Görlachs Gedanken
Italiens Staatspräsident Sergio Matarella Quelle: imago images

Ein Schuldenschnitt für Italien kann eine gute Sache sein!

Italien eifert dieser Tage ausgerechnet dem Krisenstaat Griechenland nach. Das ist jedoch kein Grund, mit dem Finger zu zeigen: Deutschland darf sich nicht zurücklehnen, sondern muss sich seiner Verantwortung stellen.

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Italien macht sich zum neuen Griechenland: eine Regierung, die auf Abgrenzung durch Show setzt und mit ihrer Rhetorik möglichst viele Partner, die sie eigentlich benötigt, vor den Kopf stößt, wenn nicht völlig vergrätzt. Analog zur Griechenland-Krise tauchen dann auch solche Postings in den sozialen Medien auf, die Angela Merkel als einen Wiedergänger Hitlers entstellen. Das eigentliche Ziel Deutschlands, so meinen es diese Stimmen im Netz, sei es, ganz Europa zu unterwerfen, wie es einst die Nazis getan haben.

Seit den neunziger Jahren bereise ich Italien: Mein erster Besuch mit der katholischen Jugend war 1994. Im akademischen Jahr 1998-1999 habe ich an der Päpstlichen Universität Gregoriana studiert und später, im Jahr 2003, bei Radio Vatikan hospitiert. Mit Ausnahme des Jahres 2000, wo sich Millionen von Pilgern über die Ewige Stadt hermachten und man allerorts befürchtete, die Stadt würde in Chaos versinken, was aber nicht geschah, ist es für Italien seitdem stets bergab gegangen. Dabei war es egal, wer das Land regierte. Zum Vergleich: Über denselben Zeitraum, von 1999 an, habe ich Spanien regelmäßig besucht. Hier bietet sich ein ganz anderes Bild: Das Land hat sich von Mal zu Mal gewandelt, modernisiert. Es hat, anders als Italien, eine stabile Demokratie, und ist, ebenfalls anders als Italien, einigermaßen aus der Schulden- und Eurokrise herausgekommen. Warum nimmt sich Italien ein Beispiel an Griechenland und nicht an Spanien?

Staatspräsident Sergio Matarella hat das wohl und deshalb genau das Richtige getan, als er zum Wohl des Landes den italienischen Varoufakis-Wiedergänger Paolo Savona als Wirtschafts- und Finanzminister verhinderte. Dabei ging es ihm bei weitem nicht um Stilfragen: Was als Programm für Italien angekündigt wurde, hätte das Land und mit ihm die Währungsunion in den Abgrund gestürzt. Nun ist ein anderer Minister geworden. Das Programm aber, bestehend aus Geschenken, die die Lega und die Fünf Sterne ihren Wählern machen wollen, ist das gleiche, unbezahlbare geblieben. Der Ausgang dieses Unterfangens ist ungewiss. Wahrscheinlich ist, dass sich die beiden populistischen Kräfte derart ineinander verhaken und bekämpfen werden, dass es in naher Zukunft zu einer Neuwahl kommen wird.

Deutschland kann sich jetzt allerdings nicht hinter den ruinösen Vorschlägen einer radikalen Regierung in Rom verstecken und jede Reflexion seiner Rolle in der Finanzkrise und im heutigen Europa aussitzen. Wolfgang Schäuble war als Finanzminister ein Leader, allerdings einer der alten Schule, wenn man es so nennen mag. Mit dem Mantra des Sparens kriegt man einen Kontinent ökonomisch nicht gesund. Eine Politik, die nur auf Austerität setzt, ist gescheitert. Mit Herrn Schäuble von Deck offenbart sich, dass die Bundeskanzlerin selbst, wie in vielen anderen Politikbereichen auch, leider keinerlei Perspektiven für die Zukunft entwickeln und vorantreiben mag. “Leadership” sucht man bei ihr vergebens. Die Antwort von Frau Merkel auf die großen Würfe, die Frankreichs Präsident Macron vorgeschlagen hat, sind eher dürr. Politik ist eben nicht, wie Frau Merkel meint, eine Sache des Machbaren. Politik definiert, was machbar ist.

Europa war einmal attraktiv, weil es als Union rechtsstaatlicher demokratischer, miteinander verbundener Länder einen Rahmen bereitstellte für Frieden und Wohlfahrt. Europa wollte sozial und fair sein. Europa als Bildungs- und Wissenschaftsstandort. Das machte die Alte Welt in allen Teilen der Welt zu einem Sehnsuchtsort. Wenn in Italien (nicht nur da) heute die Hälfte eines Schuljahrgangs ohne Job dasteht, dann hält Europa dieses Versprechen nicht mehr. Der europäische Traum ist geplatzt (wie vor ihm der amerikanische). Deutschland ist nicht für alle Missstände in Italien verantwortlich, beileibe nicht. Gleichzeitig schafft seine wirtschaftliche Dominanz als Exportweltmeister auch im europäischen Binnenmarkt gepaart mit seiner starken finanzpolitischen Rolle beim Euro und der Bewältigung der Euro-Krise mittels der von ihm favorisierten Austerität einen Effekt, um den kein Land, wenn es wollte, herum käme. Deutschland bestimmt. Das ist auch ein Teil der Wahrheit. Er mag nicht jedem schmecken.

Ein Schuldenschnitt für Italien kann hier eine gute Sache sein! Deutschland muss einen Beitrag leisten. Wir sind hier bei weitem kein Musterland, was unser Nicht-Engagement beispielsweise bei der Verteidigung der Union gut illustriert. Leider hat die Rhetorik der Populisten in Italien, genauso wie weiland in Griechenland, diesen Schritt erst einmal verhindert. Denn selbstverständlich hat die Bundeskanzlerin recht, dass es keinen Automatismus geben kann, der aus gemeinsam geteilter Verantwortung eine Transferunion macht. Das ist richtig und deckt sich auch mit den europäischen Verträgen. Wenn man in fordernder Pose in Brüssel vorstellig wird wie Herr Varoufakis, reist man mit einer blutigen Nase ab. Der Verweis auf die Verträge ist aber gar nicht der Punkt, um den es geht.

Wenn ein Gründungsland der Europäischen Union derart unter der Last ächzt, die ihm durch eigenes und systemisches Verschulden erwachsen ist, kann die Antwort eben nicht die sein, dass man auf Gesetzestexte verweist. Spätestens wenn die junge Generation, so wie jetzt in Italien, nicht mehr am Versprechen Europas partizipieren kann, ist rasches Handeln geboten. Deutschland darf sich jetzt nicht aus seiner Verantwortung stehlen.

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