Volksbegehren zu Enteignungen Das Milliardenspiel

Welche Entschädigungen kommen bei Enteignungen auf die Stadt Berlin zu? Quelle: imago images

In Berlin will eine Initiative Vermieter enteignen. Auf die Stadt kämen Entschädigungen in Milliardenhöhe zu. Aktivisten und Berliner Senat rechnen unterschiedlich – je nach politischem Interesse.

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Den privaten Großvermietern in Berlin soll es an den Kragen gehen. Eine Initiative sammelt jetzt Unterschriften für einen Volksentscheid, um Mietwohnungen zu verstaatlichen. Eigentümer, die 3000 Wohnungen und mehr halten, sollen ihre Mietshäuser abgeben. Damit stehen 243.000 Wohnungen von Deutsche Wohnen, Vonovia & Co. im Feuer. Die beiden börsennotierten Immobilienkonzerne hielten Ende vergangenen Jahres in Berlin zusammen 155.500 Wohnungen. Insgesamt zehn private Eigentümer mit mehr als 3000 Wohnungen müssten ihre Mietshäuser an die Stadt abgeben.

Der Berliner Senat rechnet mit Entschädigungen von 28,8 bis 36 Milliarden Euro. Die Zahlen stehen in einem Gutachten, das der Senat für Stadtentwicklung und Wohnen in Auftrag gegeben hat. Danach sind die Immobilien von Deutsche Wohnen 15,2 Milliarden Euro und von Vonovia 6,5 Milliarden Euro wert.

Das Gutachten übernahm die Bewertung der Immobilien aus den Geschäftsberichten der Unternehmen. Soweit die Eigentümer keine Zahlen veröffentlicht haben, setzte der Gutachter einen durchschnittlichen Quadratmeterpreis von rund 2600 Euro an. Die Zahl ist aus dem Bericht des Berliner Gutachterausschusses für 2017. Für den Preisauftrieb im vergangenen Jahr wurden pauschal zehn Prozent auf den Quadratmeterpreis draufgeschlagen.

Ergebnis: maximal 36 Milliarden Euro für die Entschädigung. Von allen Immobilienwerten zog der Gutachter 20 Prozent ab. Dieser Abschlag setzt sich wie folgt zusammen: Ein Rabatt für Paketverkäufe von Wohnungen und ein Abzug für den Teil des Wertzuwachses, der nichts mit den Investitionen der Eigentümer in die Immobilien, zu tun hat. Am Ende blieben 28,8 Milliarden Euro.
Die Initiative hält diese Zahl für zu hoch gegriffen und geht nur von maximal 13,7 Milliarden Euro aus. Die Aktivisten begründen die Differenz damit, dass sie die Eigentümer von Mietwohnungen unter Marktwert entschädigen wollen. Der Senat rechne dagegen mit spekulativen Marktpreisen, so die Initiative.

Artikel 15 - Nur ein Verfassungsfossil?

Bisher gibt es kein Musterbeispiel für eine Enteignung oder Vergesellschaftung wie sie in Berlin geplant ist. Im Artikel 15 des Grundgesetzes, der eine Sozialisierung von Grund und Boden möglich macht, gibt es keine Vorschriften für die Höhe einer Entschädigung.

Noch ist der Artikel nie in die Tat umgesetzt worden. Lange Zeit galt er als reines Verfassungsfossil. Dort wird nur darauf Bezug genommen, dass die Entschädigung wie bei Enteignungen „unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen“ ist.

Laut Bundesverfassungsgericht darf der Staat den Besitzern enteigneten Vermögens weniger als den Verkehrswert zahlen. Ein aktuelles Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags will sich für die Vergesellschaftungen nicht festlegen: Es sei umstritten, ob die Entschädigung an die Höhe des Verkehrswertes gebunden sei. Nach einer Ansicht müsse die Entschädigung einen „äquivalenten Ausgleich“ vorsehen, also wohl eine Zahlung in Höhe des Verkehrswertes.

Nach einer anderen Ansicht deute die im Grundgesetz gewählte Formulierung („unter gerechter Abwägung“) darauf hin, dass keine bestimmte Höhe festgelegt werde. Demnach müsse zwar eine Entschädigung gezahlt werden. Wie viel, sei aber offen.

Das bereits bestehende Vorkaufsrecht der Gemeinden für Mietshäuser kommt dem Berliner Szenario am nächsten. Dieses Vorkaufsrecht können Kommunen in bestimmten Schutzzonen des Stadtgebiets ausüben. In der Regel liegen diese Zonen in zentrumsnahen Vierteln. Im Februar dieses Jahres schnappte der Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel privaten Kaufinteressenten mehrere Mietshäuser vor der Nase weg. Legitimiert war dies durch das Vorkaufsrecht der Hansestadt.

In den von den Kommunen festgelegten Schutzzonen sind die Eigentümer von Mietshäusern verpflichtet, bevorstehende Verkäufe der Gemeinde zu melden. Die Kommune kann dann innerhalb von zwei Monaten entscheiden, ob sie das Vorkaufsrecht ausübt oder nicht. Zieht sie das Vorkaufsrecht, ist sie nicht verpflichtet, den gleichen Preis wie der höchstbietende private Kaufinteressent zu zahlen. Laut Baugesetzbuch kann die Gemeinde auch nur den Verkehrswert zahlen, wenn das Kaufgebot der privaten Interessenten deutlich darüber liegt. Der Verkehrswert bestimmt sich nach den Berichten der kommunalen Gutachterausschüsse für Grundstückswerte. Die Immobilienwerte aus diesen Berichten sind Durchschnittsgrößen und sie hinken der aktuellen Marktentwicklung in der Regel einige Monate hinterher.

Auslöser der aktuellen Enteignungsdebatte in Berlin war übrigens ein Portfolio von bis zu 61.000 Wohnungen, die zum Bestand der früher landeseigenen Gesellschaft GSW zählen und heute Teil des Wohnungsportfolios der Deutschen Wohnen sind. 2004 war dieses Portfolio noch für rund 400 Millionen Euro privatisiert worden. Allein dieses Portfolio dürfte am Markt heute schätzungsweise sieben Milliarden Euro wert sein.

Letztlich müsste die Höhe der Entschädigung im Gesetz geregelt werden, das auf einen positiven Volksentscheid folgen würde. Dem Volksentscheid müssten 50 Prozent der Abstimmenden und wenigstens 25 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen. Ausgeschlossen sind solche Zustimmungsquoten nicht. In Umfragen hielten 45 bis 55 Prozent der Berliner Enteignungen grundsätzlich für sinnvoll.

Der Streit um die Milliardenentschädigungen könnte also noch eskalieren.

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