Wirtschaft im Weitwinkel
EZB Quelle: dpa

Der EZB geht der Kompass verloren

Sowohl Inflation als auch Inflationserwartung im Euroraum fallen. Sollte diese Entwicklung anhalten, könnte die Europäische Zentralbank zum Handeln gezwungen werden – mit möglicherweise schwerwiegenden Nebenwirkungen.

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Die Inflationsschnellschätzung lag für Deutschland im Monat März im Vergleich zum Vorjahr bei nur noch 1,5 Prozent und damit unterhalb der Prognosen. Die Inflationserwartungen für die Europäische Währungsunion sind jüngst regelrecht abgestürzt und liegen bei rund 1,3 Prozent und damit auf dem Tief von 2016. Damals erhöhte die Europäischen Zentralbank (EZB) das QE-Programm zum massiven Aufkauf von Anleihen auf 80 Milliarden Euro pro Monat.

Die Kernrate der Inflation, ohne die Komponenten Energie und Nahrungsmittel, pendelt seit Jahren zwischen 1,0 und 1,2 Prozent. Die lange Phase des Aufschwungs spiegelt sich also nicht in der Inflationsentwicklung wider.

Die Kernstrategie der EZB zielt auf Veränderungen bei der Inflation und beim Wachstum. Konsequent gehandelt müsste die Europäischen Zentralbank jetzt eigentlich die Zinsen senken, um Deflationsgefahren zu begegnen, bevor sie aufkommen. Bei Zinsen von null und einem negativen Einlagesatz fällt das natürlich sehr schwer. Also hat man erstmal die Erwartungen für einen möglichen Zinsanstieg später im Jahr aus dem Markt genommen. Mit dem Erfolg, dass die Bund-Renditen bis zu einer Laufzeit von zehn Jahren nun negativ sind.

Wenn die Inflation sich auf den jetzigen Werten stabilisiert, bleiben die Zinsen für einen relativ langen Zeitraum auf dem aktuellen Niveau. Bei weiteren Rückgängen und möglicherweise aufkommenden Deflationsgefahren könnte die EZB jedoch zum Handeln gezwungen werden und sich neue Instrumente einfallen lassen müssen.

Was dies auch immer sein wird, die Nebenwirkungen dieser Maßnahmen werden immer schwerwiegender werden. Besser wäre es, die Europäische Zentralbank würde zunächst gar nicht reagieren. Es könnte auch sein, dass die Inflation diesmal auf ein schwächeres Wachstum nicht oder kaum reagiert. Schließlich hat ein starkes Wachstum auch keine Inflation ausgelöst.

Mittelfristig müssen sich die EZB und alle anderen Notenbanken fragen, ob die Inflation als zentrale Steuerungsgröße der Geldpolitik überhaupt noch geeignet ist. Offensichtlich führen die aktuellen strukturellen Veränderungen in den Volkswirtschaften zu einer deutlichen Schwächung des Korrelationsverhältnisses zwischen Wachstum und Inflation. Für ein nachhaltig stabiles Finanzsystem ist ein effizientes Notenbanksystem aber unabdingbar. Daher sollte man diese Diskussion bald führen, bevor ein global zu niedriges Zinsniveau zu einer globalen Krise führt.

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