Nach Jamaika-Scheitern Was für und gegen Schwarz-Grün spricht

Neuwahlen oder Minderheitsregierung mit der Union? Auch wenn sich CDU, CSU und Grüne in vielen Punkten in den Sondierungsgesprächen einig waren, sind die Grünen eher zurückhaltend und warnen vor zu viel Romantik.

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In deutschen Bundesländern gab es immer wieder Minderheitsregierungen, doch die meisten waren aus der Not heraus geborene Übergangslösungen. Quelle: dpa

Berlin Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen gibt es verschiedene Möglichkeiten eine Regierung zu bilden. Neben Neuwahlen, für die laut einer Umfrage fast die Hälfte aller Bundesbürger sind, könnten CDU, CSU und die Grünen auch eine Minderheitsregierung stellen. Das wäre ein Novum in Deutschland - und nicht sehr beliebt: Nur jeder Vierte kann sich eine Bundesregierung ohne absolute Mehrheit vorstellen. Aber auch die Grünen sehen die Variante Minderheitsregierung mit der Union, trotz Annäherung in den Sondierungsgesprächen, mehr als skeptisch. Offiziell lautet die Linie zwar: „Wir sind gesprächsbereit, und zwar generell“, hatte Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt am Tag nach dem Abbruch der Jamaika-Gespräche verkündet.  

Hinter den Kulissen jedoch heißt es jetzt: Eine Minderheitsregierung würde den Grünen voraussichtlich nichts bringen, da es – anders als in einigen skandinavischen Ländern – keine linke Mehrheit im Parlament gebe. Daher gebe es, anders als bei einem verbindlichen Koalitionsvertrag mit einer Mehrheitskoalition, regelmäßig eine große Mehrheit gegen die ökologischen Ziele der Grünen. Stattdessen könnte etwa die SPD dann die Rettung der Stahlstandorte, oder die AfD mithilfe der Union womöglich eine Verschärfung der Flüchtlingspolitik durchsetzen – und die Grünen müssten hilflos zusehen.

Eine Minderheitsregierung hat, wie ihr Name schon besagt, im Parlament keine eigene Mehrheit, sondern muss sich in jedem Einzelfall - womöglich wechselnde - Partner suchen. Eine solche Bundesregierung wäre nicht so berechenbar wie eine Große Koalition in den vergangenen Jahren. Die wechselnden Bündnisse, die es für die Abstimmungen bedarf, bringen immerwährende Verhandlungen mit sich. Lässt sich eine Partei überzeugen, bei einem Gesetzesentwurf der Regierung mit Ja zu stimmen, wird sie dafür Zugeständnisse in anderen Bereichen fordern. Die Regierungspartei wird von ihren Tolerierungspartnern abhängig. Das bringt Instabilität in den politischen Betrieb- und ist der große Nachteil dieser Variante.

Dabei gibt es in vielen anderen Ländern erfolgreiche Minderheitsregierungen, insbesondere in skandinavischen Ländern haben sie Tradition. In Schweden sitzen derzeit acht Parteien im Parlament. Seit 2010 regiert eine sozialdemokratische Minderheit mit wechselnden Tolerierungspartnern, auch zuvor reichte es fast nie für Mehrheiten.

In deutschen Bundesländern gab es immer wieder Minderheitsregierungen, doch nur einmal waren sie keine aus der Not heraus geborene Übergangslösung. Reinhard Höppner (SPD) regierte in Sachsen-Anhalt von 1994 bis 2002 ohne Mehrheit, diese Regierungsform ist als Magdeburger Modell bekannt. Nachdem die bis dato regierende Koalition von CDU und FDP ihre Mehrheit verloren hatte, regierte der Sozialdemokrat zunächst mit einer rot-grünen Koalition, vier Jahre später allein. Beide Male wurde die Regierung von der PDS toleriert. Es wurde kritisiert, dass die Nachfolgepartei der SED - und Vorgängerpartei der Linkspartei - damit hoffähig gemacht würde. Höppner lobte sie am Ende seiner Regierungszeit als zuverlässigen Partner. 2002 übernahmen CDU und FDP wieder die Regierung.

Weil eine Stimme zur absoluten Mehrheit fehlte, bildete Hannelore Kraft (SPD) gemeinsam mit den Grünen im Jahr 2010 eine Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen. Als der Haushaltsentwurf zwei Jahre später keine Mehrheit fand, beschloss der Landtag seine Auflösung. Neuwahlen brachten dann eine klare Mehrheit für Rot-Grün.

Trotzdem mehren sich mittlerweile auch öffentlich Stimmen aus dem Grünen-Lager, die eine Minderheitsregierung mehr als skeptisch sehen: „Das wäre eine Möglichkeit, aber wir sind nicht in Skandinavien, haben diese Tradition nicht“, sagte etwa Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth, die an den Sondierungen beteiligt war. Weil die SPD weiterhin eine erneute Große Koalition ablehnt, sei es nun die Aufgabe von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, „zu überlegen, wie kriegt man es hin, die SPD nochmal dazu zu bewegen, ernsthaft darüber nachzudenken“. Parteichefin Simone Peter – wie Roth Teil des linken Flügels der Grünen – mahnte bereits vorsichtshalber, Schwarz-Grün jetzt nicht zu „romantisieren“.

Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der Super-Realo der Partei, hält eine Minderheitsregierung für sehr unwahrscheinlich. „Ich denke nicht, dass es dazu kommen wird“, fügte er auf die Frage nach einer möglichen schwarz-grünen Minderheitsregierung an. Die Bundeskanzlerin selbst hatte eine Minderheitsregierung im ARD Brennpunkt am Montagabend zwar abgelehnt, aber nicht ausgeschlossen. Auch wenn Andreas Scheuer, Generalsekretär der CSU, ordentlich Stimmung gegen die Grünen macht. Man habe vier Wochen erlebt, wo man stellenweise mit zwei grünen Parteien verhandelt habe. Was längst geeint war, sei am nächsten Morgen wieder aufgemacht worden. Mit dem Arbeitsstil tue man sich schwer, Verträge zu erreichen. „Mir waren auch so manche Umarmungen am Sonntagabend „too much“ mit den Grünen“, sagte Scheuer und bezeichnete seine Ex-Verhandlungspartner als „Nichtregierungsorganisation“.

Aber selbst wenn Union und Grüne sich für die Risikovariante offen zeigen sollten, müsste immer noch die SPD mitspielen. Als zweitgrößte Partei im Parlament könnte eine schwarz-grüne Regierung nur zustande kommen, wenn sie von der SPD „toleriert“ wird. Als Übergangslösung, deutete die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles aber bereits an, könne man durchaus über eine Tolerierung durch die Sozialdemokraten reden. Ganz ausgeschlossen ist eine Minderheitsregierung für Deutschland also doch nicht.

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