissen.

Das liegt auch daran, dass russisches Gas nach wie vor kaum zu ersetzen ist. Neben dem Problem der doppelten Standards sticht somit die Abhängigkeit vom russischen Gas heraus. Die Fehleinschätzung der russischen Absichten ist teuer – nicht nur für die Ukraine, sondern auch für uns.

Immerhin reagiert man in Berlin und bemüht sich, dieses Abhängigkeitsverhältnis langfristig zu beenden. In absehbarer Zeit wird Russland als Lieferant für Rohstoffe nach Europa vermutlich ziemlich unbedeutend werden. Außerdem kann man den Eindruck gewinnen, als würde den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft langsam klar werden, dass Russland kein Einzelfall ist.

Der Umgang der deutschen Wirtschaft mit Partnern aus China schien bis vor einiger Zeit ähnlich unbedarft zu sein. Und dies, obwohl eigentlich klar ist, dass die chinesische Regierung nicht viel von einem Austausch unter Gleichen nach unseren Vorstellungen von Außenhandel hält. Das entsprechende Konzept der chinesischen Regierung heißt Dual Circulation. Damit meint die Regierung, den Außenhandel mit dem Westen nur so lange zu betreiben, bis genügend Wissen und High-Tech-Kenntnisse in China vorhanden sind, um sich danach unabhängig vom Westen zu machen (bei gleichzeitiger Abhängigkeit des Westens von China). Hinzu kommen seit Jahren immer wieder Meldungen über Diebstahl geistigen Eigentums durch chinesische Partner, über Verpflichtungen zur Übergabe des Wissens bei gemeinsamen Projekten und über Menschenrechtsverletzungen in erheblichem Ausmaß.

Darüber hinaus muss die chinesische Position zum Krieg Russlands gegen die Ukraine beunruhigen, insbesondere vor dem Hintergrund der Ansprüche Chinas auf Taiwan. In diesem Zusammenhang stößt auch das Verhalten der chinesischen Regierung gegenüber Lettland (wegen dessen Taiwan-Politik) oder Australien (wegen der Kritik an der Corona-Informations-Politik Chinas) übel auf. Es zeigt, dass China Politik und Wirtschaft gerade nicht trennt. Insofern wird es tatsächlich Zeit für deutsche Unternehmen, Politiker, aber auch Wissenschaftler, hinsichtlich ihrer Position gegenüber China umzudenken. Es muss vermieden werden in eine Abhängigkeit zu geraten, die es den Unternehmen nicht erlaubt, kurzfristig auf den China-Handel verzichten zu können.

Es darf nicht wieder vorkommen, dass Unternehmen einen Kotau im Wortsinne vornehmen, um Marktanteile zu behalten. Dies war im Zuge der angekündigten Entscheidung einiger Textilunternehmen, keine Baumwolle mehr aus Xinjiang zu beziehen, geschehen, nachdem es zum offenkundig politisch orchestrierten Boykott dieser Firmen durch chinesische Konsumenten gekommen war.

Es ist sicherlich nicht nötig, sich kurzfristig in großem Stil aus China zurückzuziehen. Aber es ist nötig, sich um andere Absatz- und Beschaffungsmärkte zu kümmern – zum Beispiel in Afrika. Dies könnte so geschehen, dass man zukünftige Investitionen nicht mehr auf China konzentriert, ohne die bestehenden abzustoßen. Das sendet ein klares Signal nach China aus, dass man nicht abhängig oder erpressbar ist.

Wenn die Bedeutung Chinas als Absatzmarkt, aber auch als Zulieferer, zum Beispiel seltener Erden, im Zeitablauf systematisch verringert werden könnte, verringert sich das Erpressungspotential der chinesischen Regierung. Sie würde auch erkennen, dass der „Westen“ doch nicht so schwach ist, wie sie es immer geglaubt hat.

Eine Rekalibrierung des Verhältnisses zu China hätte auch politische Vorteile. Denn wenn sich die deutsche Wirtschaft in anderen bisher vernachlässigten Märkten stärker engagieren würde, und dies mit offizieller Unterstützung, könnte sich zudem die deutsche Position in der globalen Politik verbessern. Die Bundesregierung sollte in diesem Zusammenhang überdies deutlich machen, dass sie den Erwerb deutscher Unternehmen durch chinesische Partner auch weiterhin sehr kritisch überprüfen wird. Sie sollte darüber hinaus glaubwürdig ankündigen, dass sie deutschen Unternehmen eventuelle Verluste aus dem China-Geschäft oder gar Abschreibungen von zukünftig in China investiertem Kapital nicht erstatten wird.

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Wie gesagt, es geht nicht darum, sich aus China zu verabschieden. Es muss darum gehen, ein klares Signal der Unabhängigkeit, und damit der Stärke, nach Peking zu senden. So wird man als Partner zum Ersten ernster genommen und zum Zweiten ändern sich die Restriktionen für die chinesische Regierung. Sie muss stärker auf die westlichen Partner oder Rivalen – je nach Sicht – Rücksicht nehmen, als sie es bisher tut. Es wäre schön, wenn die Deutschen dieses Mal nicht als Hasenfüße wahrgenommen würden.

Lesen Sie mehr: Rückzug aus Russland gibt es nur bei verordnetem Boykott

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