Wahlkampfauftakt Die Beschleunigung der Weinbergschnecke

Kampf ums Kanzleramt: Armin Laschet schaltet auf Attacke. Das ist auch nötig: Die Umfragewerte sind schlecht für CDU und CSU. Quelle: AP

Armin Laschet schaltet auf Angriff um. Entlastung der Wirtschaft, klimaneutrales Industrieland und mehr Tempo bei Großprojekten – so lauten die Hauptbotschaften. „Ich will dieses Land nicht den Ideologen überlassen“, sagt er zum Beginn der heißen Wahlkampfphase. Markus Söder warnt: „Es ist knapp“.

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Dass es ihm viel zu langsam zugeht in Deutschland hat Armin Laschet in diesem Wahlkampf schon oft gesagt. Auch seine „Beschleunigungspakete“ hat er bereits in den Bundesrat eingebracht. Aber das reicht dem Kanzlerkandidaten der Union nicht angesichts der krassen Diskrepanz zwischen Planung, Ziel und Ausführung bei großen Projekten. Wenn Deutschland beispielsweise 12.000 Kilometer Stromtrassen braucht, aber in einem Jahr nur 32 Kilometer fertiggestellt werden, dann erinnert das Armin Laschet an „das Tempo einer Weinbergschnecke, die sich nur Millimeter um Millimeter fortbewegt“. Zwar habe Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier jetzt über 70 Kilometer Stromtrassen geschafft, räumt Laschet ein, aber klar ist, dass ihm auch dies bei weitem nicht ausreicht.

Es ist mindestens subtil, vielleicht sogar perfide, Peter Altmaier und die Weinbergschnecke in Zusammenhang zu bringen, aber diesen kleinen Rempler gegen den Parteifreund kann Laschet sich nicht verkneifen. Schließlich hatte Altmaier bei der Kanzlerkandidatur für Markus Söder gestimmt und nicht für ihn.

Laschet steht jetzt auf der großen Bühne des Tempodroms in Berlin und muss liefern. Das von ihm ausgerufene Modernisierungsjahrzehnt sei richtig, hatte Friedrich Merz zuvor in einer Videobotschaft gemahnt, aber es müsse „auch mit konkreten Ideen unterlegt werden“.

Eine dieser Ideen ist ein 100-Tage-Sofortprogramm, das Laschet für die erste Phase seiner Regierungszeit ankündigt. Schnellere Genehmigungen, weniger Bürokratie und raschere Verfahren sollen im Mittelpunkt stehen – er will die Weinbergschnecken in den deutschen Behördengängen antreiben, ja beschleunigen. „Wir müssen schneller und digitaler werden in Deutschland“.

Dass Laschet auf Angriff umgeschaltet hat, merkt man bei seiner kämpferischen Rede schon daran, dass er den Zwischenapplaus gar nicht abwartet, sondern sofort zum nächsten Satz kommen will. Weiter, nächster Punkt, scheint er zu sagen, es wurde schon genug Zeit verloren. Und so verbindet er die wichtigsten Themen aus dem Wahlprogramm mit Angriffen auf SPD und Grüne. Scholz versuche die von der Union geforderte Entlastung des Mittelstands als Bevorzugung der Reichen zu diskreditieren, sagt Laschet, dabei sei die von SPD und Grünen geforderte Abschaffung des Ehegattensplittings eine neue Belastung für Millionen Familien.

Wirtschaftswachstum steht vorne

„Die Herausforderung lautet, wieder zu Wirtschaftswachstum zu kommen“, sagt Laschet, „und wir dürfen das zarte Pflänzchen Hoffnung nicht durch Steuererhöhungen zerstören“. Entschieden verteidigt er auch die Konsolidierungspolitik gegen das „hemmungslose Schuldenmachen“ von SPD und Grünen. „Wir hatten 2014 die schwarze Null und steigende Steuereinnahmen, die Entlastungspolitik funktioniert“. Schließlich seien die Coronahilfen in der Pandemie nur möglich gewesen, „weil wir die wirtschaftliche Kraft hatten.“ Es sei deshalb „auch richtig, keine neuen Schulden zu machen“.

Was ihn wirklich ärgert, ist der Versuch der Grünen, der Union Tatenlosigkeit oder gar Versagen beim Klimaschutz anzuhängen. In NRW hätten die Grünen schließlich die Abholzung des Hambacher Forstes ebenso genehmigt wie den Abbau der Braunkohle bis 2045, erinnert Laschet. Jetzt den gefundenen Ausstiegskonsens aufzukündigen, sei ein sehr durchschaubares Manöver. Sein Ziel sei „ein klimaneutrales Industrieland Deutschland bis 2040“, aber mit Arbeitsplätzen. „Ich will auch in 20 Jahren noch eine Auto-, Chemie- oder Stahlindustrie“, sagt Laschet. Er wolle aber „synthetische Kraftstoffe statt Flugverbote und Technik statt Bevormundung“.

Problemthema Afghanistan

Über zwei Stunden dauert dieser Wahlkampfauftakt, die gesamte Unionsspitze ist angereist – sogar die Kanzlerin. Doch im riesigen Saal des Tempodroms, wo normalerweise 3500 Menschen Platz finden, sitzen jetzt nur einhundert Unterstützer coronabedingt weit auseinander. Es ist vor allem die Junge Union, die in der etwas künstlichen Atmosphäre durch Beifall und Johlen für den nötigen Applausteppich sorgt, der die Fernsehbilder dieses Wahlkampfauftakts untermalen soll.

