Denkfabrik

Die zerstörerische Kraft der Inflation

Martin Feldstein Quelle: Bloomberg, Montage
Martin S. Feldstein US-amerikanischer Ökonom, Professor für Wirtschaftswissenschaften und ehemaliger Oberster Wirtschaftsberater für US-Präsident Ronald Reagan Zur Kolumnen-Übersicht: Post aus Harvard

Vielerorts auf der Welt steigt die Inflation wieder. Wie gefährlich das auf lange Sicht für eine Volkswirtschaft sein kann, zeigt das Beispiel Argentinien.

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Argentinien 2013: Eine Inflationsrate von 26 Prozent löste landesweit Plünderungen von Geschäften aus. Quelle: dpa Picture-Alliance

Dieses Ziel ist mehr als ambitioniert: Die Zentralbank von Argentinien will die Inflationsrate in drei Jahren auf etwa fünf Prozent drücken – momentan sind es rund 20 Prozent.

Argentinien hat eine lange Inflationshistorie. Die zerstörerische Kraft der Geldentwertung lässt sich hier trefflich beobachten. Zwischen 1975 und 1990 lag die Rate bei durchschnittlich 300 Prozent – das bedeutet, dass sich die Preise alle paar Monate verdoppeln. 1989 stiegen sie um über 1000 Prozent, bevor sie scheinbar unter Kontrolle gebracht werden konnten.

Tatsächlich besiegt war die Inflation hier nie. Als ich Mitte der Neunzigerjahre Argentinien besuchte, war der Peso an den Dollar gekoppelt. Auf den Straßen von Buenos Aires wurden beide Währungen für die täglichen Einkäufe benutzt. Aber als die Bindung des Peso an den Dollar zusammenbrach, ging die Inflation durch die Decke. Bis 2003 stieg die Rate auf 40 Prozent. Ein paar Jahre ging sie dann auf zehn Prozent zurück, kletterte während der Präsidentschaften von Néstor Kirchner und seiner Frau und Nachfolgerin Cristina Fernández de Kirchner aber wieder auf 25 Prozent. 2016 schoss sie auf 40 Prozent in die Höhe (was freilich an der Abschaffung von Preissubventionen lag, die zuvor die wirkliche Inflationsrate verschleiert hatten).

Angst vor Krediten

Durch die hohen Inflationsraten der letzten Zeit und dadurch, dass sich die Bürger an die noch höhere Inflation der Vergangenheit erinnern, erlitt die argentinische Wirtschaft schweren Schaden. Da bei hoher Inflation die Marktzinsen steigen, muss der Staat für kurzfristige Peso-Kredite 25 Prozent Zinsen zahlen. Investoren sträuben sich, langfristige Kredite zu festen Zinsen zu vergeben, da sie Angst haben, eine erneut aufflammende Inflation könnte den Wert ihrer Anleihen zerstören. Haushalte und Unternehmen wiederum zögern, langfristige Anschaffungen durch kurzfristige Kredite oder Kredite mit variablen Zinsen zu finanzieren, da bei einem Anstieg der Inflation ihre Zinslasten stark steigen würden.

Faktisch hat die argentinische Tradition hoher und wechselhafter Inflation den Hypothekenmarkt im Land zerstört. Den Haushalten ist es nicht mehr möglich, eine Hypothek aufzunehmen, um ein Eigenheim zu finanzieren. Getroffen ist auch die Lebensversicherungsbranche: Weil niemand weiß, wie viel der Peso zum Auszahlungszeitpunkt noch wert sein wird, schließt kaum jemand eine Versicherung ab.

Lehren aus den argentinischen Erfahrungen

Die vorherige Regierung hatte versucht, die Öffentlichkeit zu täuschen. Sie präsentierte Inflationsschätzungen, die Experten zufolge viel niedriger waren als die tatsächliche Preissteigerung. Wie mir ein argentinischer Freund erklärte, wurden Statistiker, die versuchten, korrekte Inflationsdaten zu veröffentlichen, entlassen und durch politische Verbündete ersetzt, die geschönte Daten verbreiteten. Wie er sagte, verwandelten sie „Regierungsstatistiken von einem technischen Problem in eine kreative Kunst“.

In den Jahren, als die Regierung den Argentiniern erlaubte, ihre Peso in Dollar zu tauschen und außer Landes zu schaffen, investierten wohlhabende Bürger sehr viel Geld in den USA. Als Folge dieses Kapitalabflusses ist das Investitionsniveau in Argentinien heute sehr gering – was Produktivität und Wachstum bremst. Die Bruttokapitalbildung beträgt nur 17 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP), während sie in Chile und Mexiko bei 23 Prozent liegt.

Wegen Inflation? Bei diesen Lebensmitteln steigen die Preise deutlich

Die neue Regierung von Präsident Mauricio Macri ist zwar entschlossen, die Inflation zu senken, sie muss dafür aber einen hohen politischen Preis zahlen. Knappe Geldversorgung und hohe Zinsen blockieren die Nachfrage und führen bereits jetzt zu einem Rückgang des realen BIPs. Gleichzeitig wird eine Verringerung der Inflationsrate von 20 auf 15 Prozent in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Aus den argentinischen Erfahrungen können andere Länder zwei wichtige Lehren ziehen. Erstens: Preisstabilität ist eine sensible Größe, die Inflationsrate kann sehr schnell steigen. Und zweitens: Hohe Inflationsraten bleiben im Gedächtnis einer Gesellschaft lange verhaftet und haben lang andauernde negative Effekte. Anders ausgedrückt: Preisstabilität zu erreichen ist wichtig – aber ebenso wichtig ist es, sie beizubehalten. Deshalb muss die Geldpolitik ständig auf das Ziel niedriger Inflation ausgerichtet bleiben.

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