Trotz Energiekrise, hoher Inflation und steigenden Zinsen traut die Bundesregierung der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr ein leichtes Wachstum zu. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr um 0,2 Prozent zulegen, geht aus dem am Mittwoch veröffentlichten Jahreswirtschaftsbericht hervor. Noch im Herbst wurde mit einem Rückgang um 0,4 Prozent gerechnet. „Es ist diesem Land gelungen, eine schlimme Wirtschaftskrise abzuwehren“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck in Berlin. „Wir gehen jetzt davon aus, dass die Rezession kürzer und milder ist - wenn sie denn stattfindet überhaupt.“
Es sei aber noch wahrscheinlich, dass es zu einer technischen Rezession kommen könnte. Damit wird ein Rückgang der Wirtschaftsleistung von mindestens zwei Quartalen in Folge bezeichnet. Im vergangenen Jahr hatte es auch wegen Corona-Nachholeffekten noch zu einem kräftigen Wachstum von 1,9 Prozent gereicht. Daran soll 2024 wieder angeknüpft werden: Insidern zufolge rechnet die Regierung dann mit plus 1,8 Prozent.
Habeck betonte, die ökonomische Krise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine sei mittlerweile beherrschbar, auch wenn die Krise noch nicht vorbei sei. „Deutschland hat seine Widerstandsfähigkeit bewiesen und sich wirtschaftlich sehr gut geschlagen.“ Noch bleibe die Lage aber schwierig - Risiken lauerten überall. Die anfangs sehr pessimistischen Prognosen - bei einer Gasmangellage wurde ein historischer Einbruch befürchtet - seien aber abgewendet worden. „Die Energieversorgung ist weiterhin sicher und stabil.“ Nun gehe es darum, noch unabhängiger in der Energieversorgung zu werden. Dafür müssten die erneuerbaren Energien schneller ausgebaut werden, so der Grünen-Politiker. Im Fokus sollen Anreize für private Investitionen stehen, um Gelder in klimafreundliche Technologien zu lenken. Mit dem Abbau von Bürokratie sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller werden.
Aus dem FDP-geführten Finanzministerium verlautete, langfristig gehe es darum, die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu verbessern. Dafür müssten Lieferketten auf ein breiteres Fundament gestellt und die Rohstoffversorgung gesichert werden. Erstmals gebe es im Jahreswirtschaftsbericht, der den Titel „Wohlstand erneuern“ trägt, auch ein eigenes Kapitel zu Steuern und Abgaben. Um private Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz zu forcieren, werde es sogenannte Superabschreibungen geben. Ein Zeitraum dafür wurde allerdings nicht genannt. Das Finanzministerium will darüber hinaus die allgemeinen Abschreibungsmöglichkeiten verbessern und Unternehmen mehr Möglichkeiten geben, aktuelle Verluste mit früheren Gewinnen zu verrechnen. Insgesamt sei die Belastung der Firmen zu hoch. Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner will im Frühjahr konkrete steuerliche Entlastungen vorlegen.
Bei der Inflation, die 2022 mit 7,9 Prozent auf dem höchsten Stand seit Jahrzehnten lag, rechnet die Regierung nun dieses Jahr mit 6,0 Prozent. Bislang wurden 7,0 Prozent erwartet. 2024 sollen es dann 2,8 Prozent sein. „Konjunkturell haben wir eine Schwäche beim Konsum“, sagte Habeck angesichts sinkender Reallöhne, die die Kaufkraft schwächen. „Insofern brauchen wir ökonomisch durchaus eine Stimulierung der Nachfrage, von Konsum.“ Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale - bei der sich die Inflation verfestigen könnte - droht dem Ministerium zufolge bei den anstehenden Tarifverhandlungen nicht. Die bisherigen Abschlüsse seien „mit sehr viel Augenmaß“ getroffen worden. „Insofern mache ich mir keine Sorgen, dass am Ende etwas herauskommt, dass das land nicht stemmen kann“, sagte Habeck.
Die Konsumausgaben der privaten Haushalte als auch des Staates sollten preisbereinigt leicht rückläufig sein. Die deutschen Exporte dürften dieses Jahr weniger stark zulegen. Hier wird von einem Plus von 2,2 Prozent ausgegangen, nachdem es 2022 noch 3,2 Prozent waren. Der Arbeitsmarkt wird sich wahrscheinlich weitgehend stabil entwickeln. Die Arbeitslosenquote schätzt die Regierung dieses Jahr auf 5,4 Prozent, ein Tick mehr als 2022.
„Die besser als noch vor kurzem erwartete Entwicklung ist vor allem der hohen Anpassungsfähigkeit der Unternehmen hierzulande zu verdanken, aber auch den massiven Entlastungspaketen der Bundesregierung“, kommentierte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, den Jahresbericht. „In kaum einem Land der Welt hat die Politik so massive finanzielle Hilfen ausgerollt wie in Deutschland.“ Dies habe sich der deutsche Staat deshalb leisten können, weil er vergleichsweise niedrig verschuldet und gleichzeitig ein Gewinner der hohen Inflation sei, die ihm große Steuermehreinnahmen bescherten.
Die Konjunkturaussichten haben sich zuletzt merklich aufgehellt: Der Ifo-Geschäftsklimaindex - der als bester Frühindikator für die Entwicklung der größten Volkswirtschaft Europas gilt - stieg im Januar bereits den vierten Monat in Folge. „Die deutsche Wirtschaft startet zuversichtlicher ins neue Jahr“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest zu der Umfrage unter rund 9000 Führungskräften.
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