Ungarn Wider die Zaun-Scheinheiligkeit

Ungarns unsolidarische und unrechtmäßige Flüchtlingspolitik verdient Kritik. Doch moralische Selbstüberhöhung mit Blick auf Grenzzäune ist kontraproduktiv. Mehr Ehrlichkeit mit Blick auf Grenzschutz würde uns gut tun.

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Der Grenzübergang nach Ungarn bei Horgos in Serbien. Quelle: dpa

Vergangene Woche* forderte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban in einem Brief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker 440 Millionen Euro. Damit solle die EU „im Geiste der europäischen Solidarität“ die Hälfte der Kosten für den Grenzzaun übernehmen, den Ungarn seit 2015 an seiner Schengen-Außengrenze zu Serbien und Kroatien errichtet hat.

Das ist derselbe ungarische Ministerpräsident, der nach eigenen Worten den Aufbau eines „illiberalen Staates“ verfolgt, die politischen Grundwerte der EU mit Füßen tritt, sich jeglicher Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen verweigert und in staatlich finanzierten Kampagnen in schöner Regelmäßigkeit gegen das „Diktat aus Brüssel“ sowie Minderheiten hetzt.

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das Ungarns Klage gegen den von den Mitgliedsstaaten vereinbarten EU-Verteilungsschlüssel abweist, diskreditierte Orbans Außenminister am Mittwoch als „politisch“ und einen „Gewaltakt gegen europäisches Recht und Werte“. Er verkündete: „Die richtige Schlacht geht jetzt los“.

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Verständlicherweise ließ also die Empörung über Orbans Forderung nach EU-Geld nicht lange auf sich warten. Kommentatoren vergleichen Orban mit US-Präsident Donald Trump, der die geplante Mauer an der Südgrenze von Mexiko finanzieren lassen will. Die EU-Kommission ließ zugeknöpft verlautbaren, Ungarn gern einen detaillierten Finanzantrag für Ausgaben zur Grenzsicherung vorlegen könne. Aber die Kosten für Mauern oder Zäune könne die EU keinesfalls finanzieren.

Schon 2015 hatte die EU-Kommission argumentiert, dass „wir gerade erst die Mauern abgebaut haben in Europa und wir sie nicht wieder aufbauen sollten“. Bundeskanzlerin Angela Merkel machte damals ähnliche Bemerkungen und hat sich seitdem öffentlichkeitswirksam als Vorkämpferin gegen Zäune und Mauern inszeniert. Im Juni noch warb Merkel bei einer Audienz im Vatikan dafür, dass „wir keine Mauern aufbauen, sondern Mauern einreißen wollen“. In Mexiko äußerte sie jüngst ähnlich mit Blick auf Migrationsbewegungen: "Das Errichten von Mauern und Abschottung wird das Problem nicht lösen". Manchmal klingt an, dass jeder Zaun und jede Mauer gleich eine Wiederkehr der Berliner Mauer in anderer Form ist.

Nun wird niemand der Kanzlerin widersprechen, dass Zäune und Mauern nichts zur Bekämpfung von Fluchtursachen beitragen. Aber zur Ehrlichkeit würde dazugehören: Abschottung ist sehr wohl eine Strategie, derer sich Deutschland und Europa bedienen, um abschreckende Signale an Migrationswillige zu schicken und den eigenen Bürgern den Wiedergewinn der Kontrolle über die Außengrenzen und Einwanderung zu signalisieren. Denn: Die Zahl derer, die nach Europa streben, ist weit höher als die Zahl derer, die europäische Bürger aufzunehmen bereit sind; als Flüchtlinge im Rahmen gesteuerter Resettlement-Verfahren oder als Wirtschaftsmigranten durch Einwanderungsquoten.

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