Von Volkswagen über Spotify hin zu Iberdrola – Europas große Konzerne hauen vor den Wahlen zum Europäischen Parlament kräftig auf die Pauke, um ihre Angestellten zum Gang an die Urne zu bewegen. Selbst US-Unternehmen folgen dem ungewöhnlichen Schritt, die sonst übliche Trennlinie zwischen Politik und Geschäft fallen zu lassen.
Hintergrund sind dabei ganz handfeste wirtschaftliche Interessen: Driftet Europa wieder auseinander, droht dies den Geschäftsbetrieb zu stören und die Profite zu drücken.
Das ist nicht erst der Fall, wenn ein Land gleich ganz aus dem Staatenbündnis ausscheiden will wie Großbritannien. „Der europäische Binnenmarkt, der grenzüberschreitende Handel und die Bewegungsfreiheit von Fachkräften sowie der Wissensaustausch sind wichtige Voraussetzungen für unsere Wettbewerbsfähigkeit“, betont etwa Volkswagen. Der weltweit führende Autobauer hat an seinem Werk in Wolfsburg neben dem großen VW-Logo ein riesiges Banner mit der Aufschrift ‚Volkswagen wählt Europa‘ angebracht und fordert die 490.000 Angestellten in Europa in 16 Sprachen zur Stimmabgabe auf.
Nur ein stärker vereintes Europa sorge für Wohlstand und Sicherheit der 500 Millionen Bürger, wirbt auch der Chef des spanischen Energieversorgers Iberdrola vergangenen Monat im „Handelsblatt“. Das Engagement der Firmen vor der an diesem Wochenende anstehenden Europawahl ist dabei nicht auf Deutschland beschränkt. Der weltweit führende Streaming-Dienst Spotify aus Schweden hat etwa eine Playlist mit Lokal-Matadoren aus den 28-EU-Ländern aufgelegt und bewirbt damit für die Vielfalt des Bündnis.
Bei der Lufthansa fordert ein am Rumpf eines Airbus A320 angebrachter Schriftzug ‚Say yes to Europe‘. Selbst US-Firmen mischen mit: Die Deutschland-Chefin Sabine Bendiek von Microsoft wirbt etwa via Twitter und Linkedin für eine hohe Wahlbeteiligung im Interesse einer florierenden Wirtschaft in der EU. Auch der US-Mischkonzern 3M betont sein Interesse an einem „starken und offenen“ Europa. In mehreren YouTube-Videos mit führenden EU-Parteikandidaten will der Industrieriese seine 18.000 Angestellten in Europa zur Wahl animieren.
„Das ist der beste Weg, um eine stabile Kapitalrendite zu erzielen und damit Investitionen anzuziehen und Arbeitsplätze zu schaffen“, betont Maxime Bureau, Direktor bei 3M in Brüssel. Eine aus einer niedrigen Wahlbeteiligung möglicherweise folgende Schwächung der EU könnte dies gefährden.
Konkrete Wahlempfehlungen geben die Konzerne dabei nicht ab – auch wenn die Pro-Europa-Kampagnen der Unternehmen kaum als Werbung für euroskeptische oder nationalistische Parteien gedeutet werden können. Gerade mit dem Erstarken populistischer und ultra-rechter Parteien haben die Firmen ein Interesse, die seit Jahren sinkende Europa-Wahlbeteiligung zu stabilisieren. Auch das Europäische Parlament legt sich ins Zeug, die fast 430 Millionen Wähler in Europa bei den Wahlen vom 23. bis 26. Mai zur Stimmabgabe zu bewegen. Ein YouTube-Spot mit neugeborenen Babys wurde mittlerweile 34 Millionen Mal angeklickt.
„Es ist gut, dass Unternehmen ihre Verantwortung ernst nehmen und sich dafür einsetzen, dass die Menschen zur Wahl gehen“, lobt Fabian Zuleeg, Leiter des Brüsseler Think-Tanks European Policy Centre. Ganz praktische Hilfestellung für den Urnengang will die amerikanische Elektro-Scooter-Firma Lime bieten, die in zwölf EU-Ländern mit Freifahrten zu den Wahllokalen wirbt. Selbst die um ihre Arbeitsplätze bangenden Mitarbeiter von ThyssenKrupp werden mit bunten Plakaten zur Stimmabgabe aufgefordert, denn - wie es auf einem der Plakate heißt – „Was bringt es, selbstfahrende Autos zu haben, wenn sie an jeder Grenze anhalten müssen?“