
Berlin Union und SPD wollen in einer neuen gemeinsamen Regierung an den neuen Vorschriften zum Löschen von Hassbotschaften im Internet trotz breiter Kritik grundsätzlich festhalten. Das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sei „ein richtiger und wichtiger Schritt zur Bekämpfung von Hasskriminalität und strafbaren Äußerungen in sozialen Netzwerken“, heißt es in einem dem Handelsblatt vorliegenden Entwurfspapier der Arbeitsgruppe „Innen, Recht und Verbraucherschutz“ in den Koalitionsverhandlungen. Zugleich werde man „auch weiterhin den Schutz der Meinungsfreiheit sowie der Persönlichkeitsrechte der Opfer von Hasskriminalität und strafbaren Äußerungen sicherstellen“.
Das NetzDG, das seit dem 1. Januar gilt, ist nach Einschätzung seiner Kritiker mit heißer Nadel gestrickt und legt es in die Hand der Plattformbetreiber, neben klaren Rechtsverstößen auch über viele juristisch zweifelhafte Fälle zu urteilen. Das sei aber die Sache von Gerichten. Befürchtet wird zudem, dass die Betreiber in vorauseilendem Gehorsam in Zweifelsfällen lieber löschen oder sperren. Das könne zu einer Zensur von unliebsamen Beiträgen jedweder Couleur führen und letztlich zur Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Der Kritik wollen Union und SPD begegnen, indem sie auf Erkenntnisse einer vorgesehenen Überprüfung setzen. Laut Justizministerium müssen Betreiber sozialer Netzwerke bis Juni/Juli Berichte vorlegen, was auf welcher Grundlage gelöscht wurde. In dem Papier der Koalitionsarbeitsgruppe heißt es dazu: „Die Berichte, zu denen die Plattformbetreiber verpflichtet sind, werden wir sorgfältig auswerten und zum Anlass nehmen, um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, insbesondere im Hinblick auf die freiwillige Selbstregulierung weiter zu entwickeln.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte bereits eine Überprüfung des Gesetzes an. „Wir schauen jetzt natürlich, wie dieses Gesetz wirkt, was passiert, und wir werden es auch mit Sicherheit evaluieren“, sagte die Merkel in ihrer am Samstag veröffentlichten wöchentlichen Video-Ansprache. Es könne sein, „dass wir auch hier Veränderungen vornehmen müssen“. Der Grundansatz, dass eine Regelung in dem Bereich nötig sei, bleibe aber absolut richtig. Das Internet sei kein rechtsfreier Raum. Durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz seien nun auch Plattformbetreiber für die Inhalte verantwortlich, die sie verbreiteten.
In der Union wird schon länger diskutiert, von Plattformanbietern wie Facebook und Twitter zu verlangen, ihre Löschentscheidungen in einem transparenten Verfahren offenzulegen. Etwa, indem die Unternehmen verpflichtet werden, mit einer neutralen Einrichtung der Selbstkontrolle zusammenzuarbeiten.
Laut dem Gesetz besteht für die Unternehmen schon heute die Möglichkeit, die juristische Beurteilung besonders komplizierter Löschentscheidungen an eine unabhängige Einrichtung der regulierten Selbstregulierung zu übertragen. Die Netzwerkbetreiber können dazu eine solchen vom Bundesamt für Justiz anerkannten Einrichtung selbst aufbauen. Eine gesetzliche Pflicht besteht aber bisher nicht.
Forscher halten Kritik an NetzDG für überzogen
Dass die Plattformen das Angebot des Gesetzgebers nicht nutzen verwundert. Denn durch die Zusammenarbeit mit einer Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle könnten sie dem Vorwurf begegnen, zu früh und zu viel zu löschen. Außerdem könnten sie auch drohenden Sanktionen entgehen.
Gegen das NetzDG regte sich schon eine Woche nach Inkrafttreten massive Kritik. Der Forderung der Opposition, das Gesetz unverzüglich abzuschaffen, schloss schließlich auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) an. Der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall sprach seinerzeit von einer „Gaga-Vorschrift“. Empörung hatte zuletzt unter anderem ein gesperrter Twitter-Account des Satire-Magazins „Titanic“ ausgelöst.
Zuletzt schwenkte auch die CSU auf die Linie der NetzDG-Gegner ein. „Wir hatten nun gut drei Wochen Zeit, das NetzDG in der Praxis zu beobachten, und ich stelle fest: Die Meinungsfreiheit gerät zunehmend unter die Räder“, hatte die parlamentarische Staatssekretärin und Vorsitzende des CSU-Arbeitskreises für Netzpolitik (CSUnet), Dorothee Bär, erklärt. Das Gesetz schieße nicht nur über das Ziel hinaus. „Es verstößt gegen die Verfassung.“
Das harte Urteil Bärs, die zum CSU-Unterhändlerteam für die Koalitionsgespräche mit der SPD gehört, ist bemerkenswert. Denn die Union hatte sich in der vergangenen Legislaturperiode mit der SPD für die Löschvorschriften starkgemacht und mit der gemeinsamen Regierungsmehrheit im Bundestag beschlossen. Nun fordert die CSU-Politikerin eine „grundlegende Neuaufstellung“ des Gesetzes.
Wissenschaftler der Universität Kassel und des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) halten Kritik am NetzDG für überzogen. Das Gesetz sei viel besser als sein Ruf, sagte Alexander Roßnagel, Sprecher des „Forums Privatheit“ am Donnerstag in Kassel. Die Initiative von Wissenschaftlern hatte das Gesetz überprüft, dass seit dem 1. Januar gilt. Es sei ein wichtiger Schritt zu einer effektiven Bekämpfung von strafbaren Falschnachrichten, urteilten die Forscher.
Der Kritik, Plattformbetreiber würden aus Angst vor Bußgeld grenzwertige Inhalte im Zweifelsfall eher sperren, was zu Zensur führen könne, widersprechen die Forscher: „Facebook oder Twitter reagieren nicht aus Angst“, sagte der Kasseler Professor: Die wenigen spektakulären Fehlentscheidungen würden von den Netzwerken „eher aus dem Interesse getroffen, die neue, für sie sehr aufwendige Regelung zur Einrichtung eines Beschwerdemanagements in Misskredit zu bringen“.
Das NetzDG verlagere keine staatlichen Aufgaben auf private Anbieter. Es helfe vielmehr, die bestehende Pflicht durchzusetzen, fremde Informationen mit strafbaren Inhalten zu beseitigen. „Es zwingt nun auch die Betreiber großer sozialer Netzwerke, ihrer schon immer bestehenden und bisher vernachlässigten gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen“, erklärte Roßnagel. Allerdings müsse das Gesetz nachgebessert werden, um den Schutz von Autoren zu verbessern, deren Beiträge zu Unrecht blockiert werden.
Im Forum Privatheit setzen sich Forscher aus sieben wissenschaftlichen Institutionen mit Fragestellungen zum Schutz des Privaten auseinander. Das Projekt wird vom Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) koordiniert.