Oberschicht Versagen Deutschlands Großverdiener?

Vertrauensverlust: Elite leidet unter Imageschaden. Quelle: Getty Images

Gehaltsexzesse bei VW, Schmiergeld bei der Fifa, Geldwäsche bei der Deutschen Bank - das Vertrauen in die Eliten ist dahin. Liegt es nur an ihnen oder versagt das System?

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Zum Beispiel Wolfsburg im März. Ein heller Wintertag. Das IG-Metall-Gebäude glitzert friedlich in der Nachmittagssonne hinterm Bahnhof. Man trifft sich im zweiten Stock, Eckbüro mit bodentiefer Glasfront – die Metallarbeiter-Zeitung von 1860 in der Vitrine und die rauchenden Volkswagen-Schlote immer im Blick. Auf dem Tisch: Filterkaffee, Selters und Keksmischung. Auf den Stühlen: Wut. Hartwig Erb, ein bärtiger Schlacks, der die örtlichen Geschäfte der Gewerkschaft führt, Markus Bäcker, ein rundlicher Ingenieur vom Zulieferer IAV und Thomas K., ein ruhiger, etwas schüchterner VW-Arbeiter, der seinen vollen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen mag, diskutieren über ihr Lieblingsthema in diesen Tagen: die abgehobenen Manager.

Hartwig Erb: „Wir sehen ganz eindeutig, dass es eine Entfremdung gibt. Die Manager, die eingestellt werden, haben nur noch wenig mit der Industriekultur zu tun.“

Thomas K. „Vor 20 Jahren hat ein Direktor das 40-fache eines Arbeiters bekommen. Heute verdienen die Manager bei uns das 300-fache.“

Markus Bäcker: „Es ist ja nicht nur das Geld. Die Frage ist doch: identifizieren sich die Manager, die von außen kommen, genug mit dem Unternehmen? Oder sind das nur noch Söldner, die für ein paar Jahre anheuern und denen es egal ist, wie die Firma in zehn Jahren dasteht?“

Erb: „Früher wussten die Manager eben noch, wo die Arbeiter herkamen. Heute kommen die Führungskräfte von irgendwelchen Eliteschulen, aus reichen Elternhäusern. Die sind bis in die Haarspitze Betriebswirte – aber haben kein Gespür mehr für die Mitarbeiter.“

Ihre Wut ist verständlich. Volkswagen, dieser einst große, schillernde Autokonzern, steckt tief in der Krise. Auch wenn die Verkäufe jüngst wieder anzogen – das Image ist seit Dieselgate ramponiert. Dennoch wollten sich die verantwortlichen Manager Millionengehälter auszahlen – was sofort für Empörung sorgte.

Doch: das Phänomen endet nicht an den Wolfsburger Stadtgrenzen. Was die Gewerkschafter-Runde umtreibt ist dieser Tage Gespräch im ganzen Land: In tausenden Pausenräumen, an unzähligen Stammtischen, bei millionenfachen Begegnungen am Gartenzaun. Die Bezeichnungen der Unternehmen, Manager und Kontrolleure sind austauschbar. Gemeint ist immer dasselbe: Elitenversagen.

Ein Wort, das schwer nach Jürgen Habermas klingt, dass aber ein Gefühl ausdrückt, eine Vermutung vielleicht nur, dass etwas ins Rutschen gekommen ist, dass es ungerecht zugeht. Ungerechter jedenfalls als noch vor einigen Jahren. Es sind Erinnerungen an die guten alten Zeiten, als es in den Führungsetagen angeblich noch Anstand gab und Moral. Debatten über internationale Konzerne, die bei der Bilanz um jeden Preis Steuern sparen wollen, aber gerne jede öffentliche Hilfe annehmen die sich ihnen bietet. Anklagen an gierige Manager, die sich die eigenen Taschen voll machen während die Belegschaft kaum profitiert und ihre Jobs nun auch noch gegen Roboter verteidigen muss. Sie alle sind aufgeladen mit Wut, manchmal mit Hass, vor allem mit viel Enttäuschung.

Es ist eben jene neue Stimmung in Europa und Amerika, die Donald Trump ins Weiße Haus und Marine Le Pen in die Stichwahl um die Präsidentschaft brachte. Und auch in Deutschland hat sie Konjunktur, wenn der populäre SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz auf "die selbsternannten Eliten schimpft" und dafür mit nie gekannten Umfragewerten belohnt wird. Einen ganzen Wahlkampf will die SPD nun auf dieses Thema aufbauen. Es geht um nichts Geringeres, als im Wahljahr die soziale Frage neu zu verhandeln. Ob die Zahlen und Studien das nun hergeben oder nicht – Schulz‘ Gefühl trifft das der Menschen: Reiche werden immer reicher, Arme immer ärmer. Der Abstand zwischen ihnen wächst, die Mittelschicht verschwindet. „Wir hier unten“ oder „die da oben“? Versagen die Eliten oder versagt das System?

von Dieter Schnaas, Simon Book, Max Haerder, Mona Fromm

Gerade erst fand das „Edelman Trust Barometer“ im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums in Davos heraus, dass nur noch 37 Prozent der Menschen die Firmenchefs für glaubwürdig hält – das sind satte zwölf Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Laut Transparency International hält ein Drittel der Bundesbürger die Wirtschaftsbosse gar für korrupt. Ein weiteres Drittel der Deutschen hält sich selbst für unterbezahlt - und die Führungskräfte für überausgestattet.

Nach der Wahl Donald Trumps in den USA stellte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble fest, "dass die Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht immer ein gutes Bild" abgäben. Arbeitsministerin Andrea Nahles sprach im Spiegel von einer „Oligarchie der Reichen“, die dem Land drohe.  DGB-Chef Reiner Hofmann sekundierte mit einem Zahlenfeuerwerk: 82 Prozent der Bundesbürger störten sich an der wachsenden Ungleichheit, 75 Prozent der Menschen wollten die Managergehälter begrenzen. „Die Zivilgesellschaft ist es, die die ausufernde Maßlosigkeit nicht mehr erträgt“, schrieb Hofmann im Manager Magazin. Selbst Reiche selbst erkennen das Problem. „Ich denke nicht, dass es gerecht zugeht hierzulande“, sagt etwa SAP-Gründer Dietmar Hopp. Und auch Trigema-Chef Wolfgang Grupp meint, es gehe ungerecht zu, „solange die Prinzipien von Haftung und Verantwortung außer Kraft gesetzt sind.“

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