Neue IWF-Strategie „Die wachsende Ungleichheit bereitet uns Sorgen“

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„Wir hätten genügend Kapital, um grüne Technologien voranzutreiben“

Aber haben wir denn noch die Zeit, bis die Märkte reagieren und Umweltschutz für alle „attraktiver“ wird?
Natürlich müssen wir uns beeilen, aber ich bin kein Naturwissenschaftler. Was ich sagen kann ist, dass wir weltweit genügend Kapital hätten, um grüne Technologien voranzutreiben. Egal wo. Sobald man die Preise für diese Investments richtig setzt, werden sich auch die Erträge einstellen und Geldgeber angelockt.

Auch in den Schwellenländern? Selbst bei erfolgsversprechenden Infrastrukturprojekten zögern viele ausländische Investoren.
Das ist in der Tat ein großes Problem, denn rein ökonomisch betrachtet würden sich die meisten Verkehrs- oder Bildungsprojekte in 15 bis 20 Jahren rentieren. Die G20-Länder überlegen sich deswegen schon länger, wie man derartige Investments als attraktive Anlageklasse deklarieren kann. Mit dem Klima ist das ähnlich: Es gibt viele Möglichkeiten, wie man Geld nachhaltig und profitabel zugleich anlegen kann. Ich denke, je klarer die Kosten des Nichtstun werden, desto mehr Anreize wird es dazu geben. Nach und nach werden dann immer mehr Investoren die Ertragschancen erkennen und einsteigen…

…aber es gibt zunehmende Handelsbarrieren. Die Globalisierung hat zwar den Welthandel allein zwischen 1950 und 2008 um das 33-fache ansteigen lassen. 2019 war das Handelsvolumen aber rückläufig. Auch 2020 dürfte laut PwC-Global-Economy-Watch ein Jahr der „Slowbalisation“ werden. Warum verliert die Globalisierung an Fahrt?
Die Ungleichheit ist sicher einer der Hauptfaktoren dafür. Auch wenn die Schwellenländer insgesamt wohlhabender werden und die Ungleichheit weltweit zurückgeht, nimmt sie innerhalb einzelner Länder zu. Die Unterschiede zwischen der Stadt- und Landbevölkerung sind ein gutes Beispiel dafür. Eine Millionen-Metropole ist besser in den Welthandel integriert und technologisch fortschrittlicher als ein abgeschiedenes Dorf auf dem Land. In den Ballungszentren lassen sich somit höhere Gewinne erwirtschaften. Dadurch werden diese Regionen zunehmend wohlhabender, während ländliche Gebiete oft stagnieren.

Aber wieso bremst das die Globalisierung?
Die Menschen in den benachteiligten Gebieten fordern eine Erklärung für ihre Situation. Gerade nationalistische Parteien nutzen diesen Unmut aus und machen die Globalisierung verantwortlich für die Ungerechtigkeit in ihrem Land. Für viele Demonstranten ist sie mittlerweile das Feindbild Nummer eins und ein einfach gefundener Sündenbock. Sie sind ausländischen Investoren gegenüber skeptisch und befürchten, durch Handelsabkommen ausgebeutet zu werden. Was folgt, sind protektionistische Maßnahmen. All das hemmt die Konjunktur und macht den Weg frei für „Slowbalisation“.

Der IWF galt lange Zeit als strenger Hüter von marktwirtschaftlichen Prinzipien und Globalisierung. Heute stellt er großzügig Kredite bereit und spricht sich mit seiner Forderung nach einem einheitlichen CO2-Preis implizit für eine Regulierung der Märkte aus. Zweifelt der IWF an der Vereinbarkeit von wirtschaftsliberalem Denken, Globalisierung und Klimaschutz?
Aufgrund der Lehren aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg ist der IWF als Institution von vornherein dem Prinzip des Handels und der freien Märkte verpflichtet. Wir glauben auch nach wie vor, dass es keine bessere Alternative gibt. Unter Christine Lagarde haben wir jedoch angefangen, uns auch mit ökologischen und sozialen Themen zu beschäftigen, sofern sie makroökonomisch relevant sind. Vor allem die wachsende Ungleichheit und die große Einkommensschere zwischen Arm und Reich bereitet uns Sorgen. Wir müssen alle etwas dafür tun, dass die weltweite Akzeptanz für eine liberale Wirtschaftsordnung beibehalten wird.

Was denn?
Für all diese Probleme gibt es kein Patentrezept. Wichtig sind in jedem Fall gute Bildung, eine faire Besteuerung und Chancengleichheit unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht. Ohne Handelsbarrieren und Konflikte klappt auch die internationale Zusammenarbeit am besten - und die ist schließlich auch Voraussetzung für eine erfolgreiche Bekämpfung des Klimawandels.

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