Jahreswirtschaftsbericht Pessimistische Prognose: „Was wir jetzt brauchen ist ein Reformbooster“

Ein Kran verlädt im Containerhafen Mainz einen Container. Quelle: dpa

Das Kabinett hat den Jahreswirtschaftsbericht beschlossen. Die Aussichten sind durchwachsen – und die Politik hat einige Baustellen vor sich. Der Wirtschaftsstandort stehe „vor erheblichem Anpassungsdruck“.

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Schwache Weltkonjunktur, hohe Zinsen, fehlende Arbeitskräfte: Die Erholung der deutschen Wirtschaft fällt der Bundesregierung zufolge in diesem Jahr weitgehend ins Wasser. Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht neben widrigen Rahmenbedingungen auch eine Mitschuld der Ampel-Regierung an den Problemen. Wirtschaft und Opposition fordern Reformen, während Ökonomen auf eine stärkere Zuwanderung setzen.

„Wir kommen langsamer aus der Krise als erhofft“, räumte Habeck am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts ein. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat darin ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr von 1,3 auf nur noch 0,2 Prozent gesenkt. 2023 ist Europas größte Volkswirtschaft sogar um 0,3 Prozent geschrumpft. „Das weltwirtschaftliche Umfeld ist labil, das Wachstum des Welthandels historisch niedrig, was für eine Exportnation wie Deutschland eine Herausforderung ist“, sagte der Vizekanzler. Die gestiegenen Zinsen zur Bekämpfung der hohen Inflation würden zudem Spuren hinterlassen. „Wir sehen Rückgänge vor allem in der Bauindustrie.“ Zudem habe Deutschland strukturelle Probleme. „Was wir jetzt brauchen ist ein Reformbooster.“

Die größte Herausforderung sei der Arbeitskräftemangel. „Hände und Köpfe fehlen“, sagte der Grünen-Politiker. „Es fehlt an allen Ecken und Kanten.“ Das werde das Wachstumspotenzial der Wirtschaft, das in den achtziger Jahren noch bei zwei Prozent gelegen habe, auf 0,5 Prozent drücken. Es brauche Anreize für Ältere, freiwillig länger zu arbeiten. Flüchtlinge müssten zudem besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Habeck räumte ein, dass häufiger Streit in der Regierungsparteien viele Unternehmen verunsichere. „Vertrauen hängt auch daran, dass bestimmte Entscheidungen verlässlich gefällt werden“, sagte er. „Das ist in den letzten zwei Jahren natürlich klarerweise nicht immer der Fall gewesen.“

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„Stecken in einer Krise“

Wirtschaft, Opposition und Ökonomen fordern die Regierung angesichts der trüben Aussichten zu Reformen auf. „Der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht dringend bessere Rahmenbedingungen“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Martin Wansleben. „Viele Unternehmen investieren aufgrund großer Unsicherheiten vor allem hinsichtlich der Energieversorgung nicht oder zu wenig.“ Notwendig seien eine verlässliche Energiepolitik, weniger Bürokratie und Regulierung, geringere Steuerbelastung, Stärkung der Bildung, Ausbau von Infrastruktur, Digitalisierung, schnellere Integration von Migranten.

„Es ist nun amtlich: Deutschland steckt in einer Wirtschaftskrise“, sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Julia Klöckner. In einer solchen Situation müssten wirksame Sofortmaßnahmen zur Stärkung des heimischen Standortes ergriffen werden. Die Ampel erkenne zwar an, dass die Unternehmenssteuern zu hoch seien, schaffe aber keine Abhilfe. Auch beim Bürokratieabbau werde Handlungsbedarf nur gesehen, aber nicht genügend getan.

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Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier spricht sich für eine stärkere Zuwanderung aus. Die Zahl der gearbeiteten Stunden sei rückläufig und die Bevölkerung alt, während die junge Generation weniger arbeiten wolle. Hier helfe nur Zuwanderung, „um ehrlich zu sein, die Einwanderung jeglicher Arbeitskraft, die in Deutschland arbeiten möchte.“ Allein mit inländischen Arbeitskräften und mehr Arbeitsstunden von Frauen sei das Problem nicht zu beheben. „Das wird nicht reichen. Wir brauchen die Migration.“

Außerdem müsse Deutschland mehr Anreize für Investitionen setzen, etwa mit zusätzlichen Abschreibungsmöglichkeiten und weniger Bürokratie, sagte Malmendier der Nachrichtenagentur Reuters. Die Regierung sollte zudem nicht nur auf traditionelle Industrien setzen, also Maschinenbau, Auto und Chemie. Junge Firmen aus den Bereichen Künstliche Intelligenz, Biotech oder Umwelttechnologie müssten gefördert werden. „Darauf muss Deutschland jetzt setzen. Und das sind wir nicht so gewohnt.“

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Entspannung erwartet die Regierung bei der Inflation. Die Verbraucherpreise dürften in diesem Jahr mit 2,8 Prozent nur noch etwa halb so stark zulegen wie 2023, die Kaufkraft dank steigender Löhne wieder zulegen. Auch bei der Erwerbstätigkeit wird eine leichte Zunahme erwartet. Die Arbeitslosenquote dürfte 2024 dagegen auf 5,9 Prozent steigen, nachdem es vergangenes Jahr noch 5,7 Prozent waren. Die Exporte dürften um 0,6 Prozent zulegen, nachdem sie 2023 noch um 1,8 Prozent zurückgegangen waren.

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