Sozial- und Steuersystem Wie ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzierbar wäre

Aktion zum bedingungslosen Grundeinkommen vor dem Reichstag in Berlin. (Im Bild Michael Bohmeyer, Initiator von Mein Grundeinkommen) Quelle: imago images

Skeptiker argumentieren, ein bedingungsloses Grundeinkommen sei nicht finanzierbar. Doch das stimmt nicht: Es ginge sogar ohne neue Steuern. Für das jetzt vorgeschlagene Grunderbe gilt das eher nicht. Ein Gastbeitrag.

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Die Lektüre hat sich gelohnt. Das Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium (BMF) zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) liest sich gut: von der Herkunft der Idee, über die Weiterentwicklung und aktuelle Vorschläge bis hin zu einer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) durchgeführten Feldstudie. Sie soll die Auswirkungen des BGE wissenschaftlich eingehender untersuchen. Nach einer rechtlichen Einordnung folgt jedoch der Casus knacksus: Berechnungen, die belegen sollen, dass das Grundeinkommen nicht finanzierbar sei.

So richtig die theoretischen Berechnungen sind, so falsch bleiben die praktischen Folgerungen. Denn anders als der Beirat halte ich ein BGE sehr wohl für finanzierbar – und zwar ohne steuerliche Mehrbelastung für die Bevölkerung. Besteht ein politischer Wille, lässt sich für das BGE ein ökonomischer Weg finden. Nicht finanzierbar ist es nur dann, wenn beim Steuersystem nichts Grundlegendes geändert wird. Würde man jedoch Abstand nehmen von der heutigen Fokussierung auf die Arbeitseinkommen und künftig Kapitaleinkommen genauso besteuern, zeigt sich rasch, dass ein Grundeinkommen sehr wohl finanzierbar wird. Dafür muss man nicht einmal an die Substanz gehen und Vermögen oder Vererbung besteuern, wie es aktuell das DIW mit seinem Grunderbe vorschlägt.

Das DIW will mit einer staatlichen Schenkung von bis zu 20.000 Euro für alle 18-Jährigen die Vermögensungleichheit senken. Finanziert werden soll das entweder durch eine Erbschaft- oder Vermögensteuer. Wenn in Deutschland Wohlstand für alle entstehen soll, sagt DIW-Steuerexperte Stefan Bach, „dann sollten wir die hohe Vermögensungleichheit in Deutschland durch Umverteilung reduzieren: indem die besitzlose Hälfte ein Grunderbe zum Vermögensaufbau erhält, das über Steuern auf hohe Vermögen finanziert wird“.

Bei einem Startkapital von 20.000 Euro für alle Volljährigen würde das Grunderbe den Berechnungen zufolge rund 15 Milliarden Euro im Jahr kosten. Einschließlich weiterer Förderprogramme und Entlastungen bei der Grunderwerbsteuer ließe sich das durch die Erhöhung von vermögensbezogenen Steuern finanzieren. Infrage kämen dafür eben eine Reform der Erbschaftsteuer, eine höhere Besteuerung von Immobiliengewinnen und eine Vermögensteuer für Hochvermögende.

Genau diese Besteuerung von Vermögenden und Erben ist ein wesentliches Manko des Vorschlags gegenüber einem Grundeinkommen. Das Grunderbe soll durch eine Mehrfachbesteuerung von Einkünften finanziert werden, für die zuvor bei der Vermögensbildung bereits Einkommensteuern bezahlt worden waren. Zudem trieft die gut gemeinte Idee eines Grunderbes vor Paternalismus, also einer Liste von Vorschriften und Bedingungen, was genau dann die Jugendlichen mit ihrem Sozialerbe wirklich tun sollten – so wird gefordert, das Geld nicht cash auszuschütten, sondern mit Verwendungsauflagen für Aus- und Weiterbildung, Erwerb von Wohneigentum, Selbstständigkeit oder Unternehmensgründungen zu verknüpfen. Wer aber soll das überprüfen und gegebenenfalls Fehlverwendung oder Missbrauch korrigieren oder sanktionieren? Da wird ein neuer Verwaltungsmoloch erforderlich, der die eigentlich gute Absicht der Chancengleichheit für Jugendliche konterkariert.

Das BGE ist deutlich weiter.

