Koalitionsvertrag Die neue Regierung wird teuer, ungerecht und nicht modern

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Steuerentlastung? Ein Euphemismus

Steuern

Einer der wenigen Paradigmenwechsel von der alten zur neuen GroKo wird beim Betrachten des Finanztableaus deutlich. Galt zuletzt die Devise, zusätzlich Spielräume zu jeweils einen Drittel für Investitionen, für Schuldentilgung und für Steuerentlastungen zu verwenden, ergibt sich nun eine völlig neue Gewichtung: Schuldenabbau Null, Steuerentlastung ein gutes Viertel, Investitionen ein gutes Drittel und Soziales ein weiteres Drittel – und zwar ausgehend von einem finanziellen Spielraum von 46 Milliarden Euro.

Die Steuerentlastung ist bei genauerer Betrachtung ein Euphemismus, da das Steueraufkommen in der neuen Legislaturperiode um 170 Milliarden Euro gegenüber der vorherigen Wahlperiode steigen dürfte. Allerdings sind die Mehreinnahmen schon zum großen Teil von der letzten Merkel-Regierung verplant worden.

Somit bleibt zur Entlastung der Steuerzahler kaum etwas übrig – und was bleibt, wird nach Bedürftigkeit verteilt. Wer mehr als 60.000 Euro im Jahr verdient, muss auch über das Jahr 2020 hinaus den Solidaritätszuschlag zahlen. Die höherverdienende Minderheit hat offenbar keine Lobby in der großen Koalition. Das gilt auch für die Wirtschaft. Wer nicht gerade in der Baubranche tätig ist oder zu den Existenzgründern gehört, geht leer aus. Angesichts des globalen Wettbewerbs, den gerade die USA mit einer kräftigen Steuersenkung für Unternehmen anheizen, dürfte der Stillstand in den Wirtschafts- und Finanzpolitik deutsche Unternehmen in die Defensive drängen.

Verkehr und Mobilität

Zu großen Teilen will die neue große Koalition die Verkehrspolitik der alten fortsetzen: Die Investitionen sollen mindestens auf dem derzeit hohen Niveau weiterlaufen, der Erhalt der Infrastruktur hat Vorrang vor dem Neubau – und für Diesel-Fahrzeuge soll es Nachrüstungen geben, soweit diese „technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar“ sind.

Soweit, so bekannt. Dennoch gibt es zwei Bereiche, die zu einer deutlichen Veränderung – und wohl auch Verbesserung – der Mobilität führen dürften.

Da ist zum einen die Reform eines sperrig klingenden Gesetzes. „Wir werden das Personenbeförderungsgesetz mit Blick auf neue digitale Mobilitätsangebote modernisieren“, heißt es im Koalitionsvertrag. Bislang regelt das Gesetz neue Mobilitätsformen sehr strikt und gewährt bestehenden Angeboten wie Taxen einen umfassenden Schutz. Moderne Formen wie Ride-Sharing, bei dem sich mehrere Personen ein Fahrzeug teilen, erlaubt das jahrzehntealte Gesetzt dagegen nur sehr begrenzt.

Unter den Verkehrsexperten von Union und SPD herrscht Einigkeit: Man sollte das Gesetz möglichst umfassend liberalisieren. Für Anbieter wie Uber ist das eine gute Nachricht: Mit einiger Wahrscheinlichkeit kann das Milliarden-Startup schon bald in Deutschland durchstarten – so wie viele andere Anbieter auch. Das dürfte nicht nur zu einer Verbesserung der Mobilität in der Stadt führen, sondern auch in ländlichen Regionen.

Spürbar werden auch die Veränderungen für die Deutsche Bahn sein. Auf fast zwei Seiten haben die Koalitionäre zusammengetragen, was sich dort nach ihrer Meinung alles ändern muss. Wie ernst sie es meinen, zeigt sich allein daran, dass sie der Schiene fast dreimal so viel Platz gewidmet haben wie im Koalitionsvertrag von 2013. „Pünktlichkeit, guter Service und hohe Qualität müssen das Markenzeichen der Eisenbahnen in Deutschland sein“, steht nun im Vertragswerk. Ein Satz, den man nicht gebraucht hätte, wenn die drei Eigenschaften bereits das Markenzeichen wären.

Für die Verbesserungen der Bahn soll eine strengere Aufsicht sorgen. Unter anderem soll das Verkehrsministerium „strukturell und personell“ gestärkt werden, um den Konzern konsequenter beaufsichtigen zu können. Auch das Management wird die Veränderung spüren: Die Vorstände der Bahn sollen künftig auch daran gemessen werden, ob sie den Marktanteil der Schiene erhöhen. Gleichzeitig soll das Unternehmen dafür sorgen, den Verkehr auf der Schiene zu maximieren – und nicht mehr den Gewinn. Immerhin, so der Wunsch der Koalitionäre, soll es 2030 doppelt so viele Bahnkunden geben wie heute. Ein mehr als ambitioniertes Ziel.

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