Deutschland schmiert ab. Und das auf vielen Feldern. Bei allen internationalen Standortvergleichen rutscht unser Land bei den Kosten immer schneller auf die hinteren Plätze. Das fing schon unter der großen Koalition an, aber jetzt nimmt das Tempo zu. In den OECD-Statistiken ist Deutschland bei den Preisen für Energie oder bei den Steuern mit am teuersten. Die Deindustrialisierung hat längst begonnen – und in Klimaschützerkreisen freuen sich manche, weil das gut für Deutschlands weiße Klimaweste wäre.
Da aber die Klimapolitik vor allem der Grünen völlig bigott ist, haben große Teile der Bürger ihr Vertrauen in die Politik verloren. Die sichersten Atomkraftwerke der Welt – völlig CO2-frei – wurden mitten in der Energiekrise abgeschaltet und ausgerechnet durch wieder in Betrieb genommene Kohlekraftwerke ersetzt. Den Bürgern aber werden ihre Gas- und Ölheizungen verboten, weil sonst die CO2-Bilanz Deutschlands nicht stimmt. Doch ohne Vertrauen schmiert die private Nachfrage ab – und damit bricht eine wichtige Säule unserer Konjunktur.
Hört man sich bei Unternehmern um, dann ist für die allermeisten das größte Problem in Deutschland die Bürokratie. Dazu gehören die CSR-Berichtspflichten, die detaillierten Berichte für das deutsche Lieferkettengesetz oder die Taxonomie, mit der man Bankkredite nur noch bekommt, wenn man auf schier endlosen Seiten nachweist, wirklich nur noch in nachhaltige Güter zu investieren. Dass die Ampel ein Belastungsmoratorium ausgerufen hatte, dann aber jede erdenkliche neue Bürokratie schnell verabschiedete, hat bei Unternehmern zu ohnmächtiger Verzweiflung geführt.
Zur Person
Marie-Christine Ostermann ist Unternehmerin und Politikerin. Seit 2023 ist sie Präsidentin des Verbandes Die Familienunternehmer.
Die Folge: Angesichts des immer unattraktiveren heimischen Standortes erklärten in einer Mitgliederbefragung 56 Prozent der Familienunternehmer, dass sie bei einer Neugründung ihres Unternehmens dieses nicht mehr in Deutschland aufbauen würden.
Und auch politisch schmiert Deutschland ab. Die Ampel hat in den Meinungsumfragen schon seit Monaten keine Mehrheit mehr. Das verschärft den grundsätzlichen, weltanschaulichen Streit der so unterschiedlichen Ampel-Parteien. Im Kern geht es um die Zukunft unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung: Ordnungsrecht mit Verboten und Strafen oder Ordnungspolitik mit marktwirtschaftlichen Anreizen?
Konkrete Beispiele: Gebäudeenergiegesetz oder Emissionshandel? Leben auf Kosten der jungen Generation oder Einhaltung der Schuldenbremse? Subventionen für politisch wichtige Unternehmen und Branchen oder gute Standortpolitik für alle Betriebe? Da Grüne und FDP völlig gegensätzliche Antworten geben, während die SPD zerrissen ist zwischen dem realpolitischen Kanzler und der ideologisch ausgerichteten Fraktion, wird dieser Streit öffentlich ausgetragen. Aber er wird nicht entschieden.
Währenddessen schreien einige Kommunen und Landkreise, dass sie die Unterbringung von noch mehr Geflüchteten nicht schaffen. Manche Schulen ächzen unter der personellen Herausforderung, der plötzlich gestiegenen Zahl geflüchteter Kinder ausreichend Deutsch beizubringen. Die Bezieher niedriger Einkommen machen sich Sorgen um die Bezahlbarkeit von Miete und Heizung, während einige beobachten, dass Bürgergeldempfänger keine Angst haben müssen, wenn Miete und Heizkosten schon wieder steigen, da hier der Staat ausgleicht. Der Unmut nimmt rasant zu, die Regierung will sich an diesem ideologisch glühenden Eisen aber nicht die Hände verbrennen – so steigen die Werte der AfD im Wochentakt. Und die Ampel schmiert ab.
Dabei könnte die Regierung mit Themen punkten, die nicht wirklich umstritten sind. Digitalisierung der Verwaltung und des Gesundheitsbereiches gehören dazu. Aber hier passiert wenig bis nichts. Im Onlinezugangsgesetz gab es mal die Vorgabe, dass 575 Verwaltungsleistungen digitalisiert sein sollten – und zwar bis Ende 2022. Da nur wenig umgesetzt wurde, war ein neues Gesetz nötig. Das hat nun nicht einmal mehr ein Zieldatum. Digitalisierung ist dieser Koalition also noch nicht mal eine Wiedervorlage wert.
Immerhin hatte der Kanzler einige gute Ansagen gemacht. Aber wo bleibt seine Deutschlandgeschwindigkeit für alle Genehmigungsverfahren? Wo bleibt das Aufbäumen, um mit einem kräftigen Abspecken der Bauvorschriften wenigstens den größeren Teil der versprochenen jährlichen 400.000 Wohnungen zu erreichen? Vor allem: Wer von einem neuen Wirtschaftswunder spricht, wer Inflation und Rezession bekämpfen will, der muss die gesamte Politik umstellen, von der bisher dominierenden Nachfragepolitik auf Angebotspolitik. Neue Schulden wären dafür der Todesstoß, denn Schulden sind immer die Steuern von morgen. Solange es also zu all dem keinen Konsens in allen drei Ampelfraktionen gibt, wird Deutschland weiter abschmieren.
Für Familienunternehmer ist das schulterzuckende Abwarten von Teilen der Ampel eine Katastrophe. Es sind zwar bei Weitem nicht alle Familienunternehmer in der Industrie tätig. Aber wir alle wissen aus Beobachtungen in anderen Ländern: Deindustrialisierung ist der Anfang des wirtschaftlichen Abstiegs einer Nation. Deindustrialisierung ist der Einstieg in gesellschaftspolitische Instabilität. Deutschland darf nicht weiter abschmieren. Wir Familienunternehmer müssen lauter werden.
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