Die schwierige Klippe Afghanistan umschifft ganz zu Beginn CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Kein Wort zum strategischen Desaster des Westens, kein Wort zur viel zu späten Evakuierung, sondern ein Lob für die Soldaten – das kommt gerade in konservativen Kreisen immer gut an. „Dies ist die Stunde der Retter“, ruft Ziemiak in den halbleeren Saal, „unsere Gedanken sind bei unserer Truppe – Deutschland ist stolz auf euch!“

Merkel hält eine sehr vorsichtige, ja kühle Rede; sie will den Kanzlerkandidaten nicht überstrahlen. „Grundsätzlich halte ich mich aus den Wahlkämpfen heraus, seit ich nicht mehr CDU-Vorsitzende bin“, sagt sie gleich zu Beginn. Beim Auftakt der Union zur heißen Wahlkampfphase wolle sie dann aber doch nicht fehlen. „Es ist richtig schön, heute hier dabei zu sein“, versichert die Kanzlerin und bemüht sich, dabei so viel Wärme wie möglich in ihre Stimme zu legen. Obwohl ihren Worten zufolge eigentlich andere die Bilanz ihrer 16 Jahre Regierungszeit ziehen sollen, präsentiert sie kurze Stichworte. Die Halbierung der Arbeitslosenzahlen, die Sanierung der Staatsfinanzen, die Rettung des Euro und schließlich die Energiewende und die Erhöhung des Ökostromanteils von zehn Prozent 2005 auf 40 Prozent heute stehen auf ihrem Konto.

Söder warnt: „Habe keinen Bock auf Opposition“

Das kräftige Ausmalen der Merkel-Bilanz übernimmt dann Markus Söder, der „16 außergewöhnlich gute Jahre mit Angela Merkel“ konstatiert. „Ich darf das mit Respekt sagen, liebe Angela, du hast unser Land gut beschützt“. Offen spricht der CSU-Chef aber auch die dramatisch schlechte Lage an, in der dieser Wahlkampfauftakt stattfindet. „Es ist knapp“, räumt Söder ein, „und es geht nicht um die Frage wie wir regieren, sondern ob wir regieren“. Diese Kampagne sei die schwerste seit 1998, als Helmut Kohl abgewählt wurde, sagt Söder.



Aber: „Es ist nichts verloren und ich habe keine Lust, keinen Bock auf Opposition“. Armin Laschet sitzt auf seinem Stuhl in der ersten Reihe und nickt. Man müsse zulegen, zeigen, dass „wir eine zweite“ Luft haben. „Ja wir lagen in Führung“, räumt Söder ein, „wir haben auch Fehler gemacht und haben jetzt Gleichstand, aber wir sind keine Mannschaft, die bei einem Ausgleich schon aufgibt.“ Und zum Schluss ringt er sich auch den Satz ab: „Ich will, dass Armin Laschet Kanzler wird und nicht Olaf Scholz oder Annalena Baerbock“.

CSU-Werbespot ohne Laschet

Allerdings hat man sich in München offenbar dafür entschieden, den Bundestagswahlkampf in den Fernsehspots besser ohne Armin Laschet stattfinden zu lassen. Der in Berlin erstmals gezeigte offizielle Werbefilm der CSU zur Bundestagswahl ist Laschet-frei. Der Kanzlerkandidat von CDU und CSU wird weder gezeigt noch mit einem Wort erwähnt. Stattdessen füllt Söder den Clip von der ersten bis zur letzten Einstellung, mal radelt er über leere Straßen, dann schlendert er über blühende Wiesen. Dabei steht Söder am 26. September gar nicht zur Wahl. Im CDU-Clip dagegen hat Laschet sich in der ersten Einstellung dafür entschieden, die letzte Grubenfahrt und das Ende der Steinkohle im Ruhrgebiet zu zeigen, um dann auf moderne Technologie zu kommen. Seine Botschaft: „Ich kann Wandel“.

Die nächsten Tage werden zeigen, ob die Botschaft verfängt – es bleibt nicht mehr viel Zeit. Vor Laschet liegt eine Holperstrecke, denn in den stark gesunkenen Umfragewerten der Union ist das Versagen der Bundesregierung in Afghanistan noch gar nicht abgebildet. Die Strategen zittern deshalb vor den neuen Ergebnissen, wenn die Menschen unter dem Eindruck der Ereignisse in Kabul erneut nach ihren politischen Präferenzen gefragt werden. „Das tut uns nicht gut“, fürchtet ein führender Unionsmanager; „aber der SPD auch nicht“.

Laschet kennt die Defensive

Immer wieder wird jetzt in der Union darauf verwiesen, dass Laschet schon oft aus der Defensive heraus einen Sieg errungen habe.

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Es stimmt; er hat schon mehrmals in seiner Karriere hinten gelegen, Abstimmungen verloren – und sich am Ende doch durchgesetzt. In der NRW-CDU gelangte Laschet erst nach mehreren Anläufen an die Spitze und auch bei der letzten Landtagswahl gegen die scheinbar so populäre SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft schien alles schon entschieden. Doch dann holte Laschet auf den letzten Metern auf und eroberte gegen alle Prognosen die Düsseldorfer Staatskanzlei.

Einen zweiten Anlauf auf das Kanzleramt kann er nicht nehmen, das weiß Laschet. Sein Schlusswort ist fast zwangsläufig. „Ich werde kämpfen mit allem was ich habe, damit dieses Land nicht von Ideologen übernommen wird.“

Mehr zum Thema: Corona, Flut und jetzt auch noch Afghanistan: Der Wahlkampf ist unberechenbar. Mehr denn je kommt es auf die Kampagnenmacher im Hintergrund an.

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