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Soldaten in Panzern auf Gotland in Schweden. Quelle: Imago

Pippi Langstrumpf zeigt Muskeln

Hauke Reimer
Hauke Reimer Stellvertretender Chefredakteur WirtschaftsWoche

Die nach dem Kalten Krieg erzielte Friedensdividende ist verfrühstückt, an klassischen Konzepten der Landesverteidigung kommt Europa nicht vorbei. Eine Kolumne.

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Und plötzlich wieder kalter Krieg – so richtig will man es noch nicht glauben in Berlin. Von wegen Windräder, Mindestlohn und Digitalisierung: Seit Russland Zehntausende Soldaten an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren lässt, werden in den europäischen Hauptstädten wieder Panzer, Landungsschiffe und Mittelstreckenraketen gezählt. Das ist nicht schön. Aber die Realität.

Die Freiheit Europas wird 2022 nicht am Hindukusch verteidigt, sondern in der Ukraine und im Baltikum – oder in Schweden, wo Pippi Langstrumpf Muskeln zeigt: Das Land, das die Wehrpflicht wieder eingeführt hat, lässt Panzer auf Gotland patrouillieren. Dass das Militärische uns wieder auf den Leib rückt, wissen wir seit 2014, als Muskelprotz Wladimir Putin die Krim besetzte. Sogar die deutsche Verteidigungspolitik bewegte sich dann ein Stück zurück in die Richtung, die ihr den Namen gibt. Zumindest rhetorisch. Nur zog man kaum Konsequenzen, was etwa die Ausrüstung der Bundeswehr betrifft.

Russland ist nach kurzer Vorbereitung zu Invasionen in der Lage, heißt es bereits 2020 in einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Die Nato hat Pläne in der Schublade, die zu kontern. Aber bringen ihre Mitglieder den Willen auf, ihre militärischen Optionen zu ziehen? In den Frontstaaten gewiss. Aber in Deutschland, Frankreich, Großbritannien? „Auf deren Fähigkeit, mit massiven Verstärkungskräften – vor allem auch wieder aufzubauenden Großverbänden des deutschen Heeres – bereitzustehen“, so die KAS, „käme es in einer sich zum Konflikt entwickelnden Krise besonders an.“

Abschreckung bedeutet nicht Krieg, im Gegenteil: Wer den Frieden will, muss für den Krieg gerüstet sein, heißt es schon bei Platon und Cicero. Die Nato-Vorgabe, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung, ist legitimer denn je – weil Abschreckung nicht nur über Sanktionen funktioniert. Schon gar nicht gegen ein Land, dessen Bürger wenig zu verlieren haben: Russlands BIP pro Kopf fiel von 16.000 Dollar (2013) auf 10.000 Dollar (2020). Auch deshalb spielt Putin jetzt die chauvinistische Karte.

Es bleibt daher fraglich, ob die „schwerwiegenden Folgen“, mit denen der Kanzler droht, ihn beeindrucken. In jedem Fall muss Deutschland die Abhängigkeit von seinem wichtigsten Gaslieferanten verringern. Und dass Rüstungsanbieter, die Nato-Staaten beliefern und der Exportkontrolle unterliegen, keine Kredite bekommen, weil Banken den Zorn ethisch anlegender Investoren fürchten, ist vollends absurd in diesem kalten Krieg.

Mehr zum Thema: Russland hat die Gasversorgung nach Europa gedrosselt – und nimmt damit auch Einfluss auf den Export von amerikanischem Flüssiggas. Bislang ging das meiste davon nach Asien. Transponder- und Satellitendaten zeigen nun, wie sich die Routen der Transportfrachter verschieben.

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