Nach Jamaika-Aus Bundespräsident will Bewegung in Regierungsbildung bringen

Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz sind von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ins Schloss Bellevue eingeladen, um über die Möglichkeiten einer Regierungsbildung zu sprechen. Alle drei müssen liefern.

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Frank-Walter Steinmeier will Tempo in Regierungsbildung bringen Quelle: dpa

Berlin Zehn Wochen nach der Bundestagswahl wächst der Druck auf CDU, CSU und SPD, mit einer Neuauflage der großen Koalition endlich für eine stabile Regierung zu sorgen. Im Ausland wird die schwierige Lage im wirtschaftlich stärksten Land der EU mehr und mehr mit Besorgnis wahrgenommen. Eine Mehrheit der Bundesbürger (61 Prozent) ist einer Umfrage zufolge dafür, dass die SPD in entsprechende Gespräche mit der Union eintreten sollte. Diese Ansicht vertreten auch 58 Prozent der SPD-Anhänger, wie die Erhebung des Allensbach-Instituts für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Freitag) ergab.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD, Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz, für Donnerstagabend ins Schloss Bellevue eingeladen, um Möglichkeiten einer Regierungsbildung auszuloten. Die Situation ist unter anderem schwierig, weil Seehofer in Bayern gedrängt wird, entweder sein Ministerpräsidentenamt oder das des Parteichefs oder beide Ämter abzugeben.

Schulz muss, nachdem er die SPD zunächst auf die Oppositionslinie eingeschworen hatte, nun in den eigenen Reihen ausloten, inwieweit auch andere Optionen möglich sind - eine Neuauflage der großen Koalition oder eine Duldung einer CDU/CSU-Minderheitsregierung. Nach wie vor sei alles offen, sagte er wiederholt. Die Kanzlerin steht unter Druck, weil sie endlich eine Regierungskoalition zustande bringen muss. Merkel will unbedingt eine Minderheitsregierung und eine Neuwahl vermeiden - auch deshalb, weil sie ihren innerparteilichen Kritikern keine neue Nahrung geben will.

Auch die Gewerkschaften dringen darauf, dass endlich eine stabile Regierung zustande kommt. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, verlangte im Südwestrundfunk eine stabile Regierung. Dabei spreche für eine große Koalition aus Union und SPD, dass es einen riesigen Modernisierungsbedarf in Deutschland und Europa gebe, etwa in den Bereichen Energie, Verkehr und Bildung. Die Sozialdemokraten müssten sich in möglichen Verhandlungen für sicherere Arbeit in Zeiten des digitalen Wandels einsetzen. Sozialsysteme sollten stabilisiert werden und Arbeitgeber wieder den gleichen Anteil für die Krankenversicherung zahlen wie Arbeitnehmer.

Verdi-Chef Frank Bsirske erwartet endlich ernsthafte Sondierungen zwischen den Parteien mit dem Ziel einer stabilen Regierung. „Vielen Wählerinnen und Wählern wäre sicherlich nur schwer verständlich zu machen, wenn die SPD nicht ernsthaft sondieren würde, was sie in einer Koalition mit der Union an wichtigen Punkten realisieren kann. Natürlich muss in einer solchen Koalition die eigene Handschrift klar erkennbar sein“, sagte Bsirske der „Passauer Neuen Presse“. Aus seiner Sicht wären Verbesserungen bei der Rente, ebenfalls eine paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenkasse sowie eine Stärkung des Tarifsystems wichtige Punkte.

Unterdessen belastet der Alleingang von Agrarminister Christian Schmidt (CSU) bei der erweiterten Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat in der EU weiter das Klima zwischen Union und SPD. Schmidt versuchte, die Aufregung zu dämpfen und traf sich mit Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD): „Werden gemeinsam an Lösung arbeiten, um den Einsatz von Glyphosat künftig restriktiver zu gestalten“, kündigte er danach via Internetdienst Twitter an. Schmidt hatte gegen den ausdrücklichen Willen der SPD und von Hendricks in Brüssel für die weitere EU-Zulassung von Glyphosat gestimmt.

SPD-Vize Ralf Stegner kritisierte Schmidts Alleingang scharf. „Hier vor der Agrarlobby einzuknicken, das ist entweder in der Tat dämlich und Frau Merkel hat ihren Laden nicht im Griff, oder aber es ist ein grobes Foul gegen die SPD, und da muss ich mich fragen, was das soll“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk. Eine Neuauflage der großen Koalition sei alles andere als sicher. Aus Sicht von SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel kann Schmidt einem möglichen neuen Kabinett von Union und SPD nicht mehr angehören. „Für mich ist klar, dass Herr Schmidt seine Zukunft hinter sich hat“, sagte er im Deutschlandfunk.

Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Freitag) berichtete, hat sich das Präsidium des Wirtschaftsrats der CDU am Donnerstag dafür ausgesprochen, dass die Union nicht vorschnell abermals in eine große Koalition geht. In dem einstimmig gefassten Beschluss fordert es CDU, CSU und Unionsfraktion auf, die Option einer Minderheitsregierung unter Merkels Führung ernsthaft zu prüfen. „Eine große Koalition wird nach allem, was wir von den Sozialdemokraten hören, nur um den Preis weiterer unbezahlbarer Leistungsversprechen in der Sozialpolitik zu bekommen sein“, heißt es demnach in dem Beschluss.

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