Merkel-Besuch in Polen Osteuropäer betonen Vorbehalte in Flüchtlingspolitik

Ungarn plant einen neuen Grenzzaun, die Polen wollen keine neue Asylregelung, Tschechien lehnt weiter EU-Flüchtlingsquote ab. Der Besuch von Bundeskanzlerin Merkel in Polen zeigt die

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Bundeskanzlerin Angela Merkel wird von Polens Premierministerin Beata Szydlo in Warschau empfangen. Quelle: AP

Die osteuropäischen EU-Staaten und die Bundesregierung streiten weiter über die Flüchtlingspolitik. Der ungarische Ministerpräsident Victor Orban kündigte am Freitag kurz vor einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel den Bau eines neuen Zauns an der Grenze zu Serbien an, um Flüchtlinge abweisen zu können. Seine polnische Kollegin Beata Szydlo betonte vor einem Treffen der Visegrad-Gruppe (Polen, Tschechien, Ungarn und Slowakei) mit Merkel in Warschau, sie sei skeptisch, dass die EU einen Kompromiss für eine gemeinsame Asylpolitik finden werde.

Der tschechische Regierungschef Bohuslav Sobotka hatte bereits am Donnerstag die von der EU-Kommission und auch Deutschland angestrebte verbindliche Verteilung von Flüchtlingen erneut abgelehnt. Merkel sagte dagegen, die EU müsse ihre "humanitäre Verantwortung" wahrnehmen.

Vor allem Orban war vor dem Treffen auf Konfrontationskurs zur deutschen Regierungschefin gegangen. Sein Ziel sei, die EU-Politik zur Aufnahme von Flüchtlingen und ihrer Verteilung nach Quoten rückgängig zu machen, sagte der konservative Politiker im ungarischen Rundfunk. "Die Frage ist, ob Angela Merkel bereit ist, mit uns die fehlerhafte Entscheidung aus Brüssel zu revidieren oder nicht." Die vier Staaten der Visegrad-Gruppe gehören zu den schärfsten Gegnern einer EU-Quote und den härtesten Kritikern der deutschen Flüchtlingspolitik.

In Warschau gaben sich die vier Ministerpräsidenten aber moderater. So betonte Szydlo, Flüchtlinge müssten stärker unterstützt werden - aber vor allem in ihrer Heimat und deren Nachbarstaaten. Orban forderte, an dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei festzuhalten. Merkel wiederum betonte, dass zur Lösung der Krise mehrere Maßnahmen nötig seien. Dazu gehörten ein besser Schutz der EU-Außengrenzen, Drittstaatenabkommen der EU mit Herkunftsländern von Flüchtlingen, das Abkommen mit der Türkei sowie verstärkte Hilfe.

Die Bundesregierung dringt allerdings auch auf eine faire Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU.

Merkel und Szydlo haben auf dem Treffen einen stärkeren Zusammenhalt der EU-Mitglieder nach dem Brexit-Votum gefordert. Der Brexit sei ein tiefer Einschnitt in die Integrationsgeschichte der Europäischen Union, sagte Merkel. Für die Vorbereitung des inoffiziellen EU-Gipfels ohne die Briten am 16. September in Bratislava sei es wichtig, „dass wir in ganz unterschiedlichen Formaten aufeinander hören“. Dort wollen die verbleibenden Mitgliedstaaten über die Zukunft der EU beraten. Die Kanzlerin bezeichnete das Treffen als Auftakt zur Verständigung auf gemeinsame Schwerpunkte. Es sei noch kein „Entscheidungsgipfel“.

Nach dem Votum Großbritanniens müsse die EU-Gemeinschaft gestärkt werden, betonte auch Szydlo. „Dabei müssen wir die Themen suchen, die uns verbinden und nicht die, die uns teilen“, sagte sie. In der Flüchtlingsfrage kündigte Szydlo Kompromissbereitschaft von polnischer Seite an. „Wir sollten auch bei der Flüchtlingskrise eine Einigung finden.“ Als Beispiel nannte sie die Aufstockung von Entwicklungs- und humanitärer Hilfe in Kriegsgebieten. Die Visegrad-Staaten sind strikte Gegner der von Brüssel vorgeschlagenen EU-weiten Umverteilungen von Flüchtlingen.

Ihnen ist bei den bevorstehenden EU-Gesprächen das Thema Sicherheit besonders wichtig. Der Konflikt in der Ukraine müsse beraten werden, betonte Szydlo. Die dort wachsenden Spannungen hätten unmittelbaren Einfluss auf die Sicherheit der ganzen EU.

Auch die Kanzlerin maß Sicherheit, Migration und Wohlstand zentrale Bedeutung zu. Bei der äußeren Sicherheit könne in puncto Verteidigungspolitik mehr gemacht werden, sagte sie, ohne näher darauf einzugehen. Bei der Inneren Sicherheit gehe es auch um Terrorbekämpfung. „Auch hier gibt es eine ganze Zahl von Projekten, die in der EU leider über viele Jahre nicht umgesetzt wurden.“ Etwa ein Ein- und Ausreiseregister für den gesamten Schengenraum. Zudem mahnte sie: „Die Menschen in Europa werden Europa nur akzeptieren, wenn es ein Wohlstandsversprechen ist.“ Es gehe um Marktführerschaft und gut bezahlte Arbeitsplätze.

Die Erwartungen an den Gipfel in Bratislava seien riesig, sagte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico. Es gebe aber noch viele Differenzen. „Deswegen ist es notwendig, dass wir heute als V4 in Anwesenheit der Kanzlerin uns unsere Standpunkte näher bringen, betonte er. „Denn wir können uns nicht erlauben, dass unsere Hoffnungen bezüglich des Treffens im September enttäuscht werden“, sagte Fico. Der Gipfel in Bratislava sei der Anfang eines langdauernden Prozesses. „Dort wollen wir den jetzigen Zustand der EU bestimmen und die Bereiche ausmachen, an denen wir bei weiteren Treffen arbeiten müssen“, sagte er.

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