Freytags-Frage
Der schwache Exportmarkt belastet die Auftragslage in der deutschen Industrie. Quelle: dpa

Kann die Politik den Abschwung noch verhindern?

Die Auftragslage der deutschen Industrieproduktion ist im Februar eingebrochen. Die deutsche Politik muss nun entschlossen handeln, damit es nicht weiter bergab geht.

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Die Nachricht ist einigermaßen dramatisch: Der Auftragseingang der deutschen Industrieprodukten ist im Februar im Vergleich zum Vormonat um 4,2 Prozent eingebrochen. Selbst wenn man die recht volatilen Großaufträge herausrechnet, ergibt sich eine Reduktion der Aufträge um 2,7 Prozent.

Für diesen Einbruch scheinen mehrere Faktoren verantwortlich zu sein: Zunächst einmal sorgt das Chaos, das die britische Politik im Zusammenhang mit dem Brexit erzeugt, für Unsicherheit und damit für zögerliche Auftragsvergabe. Britische Unternehmen und Konsumenten werden in einer solchen Phase eher zurückhaltend einkaufen. Das wirkt auch senkend auf die Nachfrage von anderswo. Hinzu kommt, dass aus China weniger Wachstumsimpulse kommen als erwartet und in der Vergangenheit erfahren; ohnehin herrscht im Verhältnis zu China ein recht hohes Maß an Misstrauen. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China beziehungsweise Europa dürfte ebenfalls zu einer schwächeren Auftragslage beitragen. Steigende Zölle sorgen auf beiden Seiten des Atlantiks in der mittleren Frist für abnehmenden Außenhandel und senken so den Wohlstand.

Insgesamt ist es somit vor allem den politischen Entwicklungen auf dem Weltmarkt zu verdanken, dass die deutsche Industrie schwächelt. Die heimische Nachfrage ist bisher weiterhin hoch. Man könnte es eine drohende politische Konjunkturkrise nennen.
Nun stellen sich verschiedene Fragen dazu, wie die Politik auf einen möglichen Abschwung – noch ist es bloß eine Delle, die aufgeholt werden kann – reagieren sollte und kann. Hektik ist sicherlich nicht angebracht, noch dürften die automatischen Stabilisatoren wirken. Dessen ungeachtet ist jetzt schnell zu klären, ob die Situation Konjunkturpolitik verlangt. Im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) dürften die entsprechenden Referate bereits rechnen, um mögliche Verzögerungen in der Analyse und Diagnose, die zu Verzögerungen in der Therapie führen können, zu vermeiden. Denn wenn Konjunkturpolitik zu spät käme, würde sie nicht kontrazyklisch, sondern prozyklisch wirken.

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Wenn es wirklich zu einem Abschwung kommt, müsste der Politikmix ausgewogen und zielführend sein. Was kann die Geldpolitik leisten, was die Fiskalpolitik? Gibt es Potential für Steuerpolitik? Sollte man die Politiken international, zumindest europäisch koordinieren? Könnte ein globaler Abschwung genutzt werden, die handelspolitischen Konflikte einzudämmen? Oder wäre eine protektionistische Zuspitzung wahrscheinlicher? Welche Rolle spielen nationale und internationale Regulierungen?
Die Antworten auf diese Fragen sind nicht nur auf den ersten Blick wenig ermutigend.

Die Geldpolitik hat zinspolitisch keinen Spielraum. Die jahrelange Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat das Potential für weitere Zinssenkungen im Grunde erstickt; es sei denn, die EZB strebt negative Zinsen an. Dies dürfte entweder eine Flucht in Bargeld oder in Sachwerte stimulieren (bzw. verstärken, denn eine Flucht in Sachwerte ist bereits jahrelang im Gange). Natürlich könnte die EZB versuchen, die Bargeldhaltung zu erschweren (oder zu verbieten). Die Geschichte zeigt, dass dies nur zu weiteren Verwerfungen (einschließlich Dollarisierung und Korrumpierung weiter Teile der Bevölkerung) führt und die Wirtschaft nicht stimulieren kann. Darüber hinaus würde die Geldpolitik für alle Mitglieder der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) gelten, also auch für solche Länder, die von einer Rezession nicht betroffen wären. Die Geldpolitik fällt somit praktisch aus.

Eine Ausnahme dieser etwas düsteren Aussicht gibt es allerdings: Denn die EZB könnte wiederum Staatsanleihen kaufen, mit deren Hilfe dann fiskalische Impulse gesetzt werden könnten. Wirtschaftlich haben die bisherigen Käufe allerdings nur wenig erreicht; man denke an Italien. Und rein rechtlich steht dieser Maßnahme die aktuelle Verschuldung beziehungsweise das bereits erreichte Budgetdefizit für 2019 in einigen europäischen Ländern entgegen. Man muss allerdings davon ausgehen, dass die Akteure in der EWU Verstöße gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) nicht verfolgen würden; das wäre auf jeden Fall eine echte Neuerung, die eher unwahrscheinlich ist.

