Die Nachwirkungen der Pandemie und der Krieg Russlands gegen die Ukraine machen den Unternehmen das Leben schwer. Die Belieferung mit dringend benötigten Vorprodukten stockt, die Transport-, Energie- und Rohstoffkosten steigen und die Gewerkschaften fordern kräftige Lohnerhöhungen, um die Arbeitnehmer für den Verlust an Kaufkraft zu entschädigen. Im vergangenen Jahr konnten viele Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe solcherlei Kostenschübe zumindest noch teilweise in Form steigender Preise an ihre Kunden weiterreichen. Das stabilisierte ihre Gewinne.
Doch damit dürfte es bald vorbei sein. Denn die Konjunktur trübt sich ein, eine Rezession steht vor der Tür. In der Vergangenheit veranlassten konjunkturelle Flauten die Gewerkschaften dazu, Zurückhaltung bei den Löhnen zu üben. Das dürfte diesmal jedoch anders sein. Der Grund ist der Fachkräftemangel, der in Deutschland nahezu alle Branchen trifft. Der übliche Anpassungsprozess, der im Schatten nachlassender Produktion die Arbeitslosigkeit steigen und die Lohnforderungen sinken lässt, wird durch die demografische Entwicklung überlagert. Die meisten Volkswirte erwarten folglich keinen signifikanten Anstieg der Arbeitslosenquote. Die Unternehmen sollten sich daher nicht allzu viel Hoffnungen auf Zurückhaltung der Gewerkschaften machen.
Auch wenn die Rohstoffpreise im Zuge der weltweiten konjunkturellen Verlangsamung weiter nachgeben sollten, dürfte der Margendruck bei den Betrieben hoch bleiben. Denn Tariflohnverhandlungen werden üblicherweise mit dem Blick in den Rückspiegel geführt. Im Fokus der anstehenden Lohnrunden dürften daher die hohen Inflationsraten der Jahre 2021 und 2022 stehen, nicht die erwartete Entspannung bei den Preisen im nächsten Jahr. Die aktuelle Forderung der IG-Metall nach Lohnsteigerungen um acht Prozent belegt dies.
Die Kaufkraft schmilzt dahin
Allein in den Jahren 2021 und 2022 ist die private Kaufkraft aufgrund der Inflation um voraussichtlich zehn Prozent gesunken. Die Unternehmen haben darauf zunächst mit Einmalzahlungen reagiert. Mittlerweile aber haben sich die Inflationserwartungen der Arbeitnehmer aus ihrer Verankerung gelöst. Preisrückgänge auf breiter Front sind unwahrscheinlich geworden. Das spricht dafür, dass sich die Gewerkschaften in den anstehenden Lohnrunden nicht erneut mit Einmalzahlungen zufriedengeben werden.
Unter besonders hohem Anpassungsdruck steht das Verarbeitende Gewerbe. Bereits seit 2018 steht die Produktion dort unter Druck, während die Löhne steigen. Das hat zur Folge gehabt, dass die Lohnstückkosten im Schnitt der Jahre 2018 bis 2021 in der Automobilindustrie um rund zehn Prozent zulegten. Im Maschinenbau und der Chemieindustrie waren es rund zwölf und in den Metallbranchen zwischen sieben und acht Prozent.
Im vergangenen Jahr sind die Lohnstückkosten kaum noch gestiegen. Dies dürfte neben der vergleichsweise noch moderaten Lohnentwicklung auf die Aufholeffekte bei der Produktion nach dem Einbruch durch Corona zurückzuführen sein. Dazu kommt, dass die in der Pandemie eingeführten günstigen Regeln zum Bezug von Kurzarbeitergeld die Personalkosten der Unternehmen dämpften.
Wie sieht der Ausblick für dieses und nächstes Jahr aus? Viel spricht dafür, dass die Lohnstückkosten in den nächsten Quartalen wieder stärker steigen und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland unter Druck setzen werden. Dazu tragen die hohen Lohnforderungen in Verbindung mit der schwächelnden Nachfrage aus dem In- und Ausland sowie das weiterhin gedämpfte Produktivitätswachstum bei.
Staatliche Subventionen für die Löhne erforderlich
Die Bundesregierung sollte daher nicht nur die Bürger finanziell entlasten, sondern auch die Angebotsseite der Wirtschaft in den Fokus nehmen. Neben der Konsumnachfrage muss die Bundesregierung die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stützen. Die Corona-Krise hat den Fachkräftemangel verschärft, insbesondere im Dienstleistungssektor. Daher sind höhere Löhne erforderlich, auch um Anreize zur Mobilität zu setzen, zwischen In – und Ausland aber auch zwischen den Branchen im Inland.
Damit die Unternehmen durch den Kostenschub nicht überfordert werden, erscheint es gerade auch vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Abschwungs der Konjunktur ratsam, das Kurzarbeitergeld auszuweiten oder die Lohnkosten mit anderen Maßnahmen zu subventionieren. Ohne Subventionen ist in der aktuellen makroökonomischen Konstellation zu erwarten, dass Standortentscheidungen der Unternehmen gegen den Standort Deutschland gefällt werden, was das Wertschöpfungspotenzial der Industrie hierzulande nachhaltig belasten könnte.
Die Unterstützung durch den Staat versetzte die Betriebe in die Lage, Arbeitsplätze am Standort Deutschland zu sichern, insbesondere für hochqualifizierte Fachkräfte. Im Juni 2022 verlängerte das Kabinett die Zugangserleichterungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld um weitere drei Monate bis zum 30. September 2022. Eine weitere Verlängerung bis ins Jahr 2023 wäre deshalb wünschenswert.
Sicherlich kann und darf Kurzarbeit beziehungsweise die kurzfristige Subventionierung von Lohnkosten notwendige strukturelle Anpassungen nicht verhindern. Zudem gilt es, steigenden Lohnstückkosten langfristig durch eine höhere Produktivität entgegenzuwirken, etwa indem die Unternehmen ihre Mitarbeiter mit mehr und besserem Kapital ausstatten. Allerdings dürften die dafür erforderlichen Investitionen erst zustande kommen, wenn sich die konjunkturellen Perspektiven wieder nachhaltig aufhellen. Bis dahin bedarf es einer Unterstützung der Angebotsseite der Wirtschaft durch den Staat. Günstige Kurzarbeiterregelungen wären ein Schritt in diese Richtung.
Lesen Sie auch: „Der Arbeitnehmer von morgen hat nicht mehr per se Solidarität im Blut“