Um die Gründe gegen oder für die Finanzierbarkeit zu prüfen, taugen die Überschlags- und Simulationsrechnungen des Beirats als vernünftige Ausgangslage. Die Größenordnungen decken sich weitestgehend mit meinen eigenen Überlegungen. Wir gehen also davon aus, dass „mit der Einführung des BGE ein Finanzierungsbedarf von knapp 900 Mrd. Euro jährlich entsteht“, so wie es der Beirat plausibel nachvollziehbar mit seinen Simulationsergebnissen belegt.

Den Fokus der Besteuerung und Abgabenlast neu ausrichten

Aber an der Stelle zeigt sich, dass die „Nicht-Finanzierung“ nur zutrifft, wenn man beim Steuersystem alles beim Alten lässt, so wie es der Beirat tut. Ändert man jedoch – so wie ich es ganz grundsätzlich vorschlage – den Fokus der Besteuerung und Abgabenbelastung von den Löhnen auf die gesamte Wertschöpfung, sieht es mit der Finanzierbarkeit eines BGE viel besser aus. Nimmt man die im Jahr 2020 in Deutschland erwirtschaftete Nettowertschöpfung von 2,4 Billionen Euro als Basis und besteuert sie mit 50 Prozent, fließen 1,2 Billionen Euro in die Staatskasse. Streicht man die heutige Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge sowie die Körperschaftssteuern und belässt man bei den indirekten Gemeinschafts-, den Bundessteuern und den Ländersteuern ansonsten alles beim heutigen Zustand, kommen für die öffentlichen Haushalte jährlich etwa 380 Milliarden Euro dazu. Somit stehen auf der Einnahmenseite 1,58 Billionen Euro zur Verfügung, um alle Staatsausgaben zu finanzieren.

Das reicht in etwa, um die vom Beirat errechneten 900 Milliarden Euro für das BGE und auch alle übrigen heutigen öffentlichen Ausgaben zu bezahlen – also für innere und äußere Sicherheit, Infrastruktur, Bildung und Forschung bis hin zu Verwaltung, Gerichtswesen und Kultur. Denn dafür benötigten Bund, Länder und Kommunen im Jahr 2020 insgesamt etwa 600 Milliarden Euro. Mit einer 50-Prozent-Wertschöpfungssteuer lässt sich somit das vom Beirat überschlagsmäßig berechnete BGE von monatlich 1.208 Euro für Erwachsene und 684 Euro pro Kind finanzieren. Die entscheidende Frage: Ist eine 50-prozentige Bruttobesteuerung der Wertschöpfung viel und eventuell so viel, dass Leistungsanreize abgewürgt werden oder Menschen und Unternehmen in Massen Deutschland verlassen?



Ein Vergleich zu heute zeigt, dass eine 50-prozentige Bruttosteuer auf alle Einkünfte für die meisten Menschen eine Steuerentlastung bedeutet – zumal für eine Nettobelastung eines Haushalts ja noch die Grundeinkommen gegenzurechnen sind. Denn die meisten Geringverdienenden und alle nicht-selbstständig Beschäftigten müssen ja nicht nur Steuern, sondern auf ihre Gehälter auch noch Abgaben an die Sozialversicherungssysteme zahlen. Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge zusammen liegen für Arbeitnehmer netto weit über dem, was bei einer Bruttowertschöpfungssteuer von 50 Prozent und einem Grundeinkommen netto an den Staat abzuführen wäre.

Ganz anders würde das für jenen Teil der Bevölkerung aussehen, der heutzutage hohe Einkünfte aus dem Vermögen erwirtschaftet. Anstatt der momentan praktizierten Privilegierung in Form einer auf 25 Prozent pauschalierten Abgeltungssteuer würde in meinem Modell für alle Einkünfte von Zinsen über Dividenden, Tantiemen und Lizenzerlösen bis zu Mieten und Veräußerungserträgen wie beim Arbeitseinkommen auch ein Bruttosteuersatz von 50 Prozent fällig – also doppelt so viel wie heute.

„Fordern vor fördern“ – oder andersherum?

