Politische Kultur Wenn die Diskussion entgleist

„Drecksnazi“, „Unrechtsherrschaft“, „Pack“: Immer häufiger fallen deutsche Politiker mit sprachlichen Entgleisungen auf. Sprachforscher klagen: Die Verrohung der politischen Kultur spielt Rechtspopulisten in die Hände.

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Der Ton in der Flüchtlingskrise wird selbst unter den Koalitionspartnern rauer – allen voran zwischen Horst Seehofer (CSU) und Angela Merkel (CDU). Quelle: Reuters

Berlin Derbe Sprüche gehören jedes Jahr zum Politischen Aschermittwoch. Zwar wurden wegen des Zugunglücks in Bad Aibling diesmal die meisten karnevalistischen Veranstaltungen abgesagt, zwei Politiker sorgten dennoch für Aufregung. CDU-Generalsekretär Peter Tauber twitterte in einer Auseinandersetzung mit einem Follower „Drecksnazi“. CSU-Chef Horst Seehofer sprach in einem Interview von einer „Herrschaft des Unrechts“ in Deutschland. Zusammen mit den „Pack“-Äußerungen von SPD-Chef Sigmar Gabriel gegen Rechtsradikale in Sachsen könnte man dies als Symptom dafür sehen, dass in der Auseinandersetzung über die Flüchtlingspolitik derzeit auch bei Politikern sprachliche Hemmschwellen fallen.

Tatsächlich sehen Sprachwissenschaftler wie Alexander Häusler von der Universität Düsseldorf oder Elisabeth Rieken von der Universität Marburg eine Veränderung im Sprachstil von Politikern. „In den vergangenen zwei Jahrzehnten hatten wir eher einen Schmusekurs in der politischen Auseinandersetzung. Die Empfindlichkeit gegenüber ausfälligen Äußerungen ist extrem gewachsen“, sagt Rieken. Deshalb fielen derzeit Äußerungen besonders auf, die von der Norm abwichen. Gefördert werde dies von einer härteren Auseinandersetzung in den oft anonym geführten Diskursen in sozialen Netzwerken, ergänzt Häusler.

Tatsächlich sehen sich viele Politiker wie Journalisten seit Monaten oft als Opfer, gerade wenn sie sich in der Flüchtlingspolitik für eine Aufnahmebereitschaft aussprechen. Sie werden überschwemmt von einer – oft gut organisierten – Empörungs- und Beleidigungswelle in den sozialen Netzwerken. Zuletzt hat dies die ZDF-Journalistin Dunja Hayali kritisiert. Die verbalen Tiefschläge der oft anonymen Schreiber sind so beleidigend, dass einige Medien wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sie gelegentlich veröffentlichen, um das Ausmaß des Hasses zu zeigen, der ihnen entgegenschlägt.

Andere Journalisten organisieren Lesungen mit ihnen zugesandten Schmähungen, wieder andere klagen wegen Beleidigung. Die etablierten Parteien registrieren in ihren E-Mails nach eigenen Angaben ebenfalls fremdenfeindliche und hasserfüllte Inhalte. Gleichzeitig macht vielen Politikern die ungelöste Flüchtlingskrise sichtlich auch körperlich zu, die politische Klasse ist gestresst.


„Seehofer spielt den Gegnern der Demokratie in die Hände“

„Das Maß und die Art der Verrohung unserer Sprache und unseres Umgangs mit- und untereinander macht mir Sorgen“, hatte Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) bereits im August 2015 betont. Dass der neue Ton nun nicht mehr nur in den Netzwerken, sondern auch in der politischen Auseinandersetzung zu hören ist, führt Häusler vor allem auf das Erstarken der AfD zurück. Er sieht einen sich selbst verstärkenden Effekt, der den Rechtspopulisten nutze. „Die AfD verletzt erst bewusst sprachlich die Regeln – und stellt sich danach als Opfer dar, weil sie ausgegrenzt werde“, sagt der Düsseldorfer Rechtspopulismus-Experte.

Sowohl Häusler als auch Rieken raten Politikern trotz aller Provokationen zur Zurückhaltung. „Politiker tun Rechtspopulisten einen Gefallen, wenn sie deren Sprache übernehmen“, sagt der Düsseldorfer Sprachforscher. „Es ist generell nicht gut, sich auf ein niedrigeres Sprachniveau zu begeben. Es wäre für Politiker besser, ruhig zu argumentieren und sich nicht provozieren zu lassen“, rät Rieken.

Häusler sieht auch Seehofer Unrechts-Äußerung sehr kritisch, obwohl diese keine Beleidigung darstelle. „Indem sich der Chef einer die Regierung tragenden Partei von der Bundesregierung distanziert, verstärkt er nur die Argumentation der ÁfD“, sagt der Sprachforscher. Ähnlich hatte der CDU-Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier, argumentiert. „Herr Seehofer spielt mit seinen Äußerungen den Gegnern von Demokratie und Rechtsstaat in die Hände“, sagte er. Tatsächlich nehmen AfD-Politiker die Steilvorlage gerne auf und verweisen darauf, dass doch in der Regierung selbst von einem ständigen Rechtsbruch in der Flüchtlingspolitik gesprochen werde – was der nicht-bayerische Teil der Bundesregierung vehement bestreitet.

Überrascht ist Häusler aber nicht. „Immer wenn eine Partei rechts von der CSU auftaucht und stark wird, versucht sie diese zu bekämpfen, indem sie Themen, aber teilweise auch deren Sprache aufnimmt.“ Dasselbe Phänomen habe es schon früher gegeben, beim Aufkommen von NPD und Republikanern. Ohnehin dürfe man nicht vergessen, dass die politische Auseinandersetzung früher härter gewesen sei, betont Rieken. „Franz-Josef Strauß hat Linke früher als Ratten und Schmeißfliegen bezeichnet“, sagt auch Häusler. Verschwunden seien die Verbalinjurien damals erst, als das politische Gespenst der Republikaner erledigt gewesen sei.

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