Landesporträt „Ohne den IWF wäre die Ukraine längst bankrott“

Ukraine: Ein verlorenes Land zwischen Russland und EU Quelle: dpa

Krieg im Osten, Korruption und eine vermurkste Revolution: Die Ukraine ist ein verlorenes Land zwischen EU und Russland. Ein Blick auf die wirtschaftliche Lage.

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Autofahrer in der Ukraine brauchen entweder gute Stoßdämpfer oder viel Zeit. „Die Straßen sind so voller Schlaglöcher, dass du eigentlich zickzack fahren musst“, sagt Alexander Piletska.

Zusammen mit seiner Frau Svetlana lebt er in Kovel, einer kleinen Stadt in der Ukraine an der polnischen und weißrussischen Grenze. Er muss beruflich häufig nach Polen, weil er dort Motoräder verkauft, oder Autos, oder was sich ergibt. „Geschäfte halt,“ sagt er trocken. Die Grenze erkennt er, ohne auf die Schilder zu schauen. „Du fühlst das sofort, weil die Straße eben ist“, erklärt der 29-Jährige. „Bei uns hingegen passiert nichts. Der Staat lässt die Leute verhungern.“

So wie er pendeln oder leben 1,5 Millionen Ukrainer ins Nachbarland. Denn die einstige Kornkammer der Sowjetunion ist verarmt. Die Konflikte mit dem mächtigen Nachbarn Russland nehmen zu. Erst Sonntagabend hat die russische Marine ein ukrainisches Militärschiff in der Meerenge von Kertsch gerammt, dann gestürmt und 27 Matrosen als Kriegsgefangene genommen.

Die Regierung in Kiew fordert nun die Freilassung der Männer und die Rückgabe der Schiffe. Die „brutale“ Festnahme verstoße gegen internationales Recht, sagte Präsident Petro Poroschenko. Die Streitkräfte seien in voller Kampfbereitschaft. Zudem soll das Kriegsrecht verhängt werden.

Ursprung dieses Konflikts ist die Annexion der Krim. Russland hat die ukrainische Halbinsel 2014 eingenommen und damit einen strategisch wichtigen Stützpunkt besetzt. Die Meerenge von Kertsch ist auch für die Ukraine wichtig, weil der Osten des Landes darüber das Schwarze Meer und damit Länder wie die Türkei und Bulgarien erreicht.

Eigentlich sichert ein Abkommen, dass das gemeinsame Gewässer, das Asowsche Meer, von Schiffen beider Länder frei durchfahren werden kann. Doch Russland war beim Durchqueren des ukrainischen Schiffes der Meinung, dass die Fahrt nicht angemeldet war. Die Ukraine bestreitet das. Die Situation ist eskaliert.

Der Streit sorgt für eine Blockade des Handelsweges. Für die ukrainischen Hafenstädte Mariupol und Berdjansk sind solche Unterbrechungen mit wirtschaftlichen Einbußen gleichzusetzen. Mariupol ist noch immer wichtig für die Kohle- und Stahlproduktion des Landes. „Auch wenn die Stahlproduktion fast zum Erliegen gekommen ist, ist es noch immer einer der wichtigsten Wirtschaftszweige“, sagt Marcel Röthig, Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Kiew. Es ist nur ein Beispiel für die zahllosen wirtschaftlichen Probleme des nach Russland zweitgrößten Landes in Europa.

Die verkappte Revolution, der Krieg und die Krise

Nach der versuchten Revolution 2013, dem Euromaidan, hat sich die Lage in dem Land massiv verschlechtert. Die Bevölkerung ist auf die Straße gegangen, nachdem die Regierung angekündigt hat, das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen. Umfragen zufolge soll es aber nur der Auslöser gewesen sein, ihre Unzufriedenheit mit der Regierung auszudrücken.

Die Mehrheit forderte einen Rücktritt des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch, der unter dem Druck der russischen Regierung stand. Die Unruhen lösten politische Spannungen und einen Krieg im Osten des Landes aus, der noch immer andauert. Prorussische Milizen kämpfen für die Abspaltung der ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk, während ukrainisches Militär und freiwillige Kämpfer das verhindern wollen.

Seit 2015 arbeitet die internationale Gemeinschaft an einem Friedensabkommen, dass jedoch immer wieder gebrochen wird. 

Die schon zuvor eher zaghaft aufkeimende Wirtschaft brach daraufhin komplett ein. 2014 ging das BIP um sieben Prozent, 2015 um nahezu 20 Prozent zurück. Laut Daten der Weltbank haben die Ukrainer mittlerweile mit 2390 Dollar pro Kopf das niedrigste Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Europa. Zum Vergleich: In Deutschland liegt das BIP bei 44.500 Dollar pro Kopf.

Ein Viertel der Menschen lebt unterhalb der Armutsgrenze. „Vor dem Euromaidan waren es noch 14 Prozent“, sagt Röthig. Der Internationale Währungsfonds musste, ähnlich wie im Fall Griechenlands, einspringen, um das Schlimmste zu verhindern. „Ohne die Zahlungen des IWF wäre das Land schon längst pleite,“ sagt Röthig.

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