Ein Land beunruhigt die Welt Die wichtigsten Antworten zum Italien-Chaos

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Was sind die größten Risiken?

Die Mischung aus wirtschaftlicher Stagnation und wachsender Angst unter den Investoren birgt das größte Risiko. Schon seit Antritt der Regierung haben sich die Risikoaufschläge auf italienische Staatsanleihen fast verdreifacht. Der Steuerzahler muss also deutlich mehr Zinsen an Investoren zahlen, wenn er die Neuverschuldung finanzieren möchte. Bewerten wegen dieser gestiegenen Kosten gleichzeitig die internationalen Ratingagenturen die Aussichten, dass Italien seine Schulden zurückzahlt, pessimistischer, landet das Problem wiederum beim Steuerzahler.

Denn zu den größten Investoren in italienische Staatsanleihen gehören italienische Banken. Anleihen mit einem Wert von deutlich mehr als 300 Milliarden Euro halten sie direkt. Wird deren Bonität schlechter bewertet, müssen sie diese mit mehr Eigenkapital unterlegen. Das aber hat der Sektor nicht.

Gleichzeitig müssen sich die Banken auf den Ausfall von mehr Krediten einstellen, sollte die Wirtschaft wegen der Unsicherheit weiter lahmen. Dabei sitzen Italiens Banken ohnehin schon auf einem Berg quasi wertloser Kredite von mehr als 80 Milliarden Euro. Schon in der Vergangenheit pumpte der Staat deswegen immer wieder Geld in den Sektor.

Die schier endlosen Finanzprobleme der südeuropäischen Länder
Mit einem Wachstum von 2,7 Prozent lag Portugal 2017 in der Eurozone gut vorne. Quelle: dpa
Portugals Ministerpräsident António Costa Quelle: dpa
Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy ist einer der wichtigsten Verbündeten von Angela Merkel bei der Gestaltung der Zukunft der EU. Quelle: dpa
In Sachen Wirtschaft kann man der spanischen Rajoy-Regierung aber nicht viel vorwerfen. Sie zog das Land mit Reformen und Sparplänen aus der Krise. Quelle: dpa
Arbeitslose stehen in einer Schlange vor einem Arbeitsamt in Alcala de Henares, bei Madrid, Spanien. Quelle: dpa
Sergio Mattarella, Präsident von Italien, spricht nach einem Treffen mit dem designierten Ministerpräsidenten Conte, vor Journalisten. Quelle: dpa
Nach einer langen Rezession wächst die Wirtschaft erst wieder seit 2015, aber nur schwach. Quelle: imago images

Für die amtierende Regierung ist das nicht nur ein immenses Klumpenrisiko, sondern doppelt ärgerlich: Der Teil ihrer Mehrausgaben, der nicht durch neue Kredite finanziert werden soll, soll durch eine Steuererhöhung für Banken und Versicherungen eingenommen werden. Die freilich müssen dafür erstmal Gewinn erwirtschaften, den man besteuern kann.

Gibt es ein gesichtswahrende Lösung des Streits für beide Seiten?

Womöglich schon am Dienstag, so italienische Regierungskreise, könnte die EU-Kommission den Haushaltsentwurf der Italiener zurückweisen. Parallel dazu überarbeiten auch Fitch und Standard & Poor’s, die zwei anderen großen privaten Ratingagenturen, ihre Bonitätsbewertungen Italiens. Sie werden bis Ende der Woche, beziehungsweise des Monats, ihre Einschätzungen vorlegen. Diesen Daten spannen einen Zeitraum auf, innerhalb dessen alle Beteiligten den Konflikt beilegen könnte. Auch wenn die Positionen bisher unverändert sind: Salvini und di Maio beharren auf der Neuverschuldung, die EU-Kommission auf einer Ablehnung der Pläne.

Beide Seiten haben kein Interesse an einer Total-Eskalation. Die italienische Regierung nicht, weil sie ihren Wählern versprochen hat, keinesfalls aus dem Euro auszutreten und das auch am Wochenende nochmal wiederholte. Die EU-Kommission, weil Italien anders als einst Griechenland ökonomisch viel zu bedeutend ist – und als einer der wenigen Nettozahler der EU nach dem absehbarer Wegfall der Beiträge Großbritanniens, ohnehin noch gebraucht wird.

Einen möglichen Ausweg beschreibt der Ökonom Jens Suedekum in einem Gespräch auf „Zeit.de“. Er sagt: „Einen Konfrontationskurs mit Strafen halte ich für kontraproduktiv. Es ist unrealistisch, dass die EU Italien davon abhalten kann, mehr Geld auszugeben.“ Stattdessen solle Europa die Italiener überzeugen, das Geld „wachstumsfreundlicher“ auszugeben. Suedekum: „Ein konkreter Vorschlag: Im EU-Haushalt liegen noch 270 Milliarden Euro an bereits bewilligten Mitteln, die die Mitgliedsländer nicht abrufen. Weil es schlicht an geplanten Projekten mangelt. Hier könnte die EU helfen und Italien dafür die geplante Neuverschuldung reduzieren.“

Das würde Italiens Regierung ein Problem schaffen: Sie hat ihren Wählern die Sozialhilfe- und Rentenreform versprochen. Es würde ihr aber auch ein Problem lösen: Es ist völlig unklar, wer konkret die neue Sozialhilfe auszahlen soll. Eine Behörde dafür gibt es nicht.

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