Reaktionen auf Gabriel-Kritik SPD empört über Wolfgang Schäuble

Vizekanzler Gabriel fordert in der Flüchtlingskrise eine Abkehr vom Sparkurs. Finanzminister Schäuble zeigt dafür wenig Verständnis und sorgt mit seiner scharfen Kritik für Empörung.

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Finanzminister Wolfgang Schäuble Quelle: REUTERS

Normalerweise machen Bundesminister das nicht. Sie äußern sich auf Auslandsreisen nicht zur Innenpolitik. Tausende Kilometer entfernt nimmt man womöglich eine aufgeregte Debatte daheim anders wahr, hat nicht alle Informationen und will die Gastgeber ungern mit dem eigenen Kram befassen. Wolfgang Schäuble will aber nicht bis zu seiner Rückkehr aus Shanghai warten, wo er sich mit Finanzexperten von 20 Industrie- und Schwellenländern sowie der EU zur Vorbereitung des Gipfels in China im September getroffen hat.

Noch vor dem Rückflug nutzt der Finanzminister die Chance, um über Vizekanzler Sigmar Gabriel herzufallen. In einer Pressekonferenz empört sich der Christdemokrat über die Forderung des SPD-Chefs, parallel zur Flüchtlingshilfe mehr Geld für einheimische Bedürftige auszugeben. Schäuble schimpft: „Wenn wir Flüchtlingen - Menschen, die in bitterer Not sind - nur noch helfen dürfen, wenn wir anderen, die nicht in so bitterer Not sind, das gleiche geben oder mehr, dann ist das erbarmungswürdig.“ Synonyme für erbarmungswürdig sind: erbärmlich, miserabel, mitleiderregend, trostlos. Schäuble kocht.

Gabriel hatte ein „neues Solidarprojekt“ mit Kita-Plätzen für alle, mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau und einer Aufstockung kleiner Renten sowie eine Abkehr vom Sparkurs gefordert. Seine Sorge ist, dass sich einheimische Bürger angesichts der Milliardenausgaben für Flüchtlinge benachteiligt fühlen, was sozialen Sprengstoff berge. Nicht nur Linksfraktionsvize Jan Korte findet aber, dass er damit sozial Schwächste gegeneinander ausspielt.

SPD-Politiker finden diese Lesart wiederum infam. SPD-Vize Ralf Stegner poltert, Schäuble habe nichts begriffen. Die Parlamentarische SPD-Geschäftsführerin Christine Lambrecht mahnt: „Die Tatsache, dass Vizekanzler Gabriel die Lage aller in diesem Land lebenden im Auge behält, entspricht unserer Verfassung und den Grundlagen eines menschlichen und demokratischen Staates.“

Schäuble ätzt noch, er habe „Mitgefühl“ mit Gabriel, weil der es als SPD-Chef nicht leicht habe. Könne ja nicht alles so schön sein, wie mit der Union in einer wunderbaren Koalition gemeinsamen am Erfolg zu arbeiten. Schäuble, der Spötter. Schon weil der Zustand des schwarz- roten Bündnisses alles andere als wunderbar wirkt. Korte nennt eben diesen Zustand „erbärmlich“.

CSU-Chef Horst Seehofer lässt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) via „Spiegel“ zum xten Mal wissen, dass er an seiner Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge festhält. Man könne vor der realen Gefahr wegrennen, auch 2016 wieder eine Million Flüchtlinge beherbergen zu müssen. „Aber dann wird uns eben die Bevölkerung weglaufen“, prognostiziert er. Kaum etwas fürchte Seehofer so wie sinkende Umfragen und Wählerverluste, heißt es in CSU-Kreisen.

In dem Interview lässt Seehofer die Frage offen, ob die CSU die CDU-Chefin Merkel - deren Flüchtlingspolitik ohne Obergrenze er für einen kapitalen Fehler hält - trotzdem 2017 wieder als Kanzlerkandidatin unterstützen werde. „Nächste Frage“, sagt der bayerische Ministerpräsident dazu, erklärt aber auch, er sehe keine Alternative zu ihr. Sein CSU-Freund und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hatte seiner Partei Mitte Februar geraten, „bei der Bundestagswahl Horst Seehofer zu plakatieren“. Der „gefühlte Spitzenkandidat der CSU“ sei Seehofer.

Die drei Parteivorsitzenden der großen Koalition vermitteln derzeit den Eindruck, dass sie mehr über die Medien miteinander kommunizieren als direkt. Gabriel machte seinen Vorstoß zu einem „neuen Sozialprojekt“ am Donnerstag in der ZDF-Sendung der Moderatorin Maybritt Illner. Seehofer, der zuvor dringend und erfolglos ein schnelles Dreier- Treffen gefordert hatte, gab dem „Spiegel“ ein Interview für das Wochenende und Merkel wollte am Sonntagabend in die ARD-Sendung von Anne Will gehen.

Da war sie schon am 7. Oktober und erklärte einem Millionen-Publikum ihre Flüchtlingspolitik, und warum sie glaubt: „Wir schaffen das.“ Schon damals hatte sie eine Obergrenze für Flüchtlinge abgelehnt. Diesmal trägt die Sendung den Titel: „Wann steuern Sie um, Frau Merkel?“ Bei allem, was aus dem Kanzleramt dringt, werden die Zuschauer als Antwort am Ende von Angela Merkels Fernsehstunde erkennen: Gar nicht. Erwartet wird, dass sie das macht, was sie seit Monaten tut: Erklären, warum es für sie nur eine internationale Lösung für die Flüchtlingskrise gibt. Und, dass das Zeit braucht.

Zeit, die Merkel aus Seehofers Sicht nicht hat. In zwei Wochen sind Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Die Umfragewerte für die CDU sinken. Der Wahltag gilt als Gradmesser für die Stimmung der Bürger im ganzen Land. Merkel hat bisher wissen lassen, dass sie ihren Kurs für richtig hält, und gewillt ist, Gegenwind auszuhalten. Und gut eineinhalb Jahren bis zur nächsten Bundestagswahl sind in der Politik eine lange Zeit.

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