Damit stellt sich in der Tat die Frage, wie Vermögende auf eine Verdoppelung der Bruttosteuersätze auf Kapitaleinkommen reagieren. Spätestens an der Stelle wird dann normalerweise in der Theorie die Metapher des „Kapitals als scheuem Reh“ aus der argumentativen Trickkiste geholt. Diese theoretische Hypothese ist in der Empirie längst als Mär widerlegt. Es genügt, nach dem Feldstein-Horioka-Paradoxon zu googeln. Dann finden sich genügend Belege dafür, dass selbst im 21. Jahrhundert Kapital noch immer durch einen „Home Bias“ gekennzeichnet ist. Dieser besagt: Kapital bleibt in dem Land investiert, in dem es „erspart“ wurde. Die Masse der Investitionen stammt aus nationalen Quellen.

Entgegen aller Drohungen, dass nationale Steuern das Kapital ins Ausland vertreiben, ist die internationale Kapitalmobilität weit geringer als es theoretische Modelle oder praktische Befürchtungen erwarten lassen. Eine ganz einfache Erklärung dafür liefert der gesunde Menschenverstand: Wo, wenn nicht in gefestigten Volkswirtschaften mit starken Institutionen und einer einigermaßen stabilen Währung, soll investiert werden? Und wie weit darf man fremder Politik, die man weder kennt noch beeinflussen kann, wirklich trauen, dass die Steuergeschenke von heute auch morgen Bestand haben?

Bleibt ein letztes, durchaus gültiges Argument des Beirats, das in der Tat nur spekulativ zu bewerten ist. Es geht darum, dass beim heutigen Sozialstaatssystem das Prinzip „fordern vor fördern“ gilt. Erst muss man aktiv sein und hat durch eigene Leistung Einkommen zu erwirtschaften, das dann besteuert wird. Erst danach darf man unter bestimmten Bedingungen auf staatliche Unterstützung hoffen.

Beim BGE hingegen kommt „fördern vor fordern“. Das BGE deckt das Existenzminimum ab – einfach so. Ein ökonomisches Überleben ohne eigene Anstrengung wird möglich. Damit könnte in der Tat der Anreiz zu arbeiten so gering werden, dass in Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr alles erledigt wird, was so zu tun bleibt. Oder aber, dass Arbeit so teuer wird, dass sie für manche Unternehmen und viele Kunden unbezahlbar wird. Steigende Lohnkosten jedoch machen es attraktiver, Arbeit durch Kapital – also Menschen durch Maschinen oder Roboter – zu ersetzen. Damit steigt die Kapitalintensität und die Arbeitsproduktivität. Das wiederum wird in der Makroökonomik gemeinhin als unabdingbare Voraussetzung für mehr Wohlstand und höhere Löhne erkannt.

Der Beirat beruft sich in seinem Gutachten gegen das BGE auf eine Simulationsberechnung, die zum Ergebnis kommt, dass „das Arbeitsvolumen durch die Umstellung auf ein BGE um rund fünf Prozent fällt“. Interessanterweise jedoch sinkt in der Studie die Bereitschaft zu arbeiten gerade nicht bei den Geringqualifizierten im untersten Einkommensbereich. Ganz im Gegenteil: „Insbesondere bei Aufstockern steigt die Bereitschaft zu arbeiten an. Das Arbeitsangebot fällt hingegen bei allen Haushalten, die nicht von Arbeitslosengeld II abhängig sind“ – so nimmt der Beirat sich selbst die Angst davor, dass mit einem BGE als Grundabsicherung niemand mehr arbeiten geht.

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Noch eindrücklicher ist die Schlussfolgerung der Originalquelle von der Freien Universität Berlin, auf die sich der Beirat beruft: „Es ist schwierig, das deutsche Steuer- und Transfersystem so zu reformieren, dass die Arbeitsanreize für einkommensschwache Haushalte verbessert werden, ohne das Gesamtarbeitsangebot zu verringern und die Haushaltsneutralität zu verletzen. Allerdings sind aggregierte Wohlfahrtsverbesserungen möglich durch eine stärkere Umverteilung an Haushalte mit niedrigem Einkommen und mit Kindern. Eine Flat-tax mit bedingungslosem Grundeinkommen kann diese Ziele für Deutschland erreichen.“ Dieses Urteil spricht für und nicht gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Mehr zum Thema: Am bedingungslosen Grundeinkommen scheiden sich die Geister. Feldversuche liefern nun erste Erkenntnisse. Was lässt sich aus ihnen lernen?

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