In Deutschland spricht zudem die Schuldenbremse gegen einen starken fiskalischen Stimulus. Die Einführung der Schuldenbremse hat dazu beigetragen, die öffentlichen Haushalte zu stabilisieren. Es wäre fatal, wenn die Bundesregierung die erste kleine Krise als Entschuldigung dafür nutzen würde, verfassungsgemäße Fiskalpolitik zu unterlaufen. Entsprechende Vorstöße aus der Politik sollte die Regierung auf jeden Fall ablehnen. Also bleibt auch fiskalisch wenig Spielraum.

Dieses Problem wird dadurch verstärkt, dass – wie oben beschrieben – vor allem die gesunkene Auslandsnachfrage das Problem der deutschen Wirtschaft ist. Heimische Nachfrage insbesondere im Baugewerbe – und damit die Auslastung der Kapazitäten dort – ist ungebrochen hoch. Ein zusätzliches, kurzfristiges staatliches Ausgabenprogramm würde vermutlich vor allem den Bausektor betreffen und dürfte daher nur wenig reale Impulse entfalten und vor allem zu Preissteigerungen im Immobiliensektor mit zahlreichen negativen Nebenwirkungen führen.

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Diese Aussage muss insofern qualifiziert werden, als es einen hohen Bedarf an öffentlichen Investitionen gerade in der Infrastruktur gibt. Dieses Problem ist jedoch kein konjunkturelles, sondern ein strukturelles. Vor diesem Hintergrund sollte die Regierung die Ausgabenstruktur ändern und einige ihrer Wohlfühlprogramme (allen voran die von den Sozialdemokraten gewünschte Grundrente oder die Rente mit 63) abzuschmelzen und stattdessen in die Infrastruktur und damit die Zukunft zu investieren. Man könnte eine Rezession dazu nutzen, diese zukunftsorientierte Ausgabenverschiebung politisch durchzusetzen. Kurzfristig wären die Kapazitätsprobleme natürlich nicht gelöst, aber es gäbe Anreize zum Kapazitätsausbau in der Bauwirtschaft; das beträfe auch viele Handwerksbereiche.

Diese Überlegungen führen zur echten Ursachenbekämpfung. Die Bundesregierung sollte sich wesentlich wuchtiger in die internationalen Verhandlungen zur Handelspolitik einbringen. Das betrifft erstens die Zollpolitik, zum Beispiel die von der US-amerikanischen Administration geplanten Zölle auf europäische Automobile. Es spricht nicht viel dagegen, die Zölle auf außereuropäische Autos auf das jetzige Niveau der US-Zölle zu senken; viel mehr amerikanische Autos werden dann sicher nicht in Europa verkauft.

Zweitens muss die Haltung zu Rüstungsexporten überdacht werden. Die deutsche Haltung zur Exportkontrolle schafft nicht nur Konflikte innerhalb der EU, sondern belastet auch die deutsche Wirtschaft, ohne dabei effektiv zu sein. Es ist naiv zu glauben, dass Saudi-Arabien vom deutschen Embargo am Kauf von Rüstungsgütern effektiv gehindert wird; es werden eben nur keine deutschen Produkte mehr sein. Mit Verantwortungsethik anstatt Gesinnungsethik käme man hier weiter.

Drittens sind grundsätzliche Fragen der Welthandelsordnung zu adressieren. Hier ist die Bundesregierung mit ihrer gemeinsam mit Frankreich und anderen Ländern geplanten multilateralen Initiative am weitesten.

Schließlich ist zu diskutieren, ob und inwieweit nationale Wirtschafts- und Steuerpolitik zu einer Glättung des Konjunkturzyklus beiträgt. Hier sei nur auf die Steuerpolitik verwiesen: Es ist einigermaßen erschreckend, dass die Sozialdemokraten nicht auf die Nachricht reagieren, dass inzwischen 40 Prozent der Einkommensbezieher den Spitzensteuersatz zahlen. Eine nachhaltige Entlastung der Steuerzahler (in unteren und mittleren Einkommenssegmenten) dürfte jedenfalls zur Vermeidung einer Rezession beitragen.

Leider wirkt es nicht so, als wäre sich die Bundesregierung dieser Zusammenhänge bewusst, beziehungsweise, als würde sie sich dafür interessieren. Statt problemorientierter Wirtschaftspolitik hat die sogenannte Große Koalition bisher nur symbolträchtige, teure und wenig treffsichere sozialpolitische Programme aufgelegt. Damit kann die Konjunktur nicht geglättet werden. Es wird Zeit für eine angebotspolitische Wende!

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