Es ist ein Signal: Die indische Regierung hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) als Ehrengast zum diesjährigen Raisina-Forum geladen. Bei der Konferenz geht es jedes Jahr um die geopolitischen Prioritäten der indischen Regierung. Ministerpräsident Narendra Modi gibt den Europäern mit der Einladung zu verstehen, dass Indien an guten Beziehungen zur EU interessiert ist – wie sehr, das wird sich mit dem am Sonntag beginnenden Besuch zeigen.
Denn seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine versucht sich Indien in einem Balance-Akt: Das Land will weder den Westen noch Russland verprellen. Dass sich Modi während von der Leyen Besuch in der Öffentlichkeit kritisch zu dem Angriff äußern wird, gilt als unwahrscheinlich.
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Für von der Leyen ist es der erste Besuch als EU-Kommissionspräsidentin in Neu Delhi. Für die zwei Tage bringt sie eine Vielzahl von Themen mit, die sie in Gesprächen mit Modi und Präsident Ram Nath Kovind vertiefen will. Dazu zählen die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen, das beide Seiten im vergangenen Jahr wieder aufgenommen haben. Über allem lastet jedoch Russlands Angriff auf die Ukraine. Bei der entscheidenden Abstimmung in der UN-Vollversammlung hatte sich Indien der Stimme enthalten – genauso wie Indiens Nachbar China.
Indiens Konflikt mit China ist einer der Gründe, warum die Führung in Neu Delhi die offene Konfrontation mit Russland scheut. Indien hat seine Waffen in der Vergangenheit aus Russland bezogen und ist abhängig von Ersatzteilen. „Allerdings hat Indien die Bestellungen in Russland seit längerer Zeit heruntergefahren“, betont Garima Mohan von der Denkfabrik German Marshall Fund of the United States.
Milliarden für Waffenproduktion im Inland
Anfang des Monats hat die Regierung angekündigt, die Waffenproduktion im Inland hochzufahren. Das Verteidigungsministerium will in den kommenden fünf Jahren Rüstungsaufträge im Wert von knapp 28 Milliarden Dollar im Inland vergeben. Ganz offenbar setzt Modi nicht mehr auf Lieferungen aus Russland.
„Indien hat sich nicht so ausdrücklich zu Russland geäußert wie es dem Westen lieb wäre“, sagt Indien-Expertin Mohan. Aber Indien habe mehr Kritik geäußert, als im Westen zur Kenntnis genommen wurde. So hat die Regierung Modi das Massaker von Butscha entschieden verurteilt. Nach dem Besuch des russischen Außenministers Sergei Lawrow Anfang des Monats hat sie ein Ende der Kämpfe gefordert. Bekannt ist allerdings auch, dass Modi und Russlands Präsident Wladimir Putin sich hervorragend verstehen. Putin hat Modi mit einem Orden ausgezeichnet. 2021 reiste Putin nur zwei Mal ins Ausland – einmal davon nach Neu Delhi.
Indien will unabhängiger von China werden
Bei von der Leyens Reise nach Indien wollen sich Indien und die EU gegenseitig versichern, dass sie wichtige Partner sind. Genau das hatten sie beim gemeinsamen Gipfel vor bald einem Jahr im portugiesischen Porto auch schon beschworen. Die Arbeit an einem Freihandelsabkommen geht allerdings schleppend voran. Von 2013 bis 2021 waren die Gespräche wegen unüberbrückbarer Differenzen sogar komplett ausgesetzt. Dass Indien sich unabhängiger von chinesischen Importen machen will, hatte in Europa die Hoffnung wachsen lassen, dass Indien seine Märkte verstärkt öffnet. „Viele der Probleme, die schon die Verhandlungen zwischen 2007 bis 2013 erschwert haben, bleiben ungelöst“, heißt es in einem Bericht der Brüsseler Denkfabrik Bruegel für das Europäische Parlament.
Indien erhofft sich vor allem Zugeständnisse im Bereich Landwirtschaft, in dem die EU traditionell protektionistisch ist. Die EU sieht dagegen mit Sorge, dass Indien seinen Markt für Dienstleistungen abschottet. Modi hat vor zwei Jahren eine Politik der wirtschaftlichen Selbstständigkeit angekündigt, die protektionistische Züge trägt. Gleichzeitig arbeitet die EU an einem Grenzsteuerausgleich für CO2, C-BAM, der den Export indischer Güter nach Europa erschweren dürfte.
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